Bahnstreik: Wie lange fahren wir noch Züge, die nicht fahren?

Tarifdiktatur? Marburger Bund und andere Gewerkschaften kämpfen gegen das Einheits-Tarifgesetz von SPD und DGB - die GDL aber agiert, als würde sie dafür bezahlt, Kleingewerkschaften zu diskreditieren.

Nicht alles ist schwarz – auch morgen früh geht die Sonne wieder auf. Wenn man sich dieser bahnbrechenden Erkenntnis hingibt, verlieren viele Dinge ihre Schrecken. Auch der Bahnstreik. Es gibt viele alternative Verkehrsmöglichkeiten; was man auf Fernstrecken dem Kranich der Lufthansa opfert, spart man auf mittleren Strecken mit dem preiswerten und erstaunlich flotten Bus wieder ein. Das Streikgetöse steht in einem merkwürdigen Widerspruch zur technischen Entwicklung.




An jedem Streiktag sollte man eigentlich eine Kerze zum Dank anzünden, dass der frühere Verkehrsminister Peter Ramsauer das Bahnmonopol auch auf der Autobahn gebrochen und Fernbusse zugelassen hat. Warum war das eigentlich nicht schon früher möglich? Egal. Sein Nachfolger ist halt mit der Maut beschäftigt, nur manchmal gibt es Fortschritt, und der heisst: Deregulierung. Der Bahnstreik ist ein schlagender Beweis dafür, dass weniger Staat mehr Wohlfahrt und Anstand bedeutet.

Das selbstfahrende Auto ist schneller

Und warum gibt es eigentlich noch keine selbstfahrenden Züge? Wenn man die Fortschritte beim selbstfahrenden Auto sieht, kommt man zur Schlussfolgerung: Kann ja nicht so schwer sein, einen Zug zu lenken, der ohnehin kein Lenkrad braucht, weitgehend ferngesteuert ist, daher keinen Gegenverkehr kennt und keine Kreuzungen, Radfahrer und ähnliche Hindernisse? Vermutlich hat die Bahn da nur wieder geschlafen.

Vielleicht sollten wir ohnehin über neue individuelle statt alte kollektive Verkehrssysteme nachdenken: Wenn mich mein Auto selbstfahrend von der Haustür an ein fernes Ziel bringt, entfällt der einzige Vorteil der Bahn, der da lautet: Bei der Bahn kann ich an Tichys Einblick schreiben; im Auto ohne Fahrer derzeit (noch) nicht. Brauchen wir also langfristig überhaupt noch die Bahn? Oder kutschieren uns bald Selbstfahrmobile durch das Land; mit weiteren (zahlenden) Gästen an Bord, die wir per App dazu einladen? Lohnt sich da der Schienenausbau noch oder sind die Milliarden nicht doch besser ins Straßennetz investiert? Auch dieser Gedanke könnte in die Politik einfließen, wenn da nicht die alten Holzköpfe am Werk wären, die weiter am schienengebundenen Verkehrssystem von vorgestern festhalten.

Danke wir also Herrn Weselsky von der Geiselnehmer-Gewerkschaft, dass er uns die Zukunft bringt. Apropos: Das ist ein paradoxer Streik. Er wird finanziert von Deutschen Beamtenbund; bekanntlich haben Beamte eine fette Streikkasse, aber kein Streikrecht. Und Herr Weselksy ist für SPD und DGB geradezu unbezahlbar: Er macht Werbung für das Tarifeinheitsgesetz, das die Vormachtstellung des DGB als „Der Große Bruder“ aller Gewerkschaften zementiert.

Letzter Streik vor dem Tarifeinheitsgesetz

Ab Sommer soll das neue Tarifeinheitsgesetz gelten, das Mini-Gewerkschaften unter das Tarif-Dach der mächtigen DGB-Gewerkschaften zwingt. Damit hat Weselsky einen selbstmörderischen Sieg errungen: Durch sein Auftrumpfen und die Streiks im vergangenen Jahr hat er provoziert, dass auch Gewerkschaften im Beamtenbund, dem Marburger Bund und anderen Spartengewerkschaft der Hahn zugedreht wird. Es ist zum lachen und weinen.

