Flüchtlinge und der Terror: Die Politik ist das Problem

Flüchtlinge haben nichts mit den Terroranschlägen zu tun, Flüchtlingspolitik aber schon. Die Absurditäten werden unter den grellen Blitzlichtern deutlich sichtbar.

1. Nach Paris

Nein, Flüchtlinge haben nichts mit der Terror-Debatte nach den Anschlägen in Paris zu tun. Schließlich gibt es ja durchaus viele Menschen, die vor den vielen Ausprägungen des Terrorismus fliehen müssen. Sie zu bestrafen, wäre verkehrt. Das ist, als hätte man deutsche Juden, die vor den KZ’s fliehen mussten, nicht einreisen lassen, weil sie Deutsche sind. (Dass dies trotzdem geschah, machte die Sache nicht besser). Pauschalverdacht war nie ein guter Ratgeber. Wovor fliehen die Menschen? Lange hieß es, vor Assads Faßbomben. Seit Samstag soll es das Kalifat sein. Das zeigt: Wir wissen es nicht. Es ist erbärmlich, wie wenig Informationen wir über die große Zahl der Einwanderer erhalten. Was machen eigentlich unsere Behörden? Ohne Grundlage wirkt jede Argumentation aber so beliebig und entwertet sich – und das in dieser wichtigen Frage. Die Grenzen wurden geöffnet, und wir sind blind. Das ist erbärmlich.

2. Nicht die Flüchtlinge sind das Problem. Die Politik ist es.

Nicht die Flüchtlinge haben etwas mit dem Terror zu tun, wohl aber die Flüchtlings-Politik. Es hat sich ja in den Köpfen festgesetzt, dass man Grenzen nicht kontrollieren könne und auch nicht kontrollieren solle. Alles andere wäre Abschottung, schiere Unmöglichkeit, Rückschrittlich. Dieselben, die in dieses Horn blasen, dazu zählt auch Sigmar Gabriel, fordern allerdings, Europas Außengrenzen zu schließen. Da sieht man das Dilemma: Die paar Kilometer Grenze nach Österreich sollen sich nicht überwachen lassen – aber dafür die Küstenlinien Griechenlands oder Italiens? Denn aus Polen oder Frankreich oder  Tschechien kommen keine Flüchtlinge nach Deutschland. Und da sollen wir nicht kontrollieren können? Das ist diese Doppelzüngigkeit der Flüchtlingspolitik in Deutschland: Die Griechen sollen erledigen, wofür wir zu bequem, zu feig oder was auch immer sind. Das ist so unlogisch wie schäbig und macht unglaubwürdig. Die ständige Wiederholung macht die Sache nicht besser. Längst rücken unsere europäischen Nachbarn von uns ab und beginnen ihrerseits, die Grenzen nach Deutschland wieder zu kontrollieren oder sich aus der europäischen Flüchtlingsdebatte zurück zu ziehen. Unsere Politik gefährdet das gemeinsame Europa. Dieser Trend wird sich nach Paris verstärken, weil andere Gesellschaften anders damit umgehen. Das können wir den Tschechen, Polen und Franzosen übrigens nicht verbieten. Wir haben uns isoliert.

3. Nach Paris wächst das Gefühl der Unsicherheit

Die öffentliche Debatte hat das noch nicht wirklich erreicht. Mittlerweile wissen wir ja, dass die Bomben nicht vor, sondern im Fußballstadion hätten gezündet werden sollen. Ein Wachmann hat den Sprenggürtel ertastet. Grauenhaft die Vorstellung, was nach der Explosion im Stadium passiert wäre – ein Massensterben von Menschen in Panik. Dann wären auch viele Deutsche, Zuschauer wie Fußballspieler, unter den Opfern gewesen. Dann würde vermutlich nicht so leichtsinnig daher geredet und geschrieben, wie das derzeit der Fall ist. Der Anschlag wurde in Frankreich verübt – aber er zielt auch auf Deutschland. Viele Menschen spüren das – und wachsende Unsicherheit ist die Folge. Unsicherheit ist für jede Gesellschaft Gift. Aber man kann sie nicht verordnen.

