Grexit: Rüpel gewinnt, Anstand verliert

Griechenland verändert Europa: Im Hintergrund die Europäische Zentralbank, davor ein nationales Symbol der Plünderung und Korruption

Viel ist geschrieben worden in den vergangenen Wochen über den griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis: Über sein rüpelhaftes Auftreten und seine unkonventionelle Kleiderordnung mit heraushängendem Hemd; seine Ton-Mitschnitte vertraulicher Gipfel-Gespräche; seinem Größenwahn, wenn er sich mit dem US-Präsidenten Roosevelt in eine Reihe stellt oder vorgibt, mit Barack Obama persönlich zu verhandeln – der ihn aber bei einem Massenempfang links stehen lässt. Varoufakis hat über den Hunger in Griechenland lamentiert und sich mit seiner Frau in dem Designer-Sommerhaus und Penthouse mit Blick auf die Akropolis fotografieren lassen; mit gegrilltem Fisch und Weißwein im Kühler. Es lebt sich gut inmitten allgemeinen Elends. Für ihn persönlich ganz besonders, aber auch für Griechenland im Allgemeinen.




Das alles sind nur Bilder, oft genug peinliche. Das Entscheidende ist: Es sieht so aus, als habe er sich durchgesetzt, und zwar auf der ganzen Linie. Denn verhandeln wollte er ja erklärtermaßen nie. Mehr Geld für Griechenland: Diesem Ziel kommt er jetzt deutlich näher. Der Triumph ist nahe. Für den Rest Europas die Folgen des Schuldenschnitts – Steuergeld weg.

Denn das ist die zentrale Nachricht: Nach fast 6 Monaten Gewürge und Gezerre um die Griechenlandhilfen kam es jetzt zu einem Gipfelgespräch; die Bundeskanzlerin, Eu-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker und der französische Präsident Hollande übernehmen die Verhandlungen mit Athen; dazu die IWF-Chefin Christine Lagarde. Über die Ergebnisse wurde vorerst Stillschweigen vereinbart. Optimisten hofften, dass Merkel jetzt eine gemeinsame Front aufbaut, um Griechenland endlich vor die Tür zu setzen. Denn klar ist: Deutschland alleine darf das nicht tun, von wegen Geschichte. Aber diese Optimisten haben sich getäuscht. Jetzt sickert durch, dass es ein „letztes Angebot“ an Griechenland geben werde. Was versteckt sich dahinter? Wird Varoufakis zum Role-Model für Europas Politik?

1. Das letzte Angebot ist immer das Beste

Was zunächst nur ausschaut wie eine protokollarische Höherstufung, weg von der Beamtenebene und der varoufakischen Pöbelei, ist von Anfang an ein inhaltlicher Gewinn für Griechenland: Staatsfrauen- und Männer der Extraklassen haben besonders tiefe Taschen. Ihr Ziel ist Europa und der weitere Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone, koste es, was es wolle. Dazu hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mehrfach bekannt. Die Mittel dazu haben die großen Regierungen – unser Geld. Jetzt werden sie diese Mittel einsetzen. Der Steuerzahler zahlt. Die genauen Bedingungen sind noch nicht bekannt. Aber klar ist: Sie werden die bisherige Linie aufweichen. Schon sickert durch, dass der IWF darauf besteht, dass der sich abzeichnende, so oder so getarnte Schuldenschnitt jedenfalls nicht auf seine Kosten geht. Damit erhöhen sich die Lasten für den europäischen Steuerzahler. Dass Regelungen gebrochen werden, die uns noch als die Rettungsanker für Europa, den Euro und die Stabilität verkauft wurden – vergessen wir das. Das Gedächtnis Europas ist kurz, wenn es um das Verändern unveränderlicher Regeln geht.Varoufakis setzt Maßstäbe.

2. Zweierlei Recht in Europa

Damit ist nahe, was Varoufakis und sein Ministerpräsident Alexis Tsipras immer gefordert haben – eine politische Lösung für die Schulden des bankrotten Staates und seiner Mißwirtschaft. Dabei steht für „politisch“: Die europäischen Steuerzahler verzichten darauf, dass Griechenland seine Zusagen einhält. Sie geben weitere Kredite frei, auch wenn der sprichwörtliche Schlendrian weitergeht, überzählige Beamte neu eingestellt und Steuern weiterhin nicht eingetrieben und säumige Steuerschulden 50 Monate gestundet werden. In Deutschland führt die verzögerte Abgabe einer Umsatzsteuer-Voranmeldung um nur einen Tag zu einem Verfahren; in Griechenland kann man die Steuerschuld über 4 Jahre strecken, wenn überhaupt je gezahlt wird. Gerecht ist das nicht. Der Dumme ist, wer es sich gefallen lässt, in einem Europa zweierlei Rechts zu leben. Varoufakis demonstriert, dass Recht Käse ist, Schafs-Käse für Schafsköpfe.

