Die enthemmte Analyse

Seit Tagen keine Nachrichtensendung in Funk und Fernsehen ohne Bericht über die zunehmende Rechts-Radikalisierung der Deutschen und ihren gefährlichen Hang zu Nazi-Gedankengut: Dabei zeigt schon eine erste Analyse massive methodische Mängel. Aber darüber hat fast niemand berichtet.

Oliver Decker, dieser Telly Savalas unter den subventionierten Rechtextremismusforschern macht das ganz gut, wenn der psychoanalytische Sozialpsychologe und Rechtsextremismusforscher mit ernster Miene und ausgenüchtertem Grabreden-Speech vor die Nachrichten-Kameras tritt, als hätte er nun endlich den heiligen Gral, die unumstößlichen Beweise für den Untergang des Abendlandes gefunden. Festgehalten in einer Monstranz von 170 Seiten mit dem Titel „Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellungen in Deutschland. Die Leipziger-Mitte-Studie“. Das Werk erscheint im – bitte nicht lachen – Psychosozial Verlag.

Leipziger Mitte in drei Sätzen

Dieser Studienleiter Decker schafft in den Tagesthemen im Bierernst-Gestus, was er in seinem Institut vor dem Spiegel geübt haben muss, so perfekt und überzeugend sitzt der Ultralight-Vortrag: Eine Zusammenfassung dieser 170 Seiten in zwei, drei kurzen Sätzen. Sätze, die hängenbleiben. Mehr nicht. Am Ende wird wieder kein Mensch die Studie lesen, aber trotzdem werden dank Decker viele alles darüber zu wissen glauben. Alles, über die innere Verfassung des Deutschen Volkes. Über diese ewigen Nazis. Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, na Sie wissen schon. Bei Decker in der Tagesschau bleibt Folgendes aus dem Subkontext hängen:

Demokratie ist, wenn man der Zuwanderung uneingeschränkt zustimmt. Tut man das nicht, ist man Anitdemokrat, ist man rechtsradikal. Und das sind mindestens soundsoviel Prozent der bösen Bevölkerung. Also muss weiter viel Geld in die Abwehr dieser Nazi-Untoten investiert werden. In – na klar: Deckers Abwehrzentrum. Ehrlich. Exakt das ist die letztlich die Message. Das beginnt schon mit der Überschrift der Studie: „Die enthemmte Mitte“.

Genau – die Mitte ist böse, ständig mit dem Zündholz am Flüchtlingsheim, suggeriert der Titel. Gut ist nur, was links ist. Deshalb muss die Mitte kontrolliert, überwacht, misstrauisch beäugt werden. Und diese Botschaft haben praktisch alle Medien transportiert, in allen Nachrichtensendungen, im Rahmen von Unterhaltungssendungen sogar der Bayerische Rundfunk auf BR2, Zeitungen. Kritisch nachgefragt über Methode und Vorgehen der Studie hat fast keiner.

Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig –  wenn man die „Kompetenz“ schon im Namen tragen muss, dann darf ketzerisch angenommen werden, dass da was grundsätzlich schief läuft. Das wäre so, als würde sich der Autor hier selbst „Schlauschreibinstitution“ nennen. Also eine über den eigentlichen Inhalt, über das Produkt, das Arbeitsergebnisses hinausgehende Etikettierung, eine vorauseilende Kosmetik des eigenen Tuns oder eben: Nicht Tuns. Und seien wir ehrlich, wenn man titelt: „Rechtsextremismus-Studie: Die enthemmte Mitte“, was braucht man dann noch an Inhalten studieren um das Ergebnis zu dechiffrieren?

Die Studie soll keiner lesen, nur die Message glauben

Was am Ende hängen bleibt, hängen bleiben soll, hängen bleiben muss, ist der Warn-Blurb, ein Stopp-Zeichen in einem Satz auf dem Klappentext. Da steht die Botschaft. Im Idealfalle wie hier, wusste man schon vorher, was da stehen soll. Ein erfolgreiches Start-Ziel-Experiment also.

