Flüchtlinge: Die Bundesregierung muss jetzt endlich handeln

Wir haben ein Flüchtlingsproblem - verschärft wird es noch dazu durch das offenkundige Versagen der Politik. Sie laboriert an Auswüchsen, statt das Asylrecht wieder funktionsfähig zu gestalten und Fluchtursachen zu bekämpfen, die europäische Koordinierung wieder zu ermöglichen und die Integration zu fördern.

Über 800.000 Flüchtlinge allein in diesem Jahr: Es ist großartig, wie viele Menschen sich in Deutschland für die Neuankömmlinge einsetzen, ihre Herzen und buchstäblich ihre Türen öffnen. Wer in Not ist, wird nicht allein gelassen. Manchmal wirkt Deutschland träge und satt. Dabei warten die Menschen nur auf einen Anlass, um ihre Größe zu zeigen.

Wir brauchen diese Großherzigkeit, aber wir brauchen auch den Verstand. Die Regierung muss dem Souverän endlich reinen Wein einschenken. Die Integration der Flüchtlinge ist eine Aufgabe für uns Alle. Allerdings muß die Politik dafür den Rahmen schaffen. Dabei versagt sie völlig, sie ist getrieben von jedem neuen Ankömmling, von einer heiß laufenden öffentlichen Debatte und von zunehmender Gewalttätigkeit. Aber zu Recht stellen die Menschen viele Fragen.

Brauchen wir neue Flüchtlingsstädte?

Deshalb muss die Bundesregierung jetzt wichtige Fragen klären: Überbelegte Notaufnahmelager, Turnhallen und Zeltstädte sind keine Lösung. Wer baut die Wohnungen und neuen Stadtteile, die wir jetzt brauchen? Können wir mal kurzfristig auf allzu strenge Bauvorschriften und lange Planungen verzichten? – Wohnungen jetzt und nicht im nächsten Jahrzehnt sind das Gebot! Und, liebe Bundesregierung, eine Mietpreisbremse hilft gar  nichts, wenn es zu wenige Wohnungen wegen zu vielen Zuwanderern gibt.

Wie viele Lehrer werden gebraucht, die Erwachsenen und Kindern Deutsch beibringen? Wer übernimmt die Finanzierung? – Die Städte und Gemeinden sind überfordert. Wo sind sie die Arbeitsplätze? Warum drücken sich die europäischen Nachbarn vor ihrer Mitverantwortung? Deutschland hat keine offene Grenzen, damit sie jetzt von den Nachbarn missbraucht werden, um Menschen einfach wegzuschicken!

Wer diese Fragen stellt, gerät schnell in ein Minenfeld. Auf der einen Seite die „Guten“, die fordern „Alle rein“. Auf der anderen Seite die „Bösen“, die das für keine gute Idee halten. Aber wie immer liegt die Wahrheit zwischen den Extremen, wobei derzeit die Guten zu einseitig die öffentliche Debatte beherrschen und damit die Lösung der Probleme blockieren, was ihnen wohl ihnen wohl gar nicht bewusst ist.

Wer diese Fragen nüchtern stellt, ist nicht „böse“; wer diese Fragen nicht stellt und nur auf sein Herz hört, nicht automatisch „gut“. Es sind häufig unangenehme Wahrheiten. Etwa, dass sich viele unserer Nachbarstaaten nicht verantwortlich fühlen dafür, wie das deutsche Asylrecht konstruiert ist und zunächst jedem offen steht, auch wenn er erkennbar kein Flüchtling ist.

Wo sind die Arbeitsplätze wirklich?

Denn jetzt sind alle gefordert: Wo ist die Fachkräftelücke, von der die Wirtschaft spricht? Die Wirtschaftsverbände müssen jetzt Arbeitsplätze vorweisen. Sonst setzen sie sich dem Verdacht aus, dass sie nur ein Heer billiger und williger Arbeitskräfte wollen, aus dem sie sich dann den einen oder die andere herauspicken – und die große Zahl bleibt im Sozialstaat hängen, zu Lasten der Bürger und Steuerzahler.