Trotzdem trommelt die Euro-Popaganda. Das sei eine gute Nachricht für Europa: Griechenland geht weder bankrott noch schert es aus der Euro-Zone aus. Eine Ende des Euro in Griechenland würde das Land zumindest vorübergehend in ein wirtschaftliches Chaos stürzen und vermutlich riesige Hilfsleistungen aus Europa auslösen. Dass dies vermieden wird, ist gut und erspart Europa eine Reihe weiterer Konflikte: Schließlich hat Griechenland offen damit gedroht, Deutschland mit Milliardenforderungen zu überziehen, den deutschen Finanzminister vor einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu zitieren und im Konflikt mit Russland die Fronten zu wechseln. Das alles wird jetzt abgebogen. Da sind wir aber froh, dass die Geholfenen die Helfer nicht verprügeln. Was für eine Gnade!

Aber es ist leider auch eine sehr schlechte Nachricht für Europa. Denn die dahinter liegende Botschaft lautet:

3. Arme zahlen für Wohlhabende

Es geht doch! Es geht ohne Reformen, wenn man sich nur bockig genug anstellt. Es lebt sich gut auf Kosten der anderen, auch wenn man die, die einem helfen sollen, ständig beschimpft. Es gibt ein Zwei-Klassen-Europa – einige zahlen, ein paar Wenige kassieren viel. Und die Zahler, das sind keinesfalls die „Reichen“, denen man es gerne wegnehmen kann wie den Deutschen und Franzosen. Zu den Zahlern gehört auch ein Land wie Slowenien, in dem Lebensstandard und Wirtschaftsleistung ein Viertel niedriger sind als in Griechenland. Slowenien hat an Griechenland Kredite und Garantien von fast 1,6 Milliarden Euro vergeben; das ist gemessen an seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sogar ein Drittel mehr als Deutschland Griechenland zur Verfügung stellt. Solche Disziplin und Solidarität allerdings wird offensichtlich in Europa nicht belohnt. Es kriegt der, der pöbelt, droht, betrügt, beschimpft und Verträge bricht. Wer Erfolg hat, wird fiskalisch bestraft, das ist der Varoufakis-Sirtaki.

4. Dieses Europa hat seine Seele verloren

Beständiger Rechtsbruch, Erpressung, Plünderung: Es wird immer schwieriger, vor diesem Hintergrund Europa noch als eine echte Gemeinschaft zu akzeptieren, in der zwar hart verhandelt wird, aber in der doch noch eine Basis der Gemeinsamkeiten besteht. Europa verkommt vor unseren Augen zu einer Zockerbude, in der derjenige gewinnt, der am lautesten droht.

Dabei entscheidet sich in diesen Monaten, ob Großbritannien aus der Europäischen Union aussteigt. Das ist die eigentliche europäische Herausforderung – denn einen Grexit, das Ausscheiden Griechenlands, könnte Europa verkraften. Der Brexit, das Ausscheren Großbritanniens, immerhin die zweitgrößte Wirtschaft der Union und immer noch eine Atommacht mit diplomatischer Weltgeltung, der Brexit wäre das, wovor sich wirklich alle fürchten müssen: Das Zerbröseln des europäischen Traums, ein Untergang im Sog der griechischen Korruption und Unverschämtheit. Denn klar ist, wenn Griechenland mit dieser Strategie durchkommt, ist Europa zukünftig ein Muster ohne Wert. Seine Verträge, sein Recht hat dann nur noch den Charakter von Gummiparagraphen. Der Zerstörung seines Geldsystems zur Rettung des Euros folgt dann die Zerstörung seiner Rechtsordnung, die ja nur noch Bürger unterschiedlicher Klassen kennt: Dumme und Freche, und die letzteren setzen sich durch. Und während der Brexit offenkundig achselzuckend hingenommen wird, wird gegen den Grexit gekämpft. Umgekehrt wäre es richtig – Großbritannien fordert Reformen, die Europa helfen würden: Mehr Eigenverantwortung, weniger Zentralismus, mehr globale Orientierung, mehr wirtschaftliche Dynamik. Aber Europa will das nicht – sondern mehr Almosen an Griechenland. Mehr Zentralismus, mehr Korruption. Das ist die Botschaft. Europa hat keine Seele mehr, aber Profiteure wie Varoufakis.

5. Letzte Hoffnung Varoufakis

Damit stehen wir wieder am Anfang. Noch hat Griechenland dieses „letzte Angebot“ der Europäer nicht akzeptiert. Damit hat Europa noch eine winzige Chance – dass die Rüpel von Athen in ihrem Größenwahn und Fanatismus auch dieses ablehnen.

Dann bekämen doch die Optimisten recht – nämlich dass Europa sich von dieser Zersetzung seiner inneren Werte befreien könnte. Der Austritt Griechenlands würde Europa die Chance eröffnen, dass es wieder auf einen wirtschaftlich prosperierenden Weg zurück findet und als Rechtsgemeinschaft erhalten bleibt. Auch eine schrittweise Gesundung des Euros wäre dann wenigstens wieder vorstellbar. Hoffen wir also auf Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis.




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