Problem: Das Modell ist ja nicht neu. Der Blurb des Antisemitismus-Berichts des Deutschen Bundestages von 2012 lautete, dass „latent antisemitische Einstellungen“, also Denkmuster, die sich nicht in Straftaten äußern, „in erheblichem Umfang“ bis „in die Mitte der Gesellschaft“ verankert sind. Die Deckers von damals wollten in ihrem Bericht erarbeitet haben, dass es diesen latenten Antisemitismus bei etwa 20 Prozent der Bevölkerung gebe.

Aber ausgerechnet diese Kernaussage basierte – wie wir gleich sehen werden analog zur vorliegenden „Mitte-Studie“ – leider NICHT auf eigenen neuen Erhebungen, sondern bezog sich im Bericht auf bereits vorhandene „einschlägige Untersuchungen“, die „von bis zu 20 Prozent der Bevölkerung“ sprechen. Ach ne, doch nicht, denn „aus alledem ergibt sich, dass Aussagen wie „15 Prozent der Deutschen sind antisemitisch“ (…) letztlich Einschätzungen sind, die auf bestimmten Interpretationen des vorhandenen Zahlenmaterials beruhen, über dessen Erhebung mitunter methodische Kritik durchaus angebracht sein kann. (…) Insgesamt ist festzuhalten, dass Umfragen zum Thema Antisemitismus eher dazu geeignet sind, Trends aufzuzeigen, als präzise Zahlen für einen bestimmten Stichtag zu liefern.“ Schrieb diese Vorgänger-Studie im ungelesenen Teil dann kleinlaut selber. Aber da war die furchterregende These von den 20 Prozent schon in der Welt. Und dieser Blurb blieb da bis heute.

Also auch die Mitte-Studie am Ende leider doch nur eine Neuverpackung, eine Umetikettierung wie wir es aus dem Supermarkt von abgelaufenem Fleisch kennen? Eine Studienhülle als nachrichtentaugliches Geschenkpapier rund um eine ältere Erhebung? Klar. In diesem Falle sind die empirischen Befunde um die herum die Zentrumsmitarbeiter ihre interpretatorischen Aufsätze garnieren, ebenfalls NICHT im eigenen Hause ermittelt worden.

Dafür ist das Kompetenzzentrum wohl leider doch nicht kompetent genug, das erledigt USUMA, nein, kein afrikanischer Gott der Wettervorhersage, sondern das gleichnamige Meinungsforschungsinstitut.

Im Studien-Irrgarten und die Fragebögen fehlen

Das Institut im Institut gewissermaßen. Aber es gibt auch noch ein Institut im Institut im Institut. Ein Irrgarten! Warum? Weil auch USUMA nur an ADM-Stichproben-F2F delegiert hat, eine Arbeitsgemeinschaft deren Mitglied USUMA ist. Befragt wurden dort nach eigenen Aussagen etwas mehr als 2.000 Probanden. Eigentlich mehr als 4.000, aber über die Hälfte der Befragten verweigerte die Aussage: „Ausfälle beinhalten insbesondere das Nichtantreffen aber auch die Verweigerung des Interviews durch die Zielperson.“ (S. 27).

Zu beantworten war ein Konglomerat aus Fragebögen und Erhebungen (dazu Seite 24 ff der Studie), von denen man allenfalls erahnen kann, wie sich die Befragten da hindurchgekämpft haben mussten. Erschöpfungszustände vorprogrammiert. Zwei Fragebögen, die leider nicht vorliegen, abgefragt von „Interviewern“.

Warum werden die Fragebögen nicht vorgelegt? Das ist mehr als mangelnde Transparenz. Es öffnet dem Verdacht Tür und Tor, dass hier nicht sauber gearbeitet wurde. Denn Fragebögen sind das Kernelement.

Aber  „Kernelement der Mitte-Studien“ ist laut eignem Bekunden (S.30) der „Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung“. Nur leider ist dieser Kern der ganzen 170-seitigen Arbeit auf dem Niveau einer Joko-und-Klaas-Harald-Schmidt-Sendung verfasst. Beispiele?

