Glyphosat und die postmodernen Narzissten

An den Chemiker Henri Martin, den Entdecker von Glyphosat, erinnert sich heute niemand mehr. Wer heute nach internationalen Ehren strebt, der müsste wohl eher etwas entdecken, das uns Hungersnöte zurückbringt. Meint Edgar L. Gärtner, denn Narzissten glauben an nichts richtig und richten ihre durch enttäuschte Selbstliebe entstandene Aggressivität in Form der obsessiven Beschäftigung mit Krankheit und Tod gegen sich selbst.

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In den postmodernen westlichen Wohlstandsgesellschaften mit einer Kultur des hedonistischen Narzissmus ist eine Generation herangewachsen, die es für selbstverständlich hält, dass der Strom rund um die Uhr aus der Steckdose kommt und Nahrungsmittel in den Supermärkten jederzeit reichlich und preiswert zur Verfügung stehen. Sehr auf ihr leibliches Wohl bedacht, will diese verwöhnte Generation für sich immer nur das Beste. Der Strom soll aus sauberen „erneuerbaren“ Quellen kommen, die Nahrungsmittel möglichst aus kontrolliertem Bio-Landbau. Dafür bezahlt man auch (wenigstens im Prinzip) gerne etwas mehr, zumal man sich damit vom dumpfen Pack der Malocher abgrenzen kann, dem nichts billig genug sein kann.

In Vergessenheit gerät dabei, dass die Landwirtschaft seit ihren Anfängen vor etwa 10.000 Jahren ein ständiger mühsamer Kampf gegen ungebetene Konkurrenten (Schädlinge) war. Ein Kampf, bei dem die Bauern (und ihre Kunden) oft das Nachsehen hatten. Noch bis weit ins 19. Jahrhundert waren in Europa Missernten und in ihrem Gefolge Hungersnöte durchaus nichts Seltenes. Neben dem Unkrautjäten von Hand verfügten die Bauern nur über wenige Mittel, um ihre Kulturen vor Schädlingen zu schützen. Und das waren in der Regel starke Gifte wie Quecksilber- und Arsensalze, Schwefel oder Kupfersulfat-Kalkbrühe („Bouillie bordelaise“).

Von starken Giften zu weniger starken

Die Produktivität der Landwirtschaft stieg über Jahrhunderte nur sehr langsam. Das änderte sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Zwischen 1950 und dem Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich z.B. die Getreideproduktion weltweit mehr als verdreifacht. Das war nur mithilfe des Einsatzes von Kunstdünger und synthetischen Pestiziden möglich. Aber anders als die Düngung blieb der Kampf der Bauern gegen Unkräuter und Ungeziefer bis zum heutigen Tag eine Sisyphus-Arbeit. Denn kaum hatte sich ein von der chemischen Industrie entwickeltes Pestizid einigermaßen in der Praxis bewährt, gab es bereits erste Meldungen über aufkommende Resistenzen bei Schadinsekten oder Unkräutern oder über gesundheitliche Bedenken. So müssen die Chemiker ständig nach neuen Stoffen suchen, die als Pestizide geeignet erscheinen. Doch von 100.000 getesteten chemischen Verbindungen erweist sich höchstens eine als praxistauglich. Das erklärt zu einem guten Teil, warum heute fast nur noch große internationale Konzerne im Pflanzenschutzgeschäft engagiert sind.

Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es für die Unkrautbekämpfung nur unspezifisch wirksame Anorganika wie Kupfersulfat oder Natriumchlorat. Nach dem Krieg tauchten dann die in den 1940er Jahren entwickelten spezifischer wirkenden chlorierten Pflanzenhormon-Analoge wie 2,4 D (2,4 Dichlorphenoyessigsäure) und 2,4,5-T (Trichlorphenoxyessigsäure) auf dem Markt auf. Das letztgenannte wirkt vor allem auf breitblättrige Pflanzen und eignet sich daher zur gezielten Unterdrückung von Unkräutern in Getreidesaaten. Es wurde aber auch als „Agent Orange“ von der US-Luftwaffe im Vietnam-Krieg zur großflächigen Entlaubung von Wäldern eingesetzt. Später stellte sich heraus, dass diese Lieferungen mit Dioxin verunreinigt waren. Damit sollen in Vietnam bei Kindern gehäuft aufgetretene Missbildungen zusammenhängen.

