Grexit: Griechenland ist überall

„Was wirtschaftlich verkehrt ist, kann politisch nicht richtig sein“; mit diesem Satz stemmte sich der damalige FAZ-Kommentator Hans D. Barbier in den 90ern gegen die Währungsunion.

Bekanntlich vergeblich. Seither hat sich Europa verändert – was politisch wünschbar ist, wird gemacht, die Wirtschaft hat zu folgen wie der Dackel dem Herrn. Und Wirtschaft – damit werden seither einseitig Konzerne und Unternehmer verstanden.




Das Leben der Menschen dagegen ist Politik, die per Gesetz gestaltet wird. Es ist ja auch alles gut gegangen.

Die Ekstase der Politik

Jedenfalls bis zu diesem Wochenende; bis zum Scheitern der Verhandlungen über noch ein griechisches Rettungspaket. Eine wahre Orgie der „nationalpopulistischen Ekstase“ (so der frühere griechische Kurzzeit-Finanzminister Evangelos Venizelos) erschüttert das griechische Parlament; da ist viel von „Demütigung“ und „heldenhaftem Kampf“ die Rede, von Volk und Ehre – und dabei geht es doch bloß darum, ob die EZB per ELA die Geldautomaten auffüllt oder dafür frecherweise Gegenleistungen verlangt. Rhetorisch herrscht der spanische Bürgerkrieg, marschieren die Faschisten, und dazu passt, dass der rechtsradikale griechische Verteidigungsminister davon sprach, den „Kougi zu machen“ – auf diesem Hügel sprengten sich Widerstandskämpfer lieber in die Luft, statt zu kapitulieren. Und all das Getöse wegen 1,6 Mrd. IWF-Schulden? Nirgendwo wird die infantile Haltung deutlicher als in dieser Debatte, in der Phantasien gepflegt wurden und Rationalität strikt vermieden. Politik eben statt Rechnen, wie man mit möglichst wenig Ressourcen ein Maximum an Ergebnis erzeugt – Wirtschaft eben. Aber die braucht ja keiner mehr, wenn die Politik sie außer Kraft setzt.

Alle schimpfen jetzt auf Alexis Tsipras und seinen Finanzminister Yanis Varoufakis; dabei wurde er noch im Januar von der Wirtschaftswoche als „sexy“ und beispielgebend für Europa auf dem Titel gefeiert. Wer jetzt diese Griechen tadelt, tadelt Europa.

Griechenland ist Europa at its Best

Denn Griechenlands neue Regierung ist eigentlich der Höhepunkt dieser Entwicklung, in der die Politik triumphiert und Wirtschaft nicht mehr zählt. Sie argumentiert immer „politisch“, und das ist ein neues Synonym für Wunschdenken. Nicht mit den Zahlenknechten, den Finanzministern, wollte man verhandeln – sondern auf Ebene der Regierungschefs; denn die sind wie Gott, ihr Wort ist Gesetz der Wunscherfüllung.

Die Wirtschaft ist nur noch da, dieses Wunschdenken zu realisieren. Höhere Renten? Das ist nur gerecht. Höhere Löhne? Jede Arbeit muß nicht nur bezahlt, sondern mit einem höheren Lohn auch noch „wertgeschätzt“ werden. Mindestlöhne? Im Zweifelsfall zu niedrig; die Unternehmer verweigern höhere Löhne nur aus Hartherzigkeit. Geld? Kann gedruckt werden, dazu haben wir Mario Draghi in seinem Glaspalast. Schulden? Dehnbar, verschiebbar, verhandelbar.

Europa – und übrigens auch Deutschland – hat sich in einen Rausch der politischen Möglichkeiten gesteigert, in dem Wirtschaft nur noch die Dienstmagd ist, der Knecht, der den Politikern an ihren übervollen Tisch die nächste Flasche aus dem Keller zu bringen hat.

Mit den Wörtern haben sich die Werte verschoben: Alles ist irgendwie Demokratie, alles verhandelbar, alles per Mehrheitsentscheidung herstellbar. Warum sollen die Griechen nicht darüber abstimmen, wieviel Geld ihnen aus Europa zufließen soll oder dass sie die Rückzahlung alter Schulden verweigern? Demokratie ist, wenn für höhere Renten gestimmt wird, ohne zu überlegen, wer sie finanziert. (Dass Griechenland ähnlich überaltert ist wie Deutschland und in den kommenden Jahrzehnten zu einem verarmenden Altersheim wird – ach ja? Fakten werden gerne weggestimmt.) Die Vorherrschaft des Politischen feiert ihre Triumphe.