Frage 01: „Im nationalen Interesse ist unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform.“
Frage 02: „Ohne Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen.“
Frage 03: „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.“

Schön auch Frage 09, die wie alle anderen ja gar keine Frage ist, sondern ein zu bestätigender oder abzulehnender Standpunkt von „lehne völlig ab“ bis (für die ganz bösen Jungs und andere Komiker:) „stimme voll und ganz zu“:

Frage 09: „Eigentlich sind die Deutschen anderen von Natur aus überlegen.“

Stellen wir uns einmal vor, der Fragebogen mit Frage Nr. 1 würde in Russland zur Anwendung gebracht und ähnliche Ergebnisse zeigen. Dann wäre die Antwort, dass die lieben Russen immer noch Stalin unterstützen, mental. Die Interpretation der Antworten ergibt sich aus der Beurteilung durch die Befrager, nicht durch die Befragten.

Frage 02 ist ohnehin Käse – schließlich sind Judenvernichtung und Hitler nicht voneinander zu trennen. Die Fragestellung hat so viel Aussagekraft wie etwa: Hätte Stalin nicht rund 20 Millionen ermorden lassen, wäre er dann ein guter Staatsmann gewesen? Hätte, hätte, Fahrradkette. Solche Fragen sind, gelinde gesagt Quatsch.

Dazu kommt:

In der Studie werden suggestive Fragen gestellt. Dazu Beispiele im Wortlaut aus der Studie, in der nur einzelne Fragen aufgeführt werden.

Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben.

Was unser Land heute braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland.

Das oberste Ziel deutscher Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht.

Das erhoffte Ergebnis steckt bereits in der Frage.

Ohnehin fehlt jeder Vergleich mit anderen Ländern. Hätten Bürger der USA oder Frankreichs anders geantwortet?

NEIN ihr lieben Leute vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig die Aussage hätte anders lauten müssen, nämlich genau so: „Eigentlich sind wir vom Kompetenzzentrum den anderen bösen Deutschen von Natur aus überlegen.“ Stimme voll und ganz zu!

So überlegen, dass man die eigentliche Arbeit dieser Studie andere machen lässt. Zusätzliches Geld aus den Stiftungen ist ja zur Genüge vorhanden. Die Leipziger Jungs und Mädels machen es nicht selbst, ihre Hauptaufgabe ist die essayistische Interpretation von irgendwas, von dem nachher niemand wissen will, wo es eigentlich herkommt. Interpretationen, die keiner liest. Weil man das aber nun weiß, erledigt man etwas, das von den Medien dankbar angenommen wird: man extrahiert, was man schon vorher wusste und verkauft es in zwei, drei schmackig zitierbaren Sätzen. Fertig. Angerichtet. Runtergewürgt. Ein Blick in die verrotteten deutschen Ottonormalverbraucher-Hirne, der blankes Entsetzen erzeugt. Na ja.

Agitation als Pseudowissenschaft verkleidet

Das Schöne: Lachen ist erlaubt. Lachen mitten hinein in diesen pseudosakralen Akt dieser hochsubventionierten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für wenig Kompetente. Ehrlich, man schafft es kaum, das zu lesen. Wunderbares inneres Empörungspotenzial. 170 Seiten wie eine sich neu konstituierende Staatsreligion. Man stelle sich die Herrschaften nur mal vor an ihren abgewetzten Resopaltischen in ihren aufgeräumten Instituten mit diesen hochfrequentierten Rauchereckchen mit Fikus Benjamin und Yuccapalme . Eine pseudowissenschaftliche Ausarbeitung als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für eine fragwürdige Gesellschaftswissenschaftsindustrie. Da werden Erinnerungen wach an den thüringischen Verfassungsschutz, der sich seine Arbeit ja teilweise ebenfalls selbst besorgt haben soll, als er noch unentschlossene Ossis zu echten IM-Dunkelnazis hochsubventionierte auf dem Wege des informellen Mitarbeitertums – gewusst wie aus 40 Jahren DDR. Wie irre.