4. Wir wissen nichts

Das Innenministerium erklärte noch am Freitag, dass nicht einmal die Zahl der Asylbewerber in den Aufnahmelagern bekannt sei. Wir haben schon das Zählen aufgegeben. Die Identifizierung der Migranten sowieso – viele vernichten ihre Pässe, machen falsche Angaben, um ihr Ziel zu erreichen. Nein, das sind keinesfalls reisende Terroristen. Terroristen finden immer Weg an ihr Ziel. Aber ein Staat, der die Kontrolle abgibt, macht es sich zu einfach. Und kann nicht verlangen, dass ein Gefühl der Sicherheit entsteht. Der Kontrollverlust, der sich in der Flüchtlingspolitik nicht nur zeigt, sondern sogar zum Prinzip erhoben wurde, ist es, was Sorge macht. Glaubt hier wirklich jemand, dass es noch so etwas gibt wie „Innere Sicherheit“, nachdem die Sicherheitsbehörden zum Abdanken veranlasst wurden? Deutschland hat lange die Kontrolle über seine Bürger perfektioniert, wie jedermann nachempfinden kann, der versäumt hat seine GEZ-Gebühr rechtzeitig zu bezahlen und dafür mit Gefängnis bedroht wird. Und in diesem Land also sollen – genaue Zahlen gibt es nicht – Hunderttausende von Menschen leben, die sich der Kontrolle und Registrierung entziehen? Nicht die Flüchtlinge sind das Problem – diese Politik ist es. Eine gesellschaftliche Debatte braucht gemeinsame Faktengrundlagen. Dass es die nicht gibt, ist beschämend.

5. Wie sicher sind wir noch?

Schwieriger wird die Frage, wie die mittelfristige Sicherheitslage sich entwickelt. Die Attentäter in Frankreich, im Januar mit dem Anschlag auf Charlie Hebdo und jetzt in diesen Tagen erneut, waren Franzosen. Sie sprachen perfekt französisch. Sie entstammten den arabischen Milieus, die sich in Frankreich und Belgien herausgebildet haben. Frankreich versucht, seine Neubürger über die Sprache zu integrieren. Es ist nicht gutgegangen. Auch in Deutschland haben sich längst Ghettos gebildet; es ist ja nicht verkehrt, wenn Georg Mascolo davon spricht, dass wir Terroristen exportieren: In Deutschland geborene, die in Syrien in den mörderischen Krieg ziehen. Frankreich ist deshalb so betroffen, weil sich seine islamistischen Söhne so sicher und selbstverständlich in diesem Land bewegen und es zerstören wollen. Das stellt die oft thematisierte Integration in Frage. In Frankreich ist sie über weite Strecken eben gerade nicht erfolgt. Wird sie bei uns gelingen? Das wird die zentrale Frage sein. Denn in den so irreführenden Satz von Merkel „Wir schaffen das“ schwingt ja eine Frage mit, die der grüne Bürgermeister Boris Palmer zu Recht gestellt hat: Was schaffen wir eigentlich? Nur das Unterbringen von Millionen Menschen irgendwie und zu irgendwelchen monetären und gesellschaftlichen Kosten allein ist es nicht. Wie schaffen wir die Integration, und zwar zuverlässig? Hugo Müller-Vogg hat diese Frage gestellt. Was müssen wir tun, um die französischen Fehler nicht zu wiederholen? Dazu höre ich nichts, außer wertloser Lippenbekenntnisse. Es geht nicht so einfach, die in der Sonntagspredigt, die wir jetzt jeden Tag hören, weil Fakten nicht geleugnet werden – wir haben sie erst gar nicht.