Immer schon war der Arbeitsplatz die beste Integrationsmaschine. Für manche ist es schwer, als Erwachsene auf der Schulbank noch eine fremde Sprache zu lernen. Aber im Betrieb, von der Kollegin, vom Meister – da sieht man sofort, worum es geht. Deshalb brauchen wir auch eine Vorfahrtsregel für alle, die einen Arbeitsplatz finden und einen Arbeitgeber, der sie einstellt. Diese Menschen helfen mit ihrer Arbeit, ihren Steuern und Sozialabgaben sofort mit, das Flüchtlingsproblem zu finanzieren.

Niemand versteht, warum der Missbrauch von Asylsuchenden nicht innerhalb von 2 Tagen festgestellt werden kann, wie etwa in der Schweiz, sondern dass wir Monate brauchen – verlorene Zeit und enttäuschte Erwartungen. Da fehlen nicht nur Beamte, sondern Entschiedenheit. Das Grundrecht auf Asyl beinhaltet nicht ein Grundrecht auf Missbrauch. Und der Missbrauch durch das Asyl-Karussell etwa nach Albanien gehört abgestellt: Mit dem Mini-Van nach Deutschland, Taschengeld im Voraus kassieren, zurück mit dem Abschiebe-Charter-Flieger und demnächst wieder von vorne – hilfsbereit sind die Deutschen schon, dumm nicht.

Barbara John, die frühere Ausländerbeauftragte Berlin, beschreibt das: Danach „zählen die Monate, die sie hier im Verfahren sind. Ab dem 4. Aufnahmemonat bekommen sie etwa 360 Euro zur Versorgung neben der Unterkunft, ab dem 15. Monat so viel wie ein Hartz-IV-Empfänger. Die kürzeste Zeitdauer der Asylprüfung für diese Gruppe beträgt jetzt durchschnittlich mehr als fünf Monate. Danach beginnt der individuelle Kampf um die Bleibeverlängerung. Es werden Widerspruchs- und Klageverfahren angestrengt, später Reiseunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt. Und wenn alle Halteseile zu reißen drohen, lässt man sich vor dem Gerichtstermin in eine Klinik einweisen, um nach drei Tagen „in gutem Allgemeinzustand“, wie es die Gerichtssprecherin eines Verwaltungsgerichts mitteilte, wieder aus dem Krankenhaus entlassen zu werden. Nein, Schmarotzervorwürfe sind neben der Sache. Die Leute verhalten sich völlig legal und rational, sie nutzen die gesetzlich gegebenen Möglichkeiten, wie wir es bei anderen Gelegenheiten auch tun.“

Asylrecht zerstört sich selbst

Das Asylrecht ist nicht mehr funktionsfähig; und die Betroffenen sind Menschen, die vor Krieg und Not fliehen. Die Gewinner sind Wirtschaftszuwanderer, die das Asylrecht nicht meint. Damit zerstört sich der grundgesetzliche Anspruch auf Asyl selbst.

Da hat Frau John eine bittere Wahrheit ausgesprochen. Gerade weil ich mich auch so verhalten würde, wenn das Taschengeld in Deutschland höher ist als ein Facharbeitergehalt auf dem Westbalkan, gilt: Wir müssen dieser Wirtschafts-Einwanderung in unser Sozialsystem einen Riegel vorschieben – im Interesse echter Flüchtlinge aus Krisengebieten, im Interesse aber auch unseres Sozialstaats.

Und nur dann werden wir auch mit den europäischen Nachbarn wieder zu einer gemeinsamen Regelung kommen: Aber Frankreich und Italien sehen nicht ein, warum sie sich dem deutschen Staubsauger entgegenstellen sollen, der mit der Kombination aus Asylrecht und guter Versorgung die Wirtschaftswanderung aus der ganzen Welt ansaugt. Die Not der Flüchtlinge sollte nicht nur in Deutschland bekämpft werden.