Und die Medien? Ihre kritische Funktion haben sie mal wieder nicht wahrgenommen – sondern nachgeplappert und abgeschrieben, was ihnen so plausibel wie falsch aufgetischt wurde. Kritischer Journalismus? Genau so selten wie saubere Analysen der Leipziger Pseudo-Wissenschaftler, die ihre Vorurteile als Fakten maskieren. Dabei wäre es so einfach, wie die Berliner BZ zeigt:

„Jeder zehnte Deutsche wünscht sich einen Führer. Das heißt aber auch,
dass neun von zehnDeutschen mit solchen Fantasien nichts am
Hut haben. Jeder vierte Deut-sche hat Vorbehalte gegenüber Schwulen. Eine Mehrheit von 75 Prozent aber nicht. Diese Zahlen entsprechen den Werten in anderen gestandenen Demo- kratien. Zwischen zehn und 15 Prozent einer Gesellschaft neigen zu Extremismus. Die Unter- suchungen dazu sind eindeutig. So unerfreulich das ist, eine ernsthafte Gefahr für die freie Gesellschaft ist es nicht.“

Induziertes Irrsein auf Basis einer (Achtung! Jetzt kommt ein böses, rechtsextremismusverdächtiges Adjektiv:) unausrottbaren deutschen Umfrage-Hörigkeit?  Wahrscheinlich. Jedenfalls Umfragen auf dem Niveau von geil machenden Düsterhoroskopen. Handlese-Arbeiten von Ex-Studenten auf Staatskosten und finanziert ausgerechnet – und das ist die eigentliche Tragik über alle Lager hinweg: – von der Rosa Luxemburg Stiftung (Linken-nahe).

Gestatten Sie mir hier diese abschließenden persönlichen Worte: einer Stiftung, die ich sehr schätze. Ich habe dank denen schon einige hochinteressante Veranstaltungen besuchen können. Zuletzt jene mit dem griechischen Ex-Finanzminister Varoufakis. Auch die Heinrich Böll Stiftung (Grünen-nahe) – übrigens eine für Schriftsteller hochanständige Organisation, finanziert sie doch auch großzügig spannende literarische Projekte, die so sonst nie zustande kämen, hat tief in die Schatulle gegriffen für diese Studie.

Für diesen Helikopter-Blick in die Köpfe von 4.000 Deutschen, von denen die Hälfte schon mal den Interviewer davonjagte, weil man deren verkrüppelten Rorschachtests nicht gewillt war, über sich ergehen zu lassen. Oder weil man einfach nicht die Zeit haben wollte, sich Gedanken darüber machen zu sollen, ob Hitler ohne die Judenvernichtung einer toller Bursche gewesen sein könnte, was dann dazu geführt hätte, dass man selbst als Rechtextremer in die Statistiken eingegangen wäre. Ebenso auch, wenn man bestätigt hätte, das man sich bei über einer Millionen muslimer Zuwanderer in wenigen Monaten nicht mehr recht heimisch fühlt in Deutschland. Ja, auch dann ist man rechtsextrem. Sie wissen es ja schon: Demokratie ist, wenn man der Zuwanderung uneingeschränkt zustimmt. Tut man das nicht, ist man Anitdemokrat, ist man rechtsradikal.

Fazit: natürlich gibt es auch in Deutschland jede Menge Schwachköpfe. Vielleicht nicht so viele wie in Frankreich oder Russland, aber genug Rechtsradikale, die wir an ihren Taten erkennen. Grausame, hinterhältige und verabscheuungswürdige Taten. Taten mit ansteigender Tendenz bei ansteigenden Einwanderungszahlen. Aber wir werden dieser Idioten nicht habhaft, indem wir das komfortable Leben von Menschen finanzieren, die saudämliche Fragen in Auftrag geben, diese dann interpretieren, bzw. so tun, als wäre, was längst aufgeschrieben wurde, die Interpretation, um so wertvolle Nachrichten-Minuten zu entern. Nein, wir brauchen dieses Geld dringender, um unsere Polizei und den Staatsschutz dabei zu unterstützen, ihre Aufgaben besser erledigen zu können. Endlich.

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