6. Politik ist manchmal schier unerträglich grausam

Die jüngsten Reden der Kanzlerin waren nicht wirklich ermutigend. Ja, viele fühlen sich von ihrer emotionalisierenden Art aufgenommen und aufgehoben, wenn sie sagt: „Wir leben von der Mitmenschlichkeit, von der Nächstenliebe, von der Freude an der Gemeinschaft“. Schön gesprochen. Aber reicht das? Der hohe Ton evangelischer Kirchentagspredigten sind kein Ersatz für Politik. Politik muss sich der Wirklichkeit außerhalb der Kirchentür stellen.

Sicherheit ist eine Frage von Kontrollen, Begrenzungen, Verdächtigungen und Verhaftungen. In diesen Tagen sei an Helmut Schmidt erinnert. Er war ja nicht immer der nette Onkel von der ZEIT, und ich bei kein glühender Bewunderer vieler Aspekte seiner Politik. Aber er hat zwei politische Groß-Leistungen vorzuweisen, die ihn zum Vorbild machen: Den Nato-Doppelbeschluß, der die Verteidigungsfähigkeit des Westens wieder hergestellt hat und durchaus einen Beitrag dazu geleistet hat, die Sowjetunion wirtschaftlich endgültig auszumanövrieren. Es war schiere Machtpolitik, gestützt auf Raketen und Atomsprengköpfe, bitter, brutal, vielleicht zu riskant und zynisch erscheinend, in jedem Fall höchst umstritten und auf Demonstrationen von Hunderttausenden auch mit guten Argumenten bekämpft. Kirchentagspredigten waren es nicht. Und auch sein Verhalten im Kampf gegen die Verbrecher der Roten Armee Fraktion war nicht unumstritten; Kontrollen, Verhaftungen, Verschärfungen der Sicherheitsgesetze – und die bittere Entscheidung, Hanns-Martin Schleyer der Staatsraison zu opfern, seine Ermordung in Kauf zu nehmen. Helmut Schmidt hat das auch der Familie Schleyer erklärt; regieren verlangt wohl Grausamkeit, und es verlangt Menschen, die sich dem stellen für uns alle, damit wir in unseren weichen Betten ruhig schlafen können. Schmidt hat sich gestellt, auch jenen, die ihn der Mitschuld bezichtigten. Er hat es für seine Pflicht gehalten, das Richtige zu tun, auch wenn es viele für das Verkehrt hielten. Sein Gespräch mit Eberhard Schleyer zeigt diese Brutalität.

Handeln ist nicht immer freundlich, es kann hart sein und erzwingt Konsequenzen, die zutiefst umstritten und grausam sein können. Die Selbstaufgabe der deutschen Politik steht in einem seltsamen Verhältnis zur erkennbaren Realität

7. Eine Leerstelle in Deutschland

Wenn man sich die aktuelle Personallage anschaut und sie reden hört, dann empfindet man eine klaffende Leerstelle. Die Käsmannisierung der Politik scheint ungebremst fortzuschreiten. Und das ist der Bogen zur Flüchtlingspolitik. Gesamtgesellschaftliches und unbegrenztes Kirchenasyl ist nicht die Lösung. Sie ist das Problem, in dem auch und gerade Flüchtlinge untergehen könnten. Auch unsere Nachbarstaaten sehen das so. Sie rücken von Deutschland ab, das Wort von der Hippie-Regierung ist nicht schmeichelhaft. Frankreich verdient unsere Solidarität, aber wenn man den Reden der Kanzlerin Merkel und der Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zuhört, dann ist es ein einziges Abgerücke. Da war Gerhard Schröder nach 9/11 entschiedener, obwohl er nicht zu den erklärten Freunden Amerikas gehört. Kann sie es? Bislang hat sie es nicht bewiesen. Die Stunde der Bewährung ist nicht in einem Koalitionsvertrag vereinbar. Sie schlägt einfach. Unsere Freunde in Frankreich haben verdient, dass wir uns dem stellen und nicht nur von der deutsch-französischen Freundschaft schwadronieren, wenn der junge Beaujolais ankommt. Hollande scheint in der Krise zu wachsen. Was macht Merkel?

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