Durch die Verwendung im Vietnam-Krieg gerieten die im Vergleich zu Fungiziden oder Insektiziden für Menschen insgesamt weniger gefährlichen synthetischen Herbizide bei der in den 1960er Jahren aufkommenden Umwelt-Bewegung unter Generalverdacht, unter dem auch ungiftigere Nachfolgeprodukte wie die Carbamate (Harnstoffderivate) und die spezifisch die pflanzliche Photosynthese hemmenden Triazine wie vor allem das im Maisanbau großflächig angewandte Atrazin zu leiden hatten. Atrazin wurde 1991 von der EU verboten, weil es als relativ schwer abbaubare Verbindung im Grundwasser nachgewiesen worden war. Ob das eine Gesundheitsgefahr darstellte, wurde nie geklärt.

Die Chemiker mussten also ihre Sisyphusarbeit fortsetzen und nach mindestens ebenso wirksamen, aber leicht abbaubaren Herbiziden suchen. Schon 1950 hatte der Schweizer Chemiker Henri Martin das zu den Phosphonaten (Aminosäuren mit Phosphor) gehörende Glyphosat synthetisiert. Dessen herbizide Eigenschaften wurden aber erst viel später in den USA entdeckt. 1974 wurde dem US-Konzern Monsanto das US-Patent für die Verwendung von Glyphosat als Herbizid erteilt. Es kam unter dem Markennamen Roundup auf den Markt. Die Chemiker waren davon überzeugt, mit Glyphosat ein beinahe ideales Unkrautvernichtungsmittel gefunden zu haben. Es blockiert im Pflanzenstoffwechsel wegen seiner großen Ähnlichkeit mit dem natürlichen Phosphoenolpyruvat (PEP) gezielt den nur bei Pflanzen und Mikroorganismen vorhandenen Shikimatweg der Synthese der aromatischen Aminosäuren Phenylalanin, Tryptophan und Tyrosin durch das Enzym EPSPS. Glyphosat ist daher für tierische Organismen, die dieses Enzym nicht besitzen, nahezu ungiftig. Obendrein ist es wegen seiner geringen Flüchtigkeit leicht anwendbar und als wasserlösliche Aminosäure in der Umwelt problemlos abbaubar.

Für Umwelt-Narzissten gilt nur der Schein

Landwirte, Winzer und Kleingärtner erkannten rasch die Vorteile von Glyphosat. Nach dem Verbot von Atrazin erlebte sein Absatz einen regelrechten Boom. Dieser beschleunigte sich noch nach der Zulassung gegen Glyphosat resistent gemachter Kulturpflanzen wie Soja gegen Ende der 1990er Jahre. Heute ist Roundup (wohl zu Recht) das weltweit mit Abstand meistverkaufte Herbizid. Gerade dieser Erfolg droht den Herstellern von Glyphosat aber nun zum Verhängnis zu werden. Nicht zufällig fokussieren technikfeindliche Bewegungen ihren Kampf auf die erfolgreichsten Produkte der Agrochemie. Denn es kommt der Generation von Narzissten, die heute die Politik ehemaliger Naturschutzverbände wie des BUND bestimmen, nicht darauf an, ob sich etwas in der Praxis bewährt hat, sondern ob es als „gut“ und politisch korrekt gilt. Auch was die Weltgesundheitsorganisation WHO über eine eventuelle Kanzerogenität von Glyphosat schreibt, interessiert sie nur, wenn es ihnen in den Kram passt. Um ihr labiles Selbstwertgefühl zu pflegen, müssen sie darauf achten, immer auf der Seite der „Guten“ zu stehen. Vernünftige Kosten-Nutzen-Abwägungen erscheinen da beinahe als Sakrileg. So nehmen sie in Kauf, dass die im Vergleich zu synthetischen Pestiziden um ein Vielfaches giftigere „Bouillie bordelaise“ in dem von ihnen favorisierten Bio-Landbau noch immer das Pflanzenschutzmittel der Wahl darstellt. Es ist ein Märchen, dass Bio-Bauern nicht spritzen! Die Bio-Landwirte und ihre Kunden akzeptieren die giftige Brühe, weil sie schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts angewandt wird und nicht von „bösen“ Agrochemie-Konzernen produziert wird.

