Der Euro-Sturz macht uns alle ärmer und Inflation wahrscheinlicher

Keine Unterstützung findet die Politik der EZB auf dem Weltwirtschaftsforum. Die deutsche Wirtschaft wird geschwächt, ein inflationärer Prozess in Gang gesetzt.

Na, da bin ich noch einmal davongekommen. Am Montag letzter Woche habe ich mein Hotel bezahlt, fürs Weltwirtschaftsforum kommende Woche in Davos. 2100 Euro für ein Zimmer mit Klo am Gang. Am Donnerstag hätte das Zimmer schon 2520 Euro gekostet. Warum? Die Schweizer Nationalbank hat bisher den Kurs ihres Franken an den Euro gekoppelt. Jetzt lässt sie den Euro fallen – und dessen Kurs ist um ein Fünftel gefallen, binnen Sekunden. Davos, wenn das Weltwirtschaftsforum der Reichen und Mächtigen dort tagt, ist eine Räuberhöhle, nach dem Kursverfall des Euros noch räuberischer. Aber meine persönliche Erfahrung, die ich in Bild am Sonntag so geschildert habe, ist leider nicht nur mein persönliches Schicksal. Er macht uns alle ärmer. Denn der Prozess der Abwertung geht immer weiter.

 

Urlaub in der Schweiz ist jetzt unerschwinglich. Na und?

Zunächst ist zwar die Schweiz betroffen. Der Hotelier Sepp Waldegg hat sein 3-Sterne-Hotel „Piz Mittel“ in Savognin gleich mal für eine Woche zugesperrt. Keine Kunden mehr da. Aber er nimmt es gelassen; Auf- und Ab ist er gewohnt. Das gilt für die gesamte Schweiz. Der Chemie-Konzern Lonza rechnet vor, dass er ja auch spart: Der teure Franken macht Importe billiger, also die Rohstoffe, die dort zu Feinchemikalien verarbeitet werden. Denn längst hat der Laden seine globalen Produktionsstätten und Absatzmärkte so austariert, dass er gegen Wechselkursschwankungen weitgehend immun ist. „Natural Heging“ heißt das. Das ist keine Zauberei. Auch deutsche Unternehmen praktizieren diesen Balance-Akt schwankender Währungen. Das ist einer der Gründe, warum Automobilwerke im Dollar-Raum eröffnet werden und die Zuliefererstruktur neu geordnet wird: Sie sollen im Ergebnis solche Schwankungen ausgleichen. Und das gelingt: über Jahrzehnte hat die deutsche Industrie zwar am Montag nach jeder Wechselkurs Erhöhung über ihren unvermeidlichen Untergang gejammert, aber am Dienstag erste Lösungen aus dem Hut gezaubert. Die Erfahrung zeigt: Aufwertung macht die Wirtschaft robust. Und hat die Deutschen über Jahrzehnte immer wohlhabender gemacht.

Warum Abwertung letztlich schädlich ist

Abwertung dagegen verwöhnt. Sie täuscht eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vor, die so nicht mehr vorhanden ist. Man kann es auch noch deutlicher sagen: Wenn Exporte über Abwertung verbilligt werden – werden sie verramscht. Letztlich bleibt für die Arbeitnehmer im Inland weniger Kaufkraft übrig. Das spüren sie nicht sofort, weil ja optisch ihr Lohn gleich hoch bleibt – auch wenn die reale Kaufkraft schrumpft. Notwendige Anpassungen unterbleiben. Das Musterbeispiel für ein notorisches Abwertungsland ist Italien – dessen Automobilindustrie faktisch verschwunden ist. Statt über 40 Werke wie früher betreibt FIAT gerade noch 4 in Italien, und die nur auf Kurzarbeit…. Aufwertung dagegen erzwingt nicht nur ständige Produktivitätssteigerung, sondern auch eine Anpassung der Produktpalette auf wirklich wettbewerbsfähige Dinge. Der Strukturwandel wird beschleunigt, und auch wenn es kurzfristig weh tut: Der Wohlstand wird nur so langfristig gesichert. Auch die Schweiz ist selbstbewusst. Während deutsche Zeitungen sich Gedanken um die Schweizer Wirtschaft machen, zucken die ja mit der Achsel. Und sprechen vom „Euro-Sturz“. Das klingt auch nicht gerade zuversichtlich für das gesamteuropäische Blechgeld.