Übrigens ja nicht nur in Griechenland. „Macht uns der Kapitalismus kaputt“, wollte die süddeutsche Zeitung am Montag danach wissen und lieferte 13 Zahlen von Burn-Out bis Gini-Koeffizienten, mit dem die skandalöse Ungleichverteilung nachgewiesen werden soll, die sich in der Lebenswirklichkeit einfach nicht einstellen will. Irgendeine Alternative? Geschwurbelte Fehlanzeige. Aber irgendwie hängt alles mit allem zusammen, nur nicht mit Logik, was die vorherrschende linke Verschwörungstheorie über Kapitalisten, die noch keiner je gesehen hat, ja ohnehin auszeichnet: dumpfes Ahnen, gieriges Wollen, tumbes Nicht-Verstehen als Welterklärung. Und deshalb führt Deutschland die Rente mit 63 wieder ein – Andrea Nahles würde eine gute Figur machen in der Syriza.

Politikversagen wird verleugnet

Richtiger wird es nicht, wenn man dieselben Fehler macht wie die Griechen, nur weil die politische Logik der Koalitionsverhandlung erzwingt, dass man gegen jede Realitätsnotwendigkeit Mütterrenten und Frühverrentung gleichzeitig verabschiedet. Die Wirtschaft, also das, was die Menschen erschaffen, hat zu erbringen, was Berliner Phantasien sich so herbeifabulieren. Vielleicht sollte man sich wieder auf die Grundgedanken des Nobelpreisträgers James Buchanan zurückfinden. Er hat dem lautstark bejammerten „Marktversagen“ den Begriff des „Politikversagens“ entgegen gestellt.

Politik ist danach kein Wahrheitsbetrieb, hat nichts mit dem Gemeinwohl zu tun, wie Deutsche so gerne glauben wollen, sondern ist ein Interessenkampf; und Politiker, man glaubt es kaum, sind keine Engel, sondern Menschen wie Du und ich, also Egoisten. Ihr Handeln ist eher auf ihre Wiederwahl oder ein möglichst hohes Steueraufkommen ausgerichtet, als auf das Gemeinwohl. (James M. Buchanan, Gordon Tullock: The Calculus of Consent – Logical Foundations of Constitutional Democracy. Ann Arbor, 1962, 1989.)

Und deshalb muss der Einfluß der Politik begrenzt werden – wobei das Primat der Politik im Verhältnis zur Wirtschaft sowohl das Dritte Reich wie der DDR kennzeichnete. Aber diese Begrenzung des politischen wird zunehmend aufgehoben – und das beste Beispiel ist der Euro und der Umgang mit den dazu gefundenen Regeln: Vermutlich gibt es keine Regel im Maastricht-Vertrag, die nicht gebrochen wurde, wenn es der Politik notwendig erschien, um ihr „Projekt“ gegen die Realität zu verteidigen. Deutsche „Ordnungspolitik“, die die unterschiedlichen Sphären abgrenzte und damit begrenzte, ist altmodisch in Europa.

Die Folge: Ein grandioseres Politikversagen als die Einführung des Euros kann man sich kaum vorstellen: Er funktioniert halt nicht, so lange Wirtschaft, Soziales, Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht, Wirtschaftskraft und Wirtschaftsverständnis, Finanzpolitik und Finanzverstand nicht wenigstens halbwegs harmonisiert sind in Europa: Was wirtschaftlich falsch ist, kann politisch eben nicht zurechtgebogen werden. Deshalb werden die Deutschen eben zahlen für die Fehler einer wirtschaftsfernen Politik; mit 80 Milliarden für Griechenland und mit 250 Milliarden in Form von Zinsverlusten für Lebens-, Riester- und Bausparverträgen; kurz: mit ihrer Altersversorgung. Da wird ja dann sicherlich die Süddeutsche wieder den „Kapitalismus“ bemühen, wenn der Wohlstand der Gesellschaft in Altersarmut umschlägt – nur nicht mit Fakten wird es erklärt werden, denn die stammen aus dem politischen Raum. Der arbeitet weiter mit seinem Primat. Die Kosten steigen. Ob Europa diese Lehre aus dem Griechenland-Desaster zieht? Wohl kaum. Während die Wähler dem obskuren Projekt eines europäischen Zentralstaats davon laufen, basteln seine Profiteure genau daran.  Politik ist eben zu schön für die, die sie betreiben. Nicht nur in Griechenland.




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