Hätten die Proteste gegen die Verlängerung der Zulassung von Glyphosat in der EU Erfolg, würden sich im Pflanzenschutz auf jeden Fall schlechtere Lösungen durchsetzen. Auch sich abzeichnende Innovationen wie die mögliche Verwendung von Glyphosat als Arznei gegen Malaria-Erreger, die sich das Gen für EPSPS von Mikroorganismen geholt haben, hätten kaum Chancen. Das dürfte aber den Urhebern der zurzeit in Europa gegen Glyphosat laufenden Kampagne egal sein. Für sie zählt nur der Schein. Denn Narzissten sehen die Welt nur als Spiegel. Deshalb achten sie sehr darauf, unschöne Bilder zu verbannen oder zu verdrängen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es ihnen in der Flüchtlingskrise vorgemacht.

Formularbeginn

Der Narzissmus, eine durch elterliche Erziehungsfehler (zu viel Lob) verursachte Reifestörung, hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen. Wichtigster Indikator dafür sind ausgefallene Vornamen, die Eltern ihren Kindern geben. Auffällige Neurosen werden hingegen, wie mir ein befreundeter Psychoanalytiker bestätigt, immer seltener. Und im Unterschied zu Neurosen ist der Narzissmus aber nur äußerst schwer heilbar. Der amerikanische Historiker Christopher Lasch konstatierte schon gegen Ende der 1970er Jahre die Ausbreitung einer dekadenten „Kultur des Narzissmus“ im ganzen Westen. Deren Hauptursache sah er in der Ablösung des patriarchalischen durch den matriarchalischen Führungsstil in Politik und Wirtschaft und in der damit verbundenen Infantilisierung der Menschen durch die ausufernde Sozialbürokratie. Narzissten glauben im Grunde an nichts richtig. Sie richten ihre durch enttäuschte Selbstliebe entstandene Aggressivität in Form der obsessiven Beschäftigung mit Krankheit und Tod gegen sich selbst. Sie konzentrieren sich darauf, ihre innere Leere und vagabundierenden Ängste durch moralische Überheblichkeit gegenüber dem „Pack“, durch scheinbar gute Taten oder auch durch Genuss- und Ruhmsucht, durch die Kultivierung von Schuldkomplexen und deren Nutzung für die eigene Imagepflege zu überspielen.

In der Phase des Aufbruchs, die dem Zweiten Weltkrieg folgte, wurde der Entdecker des hochwirksamen Insektizids DDT mit dem Medizin-Nobelpreis geehrt. Das preiswerte Mittel, das viele Millionen von Menschen vor der Malaria und anderen durch Stechmücken übertragbaren tödlichen Krankheiten gerettet hat, geriet bekanntlich unter der seit den 1970er Jahren sich ausbreitenden Kultur des Narzissmus in Verruf und wurde zunächst in den USA und später weltweit geächtet. An den Chemiker Henri Martin, den Entdecker von Glyphosat, erinnert sich heute niemand mehr. Wer heute nach internationalen Ehren strebt, der müsste wohl eher etwas entdecken, das uns Hungersnöte zurückbringt …

Edgar L. Gärtner – Analysen, Konzepte, Trends.

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