Die Leidtragenden sitzen in Deutschland

Und dass die Nachteile eher in Deutschland liegen zeigt das Beispiel der Städte. Nicht so gut davongekommen beim Euro-Sturz sind die Bürger der Stadt Essen. Die Stadt hat für 290 Millionen Euro Kredite in Franken aufgenommen. Jetzt muss sie statt diesen 290 sogar 450 Millionen Euro zurückzahlen. Bochum hat sich mit 180 Millionen in Franken verschuldet – über Nacht wurden daraus 260 Millionen Schulden. Dorsten im Westen ist genauso Franken-schuldig wie Lindenfels in Hessen (5000 Einwohner) oder Bad Bramstedt im Norden. Ich schätze, dass deutsche Städte mindestens eine Milliarde Euro verlieren – also wir alle. Denn irgendwo muss das Geld ja wieder herkommen. Also werden die Städte die Gebühren erhöhen, Schwimmbäder schließen, die Renovierung der Schulen mal wieder verschieben. Verantwortlich dafür sind die Bürgermeister und Kämmerer. Wer Schulden in einer anderen Währung aufnimmt, spekuliert – und zwar auf das Allergefährlichste. Die leichtsinnigen Kämmerer haben sich durch niedrige Zinsen in den Franken locken lassen – jetzt wird ihre Gier bestraft und die Bürger zahlen. Nur die Kämmerer machen einfach weiter. Sie haften persönlich für nichts. Aber nicht nur beim Franken lassen sich die Städte über den Tisch ziehen. Arme Ruhrgebietsstädte haben kurz vor der Energiewende noch schnell teure Kohlekraftwerke gekauft – die jetzt keinen roten Heller mehr wert sind. Hannover hat sich Stromleitungen gerafft – 100 Millionen verloren. Andere Städte oder ihre Stadtwerke kaufen wie verrückt Stromnetze, Gasleitungen, versprechen ihren Bürgern fette Gewinne. Doch fast immer zahlen die Bürger drauf, wenn die Beamten in den Rathäusern Unternehmer spielen. Dabei sind sie nicht in der Lage, simpelste Zusammenhänge zu kapieren: Wenn Deine Erlöse in Euro anfallen, darfst Du deine Verpflichtungen nicht in Franken (oder Dollar) laufen lassen. Denn es kommt immer anders, als man denkt und zwar meist schlimmer. Jetzt hofft die Stadt Essen, dass der Schweizer Franken mal wieder fällt. Was für ein Irrsinn – Wohl und Wehe einer Großstadt hängt davon ab, wie sich der Euro-Kurs entwickelt? Ein Trauerspiel. Es zeigt, wie hundsmiserabel deutsche Städte gemanagt werden. Sie leben von der Hoffnung und vom Jammer, aber nicht vom Verstand.

Die Abwertungsspirale dreht sich

Vor allem: Die Europäische Zentralbank hat durch ihr Billiarden-Gelddruck-Programm am Donnerstag den Euro-Kurs noch weiter gesenkt, die Lücke zum Franken und Dollar noch weiter geöffnet. Damit hat sie nachvollzogen, was die Schweizer Nationalbank vorweggenommen hat. Der Euro ist weltweit eine Abwertungswährung. Es wird so weiter gehen. Die Zinsdifferenz zum Dollar wächst immer weiter; denn dort zieht die FED längst die Zinsen wieder hoch. Weiterer Kapitalabfluß aus Europa und Deutschland ist programmiert. Die Abwertungsspirale dreht sich, es kann sein, dass es zu einer Beschleunigung der Abwertung kommt. Dann springt die importierte Inflation an, einfach weil alle Importe wie Rohstoffe, Konsumgüter aus China, Energie immer noch teurer werden – wie das Beispiel Italien immer wieder gezeigt hat. Dagegen hilft nur ein kräftiger Zinsanstieg, verbunden mit einer Geldverknappung. So weit die Theorie. In der Praxis wird es nicht dazu kommen. Die südlichen Staaten verkraften mit ihrer hohen Verschuldung weder höhere Zinsen noch mit ihrer schwachen Wirtschaft Aufwertung der Währung. Damit ist der Prozess einer weiteren Aufweichung der Währung und importierte Inflation eröffnet. Kurzfristig wird diese giftige Mischung in Deutschland zu einem künstlichen Aufschwung führen. Insbesondere die Mittelständler mit Produktionsschwerpunkt in Deutschland werden kurzfristig gewinnen. Aber alle Manager, mit denen ich gesprochen habe, fürchten eher die Folgen: Es ist die Lähmung. Wer will was ändern, wenn alles gut geht, alles gut ist? Selbst Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist es nicht geheuer dabei. Eigentlich ist er ja immer dafür gut, kurz noch mal die Belastung für die Wirtschaft zu erhöhen, Umverteilung ist ja alles. Aber anlässlich des traditionellen Frühstücks mit Managern hat ausgerechnet er die Manager gebeten, für Reformen zu plädieren. Klar – wer ist schon für das Weltfreihandelsabkommen, wenn auch ohne dieses Abkommen der Export floriert? Wer investiert schon in den Ausbau der maroden deutschen Infrastruktur, wenn ohnehin alles läuft? Wer akzeptiert eine neue Autobahn, wenn Arbeitskräfte knapp sind? Der billige Euro ist eine Droge. Sie benebelt sie Sinne, alles scheint möglich, wir fliegen. Aber der Absturz kommt. Das ist keine Schwarzmalerei – sondern Realität. Und sie zeigt: Die Schwäche der gemeinsamen europäischen Währung ist die Gemeinsamkeit, in diesem Fall die erzwungene Gemeinsamkeit von starken und schwachen Ländern. Deutschland könnte eine Aufwertung seiner Währung nicht nur verkraften, sondern sogar brauchen, um seine Zukunftsfähigkeit zu stärken. Italien, Frankreich und das hundeelende Griechenland sind aber so nicht zu retten. Sie brauchen zumindest Zeit, um sich zu reformieren. So weit wenigstens die Theorie. Ob es wirklich hilft? Oder ob die gekaufte Zeit, die vielen Milliarden aus Frankfurt bloß benutzt werden, damit die Politik ihr Reformpäuschen verlängert? Und ich? Ich habe versucht, von den Buffets der Reichen und Mächtigen in Davos Hummerschwänze und Kaviarbrötchen abzustauben. Denn ein Hamburger mit Pommes rot-weiß kostet jetzt 50 Euro. Der Euro macht mich zum Schnorrer. Leider nicht nur mich. Uns alle.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 19 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

19 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen