Spielgeld regiert die Börsenwelt

Die Aktienkurse werden in nächster Zeit stärker schwanken als bisher. Wie stark, hängt davon ab, in welchem Umfang die Geldschwemme sich schon in der bisherigen Kursentwicklung niedergeschlagen hat.

Ein Ritual, das sich seit mehr als zwei Jahren wiederholt: Kaum knicken die Aktienkurse – wie am vergangenen Freitag – deutlich ein, fordert ein Teil der Börsenprofis: Die Gelegenheit nutzen, um nochmals günstig Aktien zu kaufen, bevor es mit den Kursen erneut aufwärts geht! Derweil fühlt sich der andere Teil mit seinen ständigen Warnungen vor einer Aktienblase bestätigt und sieht schon einen Crash kommen. Die einen verweisen auf die anhaltende Geldschwemme der EZB als Kurstreiber, die anderen führen – nicht eben originell – wieder mal Griechenland als möglichen Crash-Auslöser an.




Dumm nur, dass die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt. Die Geldschwemme hat einen Namen: Quantitative Easing, kurz QE genannt. Sie ergießt sich seit mehr als einem Monat in verstärkter Form über die Aktien- und Anleihenmärkte im Euroraum und treibt seit voriger Woche – oh Wunder – sogar schon wieder die Anleihenkurse nach oben, sodass zehnjährige Bundesanleihen nur noch zu 0,06 Prozent rentieren, bei einer aktuellen Inflationsrate von 0,3 Prozent also real im Minus. Bundesanleihen gelten als besonders sicher. Man kann ihre Beliebtheit folglich so interpretieren: Großanleger fliehen in sie, weil sie Angst vor Börsenturbulenzen haben und einen Crash erwarten.

Die EZB verteilt Spielgeld

Dagegen verweisen Börsenoptimisten gern auf die vermeintliche Alternativlosigkeit der Aktien nach dem Motto: Dividenden sind die neuen Zinsen. Ihr Argument: Solange deutsche Aktien wie aktuell durchschnittlich etwa 2,5 Prozent Dividendenrendite abwerfen, sind sie den real nicht mehr rentierenden Bundesanleihen überlegen. Wer so argumentiert, klammert allerdings Kursschwankungen aus – als wenn die Aktienkurse auf dem aktuellen Niveau festgenagelt wären! Das sind sie natürlich nicht. Pikanterweise war nach dem Kurssturz der im Dax enthaltenen Aktien um mehr als 2,5 Prozent am Freitag innerhalb weniger Stunden die ganze Dividendenrendite futsch.

Das QE-Paket ist über 1,1 Billionen Euro schwer und soll eineinhalb Jahre lang wirken. Allein von sich aus treibt es die Aktienkurse nach oben. Als weitere Triebkräfte lassen grüßen: lockere Fiskalpolitik und der Rückgang des Ölpreises. Das alles hat bei den Börsianern Erwartungen geweckt, auf die ein Großteil des bisherigen Kursaufschwungs zurückzuführen ist. Doch wie groß ist dieser Teil, wie viel Realität und wie viel Phantasie steckt in den Aktienkursen? Schon werden ernst zu nehmende Stimmen laut, die von einer Fehlallokation durch QE sprechen. Im Klartext: Die EZB stellt den Börsianern in erster Linie Spielgeld zur Verfügung, wohingegen Geld für produktive Investitionen eher in bescheidenem Umfang fließt.

Anleger in den Fußstapfen von Uli Hoeneß

Früher hieß es: Der Liquiditätshausse folgt die fundamentale Hausse. Dazwischen gab es manchmal eine monatelange Pause mit leichten Kursrückgängen. Dagegen ist die aktuelle Kursentwicklung verzerrt: Spielgeld regiert die Börsenwelt, fundamentale Daten nimmt man eher als Begleiterscheinung hin, manchmal sogar als lästig, kaum als Kurstreiber. Das zeigt sich – nicht allein an europäischen, sondern auch an amerikanischen und noch drastischer an asiatischen Börsen – immer dann, wenn negative Konjunkturdaten veröffentlicht werden: In solchen Fällen freuen sich die Börsianer, weil sie die Spielgeld-Fortsetzung erwarten, und vor lauter Vorfreude treiben sie dann die Kurse nach oben.

Die derzeit entscheidende Frage lautet: Wie viel Vorfreude steckt in den Aktienkursen? Treibt die Hausse die Hausse, wie optimistische Börsianer in vergleichbaren Phasen behaupten, oder ist der erneute Drang der Anleger in Bundesanleihen ohne reale Renditen ein Indiz dafür, dass den Aktien zunächst eine Baisse droht? Wahrscheinlich werden wir es mit starken Kursschwankungen zu tun bekommen, die mal in die eine, mal in die andere Richtung tendieren werden. Also nichts für Anleger mit schwachen Nerven, sondern für Trader, also Börsenspieler, die in die Fußstapfen des ehemaligen Bayern München-Bosses Uli Hoeneß treten.

Langfristcharts öffnen die Augen

Wer Aktien als langfristige Anlage gekauft hat, mag zwar hier oder da Kursgewinne mitnehmen, sollte dies jedoch strikt auf seit 2009 gekaufte Aktien beschränken. Denn vorher gekaufte Aktien haben einen nicht zu unterschätzenden Steuerbonus: Kursgewinne aus ihnen bleiben steuerfrei, nur laufende Dividenden unterliegen der Abgeltungsteuer. So manchem langfristig orientierten Anleger machen starke Kursschwankungen, wie sie jetzt zu erwarten sind, einen Strich durch die Rechnung: Aus Angst vor einem großen Kurssturz neigen sie dazu, Aktien zur Unzeit zu verkaufen. Das ist emotional verständlich, aber falsch.




Ihnen sei empfohlen, sich Langfristcharts anzusehen, wie sie von Direktbanken und Finanzportalen im Internet für verschiedene Zeiträume veröffentlicht werden. Sie können dann mit einem Blick feststellen, dass der längste Abwärtszyklus während der vergangenen Jahrzehnte an europäischen und amerikanischen Börsen von März 2000 bis März 2003 dauerte, also nur drei Jahre, und dass der anschließende Kursanstieg über den Höchststand aus dem Jahr 2000 hinausging, zuletzt sogar beim Kurs-Dax, der im Gegensatz zum üblichen Performance-Dax nicht durch Dividenden aufgepumpt ist. Das Studium von Langfristcharts dürfte also Anleger mit einem längeren Zeithorizont darin bestärken, das nächste Kurstief lieber auszusitzen, als Aktien in Panik zu verkaufen.

Sollten Sie Aktien dagegen als vorübergehende spekulative Anlagen betrachten, wünsche ich Ihnen erstens viel Glück und zweitens, dass Sie sich auf solche Aktien konzentrieren mögen, die einen soliden Hintergrund haben und deshalb temporäre Kursverluste in absehbarer Zeit wieder aufzuholen versprechen. Sie zu finden, ist indes so zeitaufwändig, dass die Spekulation mit ihnen im Zweifel doch nur wieder zum Spiel wird.

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