Warum ich den Fall der Berliner Mauer verpennt habe

Jetzt hört man wieder alle diese tollen Stories über den Fall der Berliner Mauer. Alle sind dabei gewesen. Nur ich habe nichts zu erzählen. Ich habe ihn verpennt. Es ist eine der peinlichsten Stories meines Lebens. Denn die Tage vor dem Mauerfall – habe ich in den USA vertrödelt. Mobilfunk erschien mir ein spannendes Thema. Da bewegte sich was in der so erstarrten Welt. Immerhin konnte man in den USA schon winzige Motorola-Geräte im Supermarkt kaufen und bereits beim rausgehen damit telefonieren. Das war toll, denn in Deutschland brauchte der Postbeamte mindestens drei Monate, bis er sich nach monatelangem Papierkrieg doch vielleicht, vielleicht auch nicht, zum Einstöpseln des Amtsapparats herabließ. 

Keiner hat die Absicht, die Mauer umzustoßen

Die Mauer? Würde schon noch stehenbleiben. Wir hatten damit keine Eile. Nur unsere amerikanischen Partner waren so nervös; fotokopierten Berichte der US-Medien, in denen die Wiedervereinigung Deutschlands erwartet und ja: auch herbeigesehnt wurde. Es war lästig. Kindisch. Wir Deutschen lächelten wissend über diese Naivität. Schließlich hatte man uns jahrzehntelang eingetrichtert, dass nur Alt-Nazis und Ewig-Gestrige wie Axel Springer, Franz-Josef Strauß und Helmut Kohl, den man „Birne“ zu nennen pflegte, dass also nur noch Un-Personen den Mauerfall erwarteten. Noch einige Wochen vorher hatte der damalige Chef des Bundesnachrichtendienstes in einem als höchst geheim eingestuften Hintergrundgespräch erklärt: Die Ausreise-Genehmigung für die DDR-Heinis, die sich in die Prager Botschaft geflüchtet hatten, wäre eigentlich ein Beweis der Führungsstärke Erich Honeckers; so habe er elegant das drängende Problem der Wohnungsknappheit gelindert. Sie glauben mir das nicht? Indianerehrenwort. So war es. Wir glaubten es. Nur die Amis haben nicht verstanden, dass wir in Princeton rumhackten, um an den ersten Navis zu fummeln, statt uns daheim ins Auto zu setzen und einfach so lange und ganz ohne Geo-Ortung nach Osten zu fahren, bis wir an der Mauer endeten und ihren baldigen Einsturz beobachten konnten.

Bildschirmfoto 2014-11-08 um 11.04.29

Mikrochips so groß wie Pflastersteine

Der Wirtschaftsminister aus NRW (SPD) hatte mir erklärt, dass es nur noch wenige Jahre dauern würde, und die DDR habe wirtschaftlich endgültig die BRD (das waren damals wir auf dieser Seite der Mauer) überholt. Klar, sagte er, die setzen doch flächendeckend auf die Mikroelektronifizierung der Wirtschaft, und bekanntlich ist eine staatliche gelenkte Modernisierungspolitik dem Irrsinn der Märkte weit überlegen. Und auch die Mikrochips made in Dresden seien doch Weltspitze, auch wenn sie so groß seien wie Pflastersteine: Vergleichbares habe die Marktwirtschaft nicht im Plan, weil sie keinen habe. Später habe ich gelernt, dass die Menschen in der DDR für diese Art Sieg nur Spott über hatten: „Überholen, ohne einzuholen“ Die DDR rangierte auf Platz 16 in der Rangfolge der Wirtschaftsnationen, und nur rechte „Hetzer“ faselten von Unzufriedenheit, und nur halbkriminelle Versager versuchten, irgendwie durch die Mauer zu schlüpfen und setzten sich leichtsinnig der Gefahr aus, von einem treusorgenden Grenzsoldaten erschossen zu werden; wie rücksichtslos, dem armen Mann mit der Kalaschnikov ein lebenslanges Trauma aufzuladen.

Toskana statt Dresden

Ja, so war die Stimmungslage; in praktisch allen Medien außer Bayernkurier und FAZ; ARD und ZDF hatten sich längst kritische Reporter wie Lothar Löwe abgeschminkt und smarte DDR-Versteher hingeschickt, die von der Backstein-Gotik rührende Reportagen schickten; aus einer Welt, in der noch viel gelesen wurde, was Zensoren aussuchten, die wußten, was für die Leser gut ist. Kriminalität niedrig und Arbeitslosigkeit unbekannt; der Fortschritt war links. Ja, wir hatten uns mit der Mauer abgefunden. Wir demonstrierten gegen den Schah von Persien, die Amerikaner in Vietnam, die Portugiesen in Angola, aber wir nahmen die Mauer hin, als habe sie uns Gott als Strafe für Adolf auferlegt bis in die 7.Generation und wir waren ja erst die Zweite. Wir kannten die Welt, aber nur im Süden und Westen und nicht im Osten. Wir brachten dann Cappuccino über den Brenner nach Norden. Im Osten soll es Club-Cola gegeben haben. Wir haben alle Filme gesehen, aber „Paul und Paula“, darüber hätten wir gelacht. Peinlich diese Zonis in ihren Ruinen und diese Frisuren! Echt wie in den 50ern. Das Brainwashing der linken Medien, die Lobhudeleien von Stern und Spiegel über die großen Erfolge der DDR in allen Lebensbereichen und die friedenssichernde Rolle von Stacheldraht und Todesstreifen – wir haben sie nachgeplappert.

Der Stasi-Spitzel in der ZEIT

Erst Jahre später konnte ich den Stasi-Bericht aus der Redaktion der ZEIT lesen über deren kollektive Reise in die DDR. Wie angetan war doch die journalistische Gräfin Dönhoff über die Polikliniken, die vielen Frauen am Fließband, das hübsche Bunzlauer Geschirr und die Kristallgläser aus Böhmen; alles so niedlich wie damals in Ostpreussen vor dem Krieg. Das war kein bunter, verwirrender Konsumkapitalismus, sondern Armut in Würde, jedenfalls aus der Sicht der West-Bonzen, die ja jederzeit zurück konnten in die Konsum-Hölle, um sich im prallvollen Supermarkt ausnehmen zu lassen. Wie fortschrittlich dagegen die leeren Straßen der DDR, in denen kaum jemand die dahinrasende Kolonne der ZEIT-Redaktion störte, die endlich so behandelt wurde, wie es sich gehörte: Die ZEIT-Redaktion als Staatsgäste im Rang von Regierungschefs. Selbst der Stasi-Spitzel in der Redaktion wunderte sich über die Leichtgläubigkeit der selbsternannten klugen Köpfe; nur der damalige Wirtschaftsressortleiter meldete Widerspruch an, aber der war dann ja auch nicht mehr lange dabei. Er hatte die DDR kritisiert, wie bescheuert ist das denn? Erst später wurde mir klar, wie weit der Einfluß der DDR-Geheimdienste auf die westlichen Medien war. Vor allem: Wie gerne sie glauben wollten, dass die DDR das Paradies der Werktätigen ist. Ja, ich habe mich mitschuldig gemacht; denn ich habe auch nicht die Berichte ausgewertet, die den unmittelbar bevorstehenden Niedergang der DDR beschrieben. Ich wollte kein kalter Krieger sein. Ich glaubte zwar nicht an die Überlegenheit der staatlichen Lenkung und Planung, aber es schien ja zu laufen. Wir glaubten an den Bestand der Mauer, aber nicht an den revolutionären Geist und die Unzufriedenheit – und schließlich waren da ja auch noch die Sowjets, die schon mit Panzern und Bajonetten dafür sorgen würden, dass die DDR-Anhänger im Westen Recht behielten. Wir waren alle Realpolitiker im Kopf und haben deswegen diesen Meldungen nicht geglaubt von den roten KZs. Die Intellektuellen übrigens haben sich noch länger getäuscht, so Peter Schneider. Für die meisten war die Wiedervereinigung ein Fehler. Daran sollte man sich erinnern.

Überraschung. Die Menschen wollen was anderes

Es hat mich überrascht, was da passiert ist. Ich habe es nicht erwartet, ich habe es nicht kommen sehen. Dafür schäme ich mich heute. Und ich glaube nichts mehr, was der journalistische, rot-grüne Mainstream vor sich hinplappert. Denn wenn es danach ginge: Dann hätten wir auch immer noch den einzigen, den wahren, den grauen Staatstelefonapparat, den uns ein Beamter gewährt, wenn er unseren Bedarf geprüft hat. Übrigens: Längst hat wieder das sozialistische Grau unsere Sinne vernebelt. Niemand will die Mauer zurück. Aber schrittweise hat ein weinerlicher linker Anti-Modernismus und grüner Konservatismus Platz gegriffen. Deregulierung ist Böse, Globalisierung der Teufel, Freihandel Gift, nur Staat ist gut, Beamte wissen am besten, wie Internet geht. Wer dagegen argumentiert, wird diffamiert. Das einzige, was irgendwie stört in diesem neuen, alten Weltbild: Die Mauer ist weg. Nur in den Köpfen. Da wird sie gerade wieder gebaut.

 

Erschienen am 8.11.2014 auf HuffingtonPost.de 

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