Tarifverträge nach dem neuesten Vorhaben aus Nahles ungenießbarer Gesetzesküche dürfen dann nur noch von der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in einem Betrieb abgeschlossen werden. Im Umkehrschluß: Kleingewerkschaften haben danach keine Existenzberechtigung mehr, wenn ihnen die Waffe des Tarifrechts und damit des Streikrechts genommen wird. Alles läuft dann auf Den Großen Bruder zu, den DGB und seine Gewerkschaften. Das wird die Übermacht der linken, SPD-nahen DGB-Gewerkschaften und ihres allgemeinen politischen Vertretungsanspruches, den sie formulieren, stabilisieren und auch Beschäftigte zum mitmachen zwingen, obwohl sie den linken Grundton dort ablehnen. Viele gebildetere, politisch unabhängigere Arbeitnehmer fühlen sich insbesondere von Ver.di abgestoßen, der politisch fragwürdigen, aber einflussreichen Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes und ihrem seltsamen Boss Bsirske. Und gerade hier liegt eine Bruchlinie. Es hat was komisches, wenn in heutigen Tageszeitungen der Marburger Bund als Gewerkschaft der Krankenhausärzte in fetten Anzeigen „Freiheit statt Tarfidiktatur“ fordert. Liebe Ärzte, bedankt Euch bei Weselsky. Er liefert wie auf Bestellung die Argumente zur Ausrottung auch des Marburger Bundes zu Gunsten von Verdi.

Im Güterfernverkehr fahren extrem lange Züge; dafür braucht man gesonderte Fahrerlaubnis. Also reichen eine Handvoll spezialisierter Lokführer, um den Güterverkehr lahmzulegen; zumal die langen Züge auch geeignet sind, ganze Strecken über Gleiskreuzungen weg zu blockieren.




Ohnehin ist die GDL darauf gedrillt, mit wenig Streikpersonal zu arbeiten: Es streiken ja nicht die rund 35.000 GDL-Mitglieder, sondern selbst am Höhepunkt maximal 5.000 bis 6.000 Lokführer. Es ist ein harter Kern, der zudem noch aus der früheren DDR stammt, weswegen gerade in Sachsen, Thüringen und um Berlin der Streik besonders stark wirkt.

Das, zwar eine nachvollziehbare Taktik, wirft noch einmal Fragen zur Legitimation auf: Ist es wirklich in Ordnung, wenn eine Handvoll Lokführer den Verkehr lahmlegen und gewaltigen Schaden bei Fahrgästen und Wirtschaft anrichten? Weselsky liefert damit die Munition, mit der das Tarifeinheitsgesetz pünktlich zu seiner Verabschiedung gerechtfertigt werden kann. Denn was er veranstaltet, ist kein Streik, sondern lässt zu, den Begriff der Geiselnahme zu verwenden: Hier zwingt eine winzige Minderheit einer ganzen Volkswirtschaft gewaltigen Schaden auf. Und finanziert wird das von den Beamten, die eigentlich gar nicht streiken dürfen. Aber wohl gerne zuschauen.

Beamte finanzieren den Streik

Weselskys GDL gehört zum Deutschen Beamtenbund (DBB) – mit 43 Mitgliedsgewerkschaften sowie 31 Fachgewerkschaften, in denen Beamte und Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst und auf kommunaler und Länderebene in Bundesorganisationen organisiert sind. Noch ca. zwei Drittel des dbb sind Beamte; die stärkste und tonangebende Gruppe ist die Komba – die Beamten und Angestellten in den Kommunen.

