Heute tanzen wir in den Krieg

Aber heute wird nicht gefragt. Heute wird getanzt. Heute ist Bundespresseball im Adlon. Es wird sehr schön werden.

Berlin, schlafende Stadt. Die Ganz Große Koalition (GGK) der im Bundestag vertretenen Parteien hat das Land paralysiert; Journalisten spielen mit und tanzen. Fragen? Keine.

Heute durfte ich an einer Tagung teilnehmen, die von der Bundespressekonferenz, dem Deutschlandfunk und der Bundeszentrale für politische Bildung organisiert wurde. Über neue Formate der Politik ging es, um die sogenannte „Lügenpresse“, neue Medien und lauter solche Sachen, die meist in die Frage mündeten: Warum werden wir nicht mehr gelesen, warum wenden sich die Menschen von der Politik ab?

— bpb.de (@bpb_de) 27. November 2015

Und dann war da auch die tägliche Pressekonferenz des Regierungssprechers und der Sprecher der Ministerien mit den Parlamentsjournalisten.

Eigentlich ein aufregender Tag. Deutschland stolpert in den Krieg. Klar, erst nur ein paar Aufklärer und eine Fregatte. Aber Krieg ist Krieg. Und die fangen immer mit Scharmützeln an. Es gibt kein Mandat, keinen Parlamentsbeschluss, kein Kriegsziel, keine Strategie, keine Klarheit darüber, was da eigentlich von wem bombardiert wird.

Eigentlich viele Fragen. In der Bundespressekonferenz wurde zunächst keine einzige dazu gestellt. Man wollte sich vor ausländischen Gästen keine Blöße geben. Also hat sich einer zu einer harmlosen Pro-forma-Frage bereiterklärt, drei oder vier wurden es dann, „man muss es ja nicht künstlich in die Länge“ ziehen, beendete der Vorsitzende. Immerhin.

Nun kann man sich ja freuen oder nicht freuen darüber, dass Deutschland sich militärisch beteiligt. Darum geht es mir gar nicht.

Mich überrascht, dass deutsche Journalisten nicht einmal mehr Fragen stellen. Wer jemals im Press Room des Weißen Hauses war: Die würden mit Fragen zerfetzen. Aber in der GaGroKo wächst die Gefahr, dass Journalismus „embedded“ wird und wirkt.

Kanzlerin, Dein Wille geschehe.

Das scheint die Grundhaltung der Kollegen und Kolleginnen zu sein, bei denen ich immer noch als Gastmitglied und früherer Kollege eingeladen bin.

Keine Fragen! Eine lähmende Stille liegt über Berlin.

Wenn hunderte Milliarden für die jeweils jüngste Euro-Rettung verabschiedet werden – zwei knappe Stunden Debatte, eine langweilige Pflichtveranstaltung, in der als einziger Kritiker der Abgeordnete Willsch 5 Minuten widersprechen darf, damit es nicht gar so nach Volkskammer im Reichstag riecht.

Und das ist schon gut.

Flüchtlingskrise? Das Parlament debattiert nicht, das Parlament schweigt.

Journalisten vergeben Haltungsnoten: Durfte Seehofer auf dem CSU-Parteitag die Kanzlerin erstens kritisieren (geht ja gar nicht) und zweitens sie sogar zum zuhören veranlassen (geht ja schon überhaupt nicht).

Inhalt? Keine Debatte.

Und jetzt also ist Krieg. Und wiederum debattiert niemand, nicht einmal die simpelsten Fragen werden gestellt: Wieviele Soldaten, auf welcher Rechtsgrundlage, was sagt das Parlament dazu, wo ist das UN-Mandat usw. usf..

In der Haushaltsdebatte – die Oppositionsparteien werfen Wattebäusche. Zeitungen freuen sich, dass Dietmar Bartsch und CDU-Fraktionschef Volker Kauder nett miteinander umgehen; schön, dass wir uns alle lieb haben.

Kritische Fragen im Parlament? Keine.

Es war für mich ein lehrreicher Tag. Der politische Journalismus ist dem Parlamentarismus in diesem Land längst in den Winterschlaf gefolgt.

Das Land wird von einem Art Nudging regiert; Sprüche sollen das Land führen.

An diesem Tag erklärten 40 Kommunen aus Nordrhein-Westfalen den Notstand, sie können einfach keine Flüchtlinge mehr aufnehmen. Die Hotels, die Jugendherbergen, alle verfügbaren Turnhallen sind voll.

Fragen? Keine.

Die Zahl der wilden Zuwanderung ist allein im November auf 180.000 angestiegen; auch ohne die unbekannte Zahl von vermutlich einigen hunderttausend abgetauchten Zuwanderern ist also die Millionenzahl überschritten.

Debatte? Keine.

Mittlerweile wissen wir, dass es nicht nur um die Zahl der Zuwanderer geht. Sie sind ja nur die Vorhut. Der Familiennachzug wird zu einigen Millionen Einwanderern führen. Es kursieren wilde Schätzungen. Mindestens 3 oder 5 Millionen, aber auch die Zahl von 10 Millionen ist nicht aus der Luft gegriffen.

Debatte? Keine.
Wir schaffen das. Aber wie schaffen wir das?
Darauf gibt es keine Antworten.

Keine Antwort darauf, wo und wie und von wem die Stadt in der Größe Münchens gebaut werden soll, die man dafür braucht, oder sind es sogar 2 München?

Wo gibt es denn die Millionen Arbeitsplätze für Menschen, die die Sprache nicht beherrschen und auch ansonsten kaum verwertbare Ausbildung und berufliche Erfahrung mitbringen? Bislang hat nur Heribert Prantl darauf eine Antwort, nämlich ärmliche Landwirtschaft in Ostdeutschland; der Herr ignoriert, dass wir im Jahrtausend der Mähdrescher leben und nicht der Schnitter, Sensen und Sicheln.

Dabei geht es nicht gegen Flüchtlinge. Es geht um die soziale Sicherheit in diesem Land, um Wohlstand für Alle. Der ist in Gefahr, weil eine Million Hartz IV-Emfpägner vermutlich an die 50 Milliarden Euro kosten.

Die werden nicht oben eingespart, die werden unten fehlen, da, wo auch die Wohnungen längst knapp und die Schulen zu knapp mit Lehrern und Lehrmitteln ausgestattet sind. In diesem Herbst fehlen in Nordrhein-Westfalen 3.500 Lehrer – noch ohne Flüchtlinge gerechnet. Wann kommen die 5.000 Lehrer, die das Land braucht?

Sie werden nicht kommen. In Frankfurt wurde ein Drittel der Kurse in den Oberstufen gestrichen; Frankfurt spart. Das Bildungsniveau sinkt.

Wer Fragen stellt, stellt nicht die Flüchtlinge in Frage, sondern stellt die berechtigte Frage nach dem sozialen Frieden in diesem Land.

Aber heute wird nicht gefragt. Heute wird getanzt. Heute ist Bundespresseball im Adlon. Es wird sehr schön werden.

Nur leider werden alle Taschen am Eingang geöffnet und auf die Stufen geleert. Die Wirklichkeit dringt leise ein in eine Stadt und in ein politisches System, das in sich selbst ruht und schläft und in dem zwei Dinge fehlen: Kritische Presse und ein ebensolches Parlament.

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