Viele Flüchtlinge aus Syrien sind zwei mal geflohen: Zuerst vor Bomben, Terror und Islamismus – und dann noch einmal vor den wirklich menschenunwürdigen Zuständen in den Massenzeltlagern in der Türkei und im Libanon. Warum helfen wir diesen Ländern nicht bei der Versorgung der Flüchtlinge dort? Viele Flüchtlinge wollen gar nicht bis ans andere Ende der Welt reisen; sie wollen in der Nähe ihrer Heimat und Verwandten bleiben, wenn es irgendwie geht. Dies müssen wir unterstützen – im Interesse der Menschen, statt sie den Schleppern auszuliefern, die sie ausbeuten und in Lebensgefahr bringen oder sogar umbringen.

Brauchen wir ein Ministerium für Bevölkerungsfragen?

Wir müssen mithelfen, auf dem Balkan die Wirtschaft aufzubauen, statt die tüchtigsten Köpfe wegzulocken und bei uns zur Untätigkeit im Auffanglager zu verurteilen. Das Asylrecht darf nicht länger gegen den notwendigen Zuzug von Fachkräften ausgespielt, beides muß harmonisert werden. Dazu müssen Union und SPD ihre gegenseitige Blockade überwinden; die Menschen erwarten das. In der Flüchtlingsfrage müsse man „jeden Stein umdrehen“ umdrehen, fordert Barbara John. Da hat sie Recht. Aber die Bundesregierung handelt kurzsichtig; ihr geht es um ein paar mehr Beamte, statt darum, das Asylrecht wieder funktionsfähig zu machen. Sie verbessert und vergrößert Aufnahmelager, statt sich um Integration und Bekämpfung der Fluchtursachen zu kümmern.

Es sieht so aus, als ob die Flüchtlinge weniger das Problem wären, sondern eine gelähmte Bundesregierung.Vielleicht brauchen wir einen „Bundesminister für Bevölkerungsfragen und Migration“. Ich persönlich glaube ja nicht an den Segen durch Bürokratie. Aber vielleicht würden dann wenigstens einmal die Fragen gestellt werden, um die es jetzt wirklich geht. Denn eigentlich hätte ja die derzeitige große Koalition die notwendige Mehrheit für Reformen im Deutschen Bundestag. Aber da sie politisch handlungsunfähig zu allen Themen ist, die nicht im Koalitionsvertrag ausgehandelt wurden, ist Deutschland in dieser Frage gelähmt und hilflos. Die Bundeskanzlerin führt nicht; SPD-Chef Sigmar Gabriel kümmert sich mehr um Flüchtlings-PR als Politik.

70 Fragen, die Deutschland bewegen

Nur wenn Herz und Verstand wieder zusammenwirken, gelingt die Aufnahme der Flüchtlinge – ansonsten schlägt die Enttäuschung schnell in Wut um. Und die macht alles kaputt. Aus der Vielzahl von Zuschriften, die wir dazu erhalten haben, haben wir 70 zusammengestellt. Manche sind vergleichsweise einfach zu beantworten – andere schon in der Fragestellung eine Provokation. Aber das bewegt die Menschen. Sie zeigen, dass wird dringenden Diskussions- und Handlungsbedarf haben – eine Diskussion jenseits von Zustimmung oder Ablehnung, und Handlungsbedarf, der weit über einen „Koordinierungsstab“ beim Bundesinnenminister hinaus reicht.

Über 800.000 Flüchtlinge noch in diesem Jahr?

So viele Flüchtlinge erwartet der Bundesinnenminister. Und es können noch mehr werden. Sie hausen in überfüllten Notunterkünften, in Turnhallen, in Zelten. Täglich werden es mehr, bis zu 3.000 Menschen am Tag. Es sind Menschen, die vor dem Bombenhagel in Syrien flihen, vor der Not im Kosovo, dem Elend von Somalia,  dem Bürgerkrieg in Libyen; aber sie kommen auch aus vergleichsweise wohlhabenden afrikanischen Ländern wie Nigeria und Kenia.

Das sind die Fragen, die jetzt beantwortet werden müssen, und zwar ohne wenn und aber.

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