Auf ihre Kosten lässt Weselsky streiken. Denn die Beamten dürfen ohnehin nicht streiken – gleichzeitig hat der DBB ein pralle Streikkasse. Rund 40 Mio. € warten darauf, ausgegeben zu werden. Diese Kasse hat der DBB  zuletzt durch den Verkauf des Beamten-Heimstättenwerks (BHW) Mitte der Nuller-Jahre an die Postbank gefüllt: Bis zu 1 Mrd € sind danach in mehreren Schritten geflossen, gerade noch rechtzeitig vor der Finanzkrise und der faktischen Entwertung des BHW. (Es ist ein Treppenwitz, dass diese Gewerkschaft etwa 2/3 ihrer Ausgaben durch Kapitaleinkünfte bestreitet.) Daneben hat noch jede der Einzelgewerkschaften eigene Streikfonds – die von den anderen Gewerkschaften aufgefüllt werden müssen. Bis zu 50 € Streikgeld am Tag gibt es – aus der DBB-Gemeinschaftskasse. Was darüber hinausgeht, kommt aus dem Fonds der Einzelgewerkschaft. Weil nun die Lokies wenig verdienen, fließen ungefähr 90 Prozent der Streikkosten aus den Beamtenkassen. Mit anderen Worten: Weselsky lässt auf Kosten anderer im Beamtenbund streiken. Gerade bei den Lehrer-Gewerkschaften wächst die Wut auf Weselsky: Wegen der höheren Gehälter der Lehrer müssten sie wesentlich höhere Streikkosten tragen UND die leergestreikten Kassen der GDL auffüllen. Ihre Konfliktfähigkeit nimmt ab; und damit ihre Konkurrenzfähigkeit zu den Lehrern in Verdi.

Die Wut auf die GDL wächst – selbst bei den Salonlinken

Die Wut auf die GDL und andere Gewerkschaften wächst. Selbst die ARD ging am Vorabend der Frage nach, ob nicht über „Social Media“ ein Druck aufgebaut werden könnte, der den Streikt bricht. Oder sollte man den Lokführern mal ordentlich die Meinung sagen? Das ist neu. Im Oktober vergangenen Jahres, der ganze Affenzirkus nahm damals seinen Anfang, polierte der Millionenerbe Jakob Augstein (DER SPIEGEL) in Spiegel-Online an seinem Bild vom Salonbolschewisten und schrieb: „Der Bahnstreik ist kein Skandal – sondern ein Geschenk. Er erinnert uns an die Macht der Arbeitnehmer.“

Übertroffen wurde der kindische Aufruf zum Klassenkampf nur noch von Zeit.de; da war von „Vorbild Weselsky“ die Rede und vom Orden, den der rücksichtsloseste Lobbyist des Landes sich verdient habe. Es war der Traum vom Klassenkampf; die Autoren hatten wohl den ersehnten Ludergeruch des Volksaufstands in der Nase, der ihre Sinne betäubte. Denn ernst nehmen muss man beide nicht – selten hat jemand so gestrig an der Realität vorbeigeschrieben. Die Bahn ist kein kapitalistisches, sondern ein Staatsunternehmen; das scheint den linken Träumern irgendwie entgangen zu sein. Selbst diese hoffnungslosen Romantiker des kommunistischen Volksaufstands hat Weselsky jetzt verprellt; es ist halt unangenehm, wenn auch Zeit-Redakteure eine ganze Woche auf den Zug warten müssen.

Noch eine andere Frage drängt sich auf: Bei mindestens 600.000 Asylbewerbern und abgelehnten, aber „geduldeten“ Asylnachfragern – sind da nicht 6.000 Lokführer oder solche, die es werden wollen darunter? Die sich statt erzwungenen Nichts-Tun einer sinnvollen Beschäftigung widmen und sich gerne so schrecklich ausbeuten lassen wollen, wie es die Bahn mit ihren Beschäftigten praktiziert?
Aber vermutlich sind das unerlaubte, weil unkonventionelle Fragen.
Ehe da Bewegung kommt, kommt eher das selbstfahrende Auto und erledigt diese ganze Gewerkschaftskollektiv-Nummer.




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