AfD – Programm – Abschnitt 1 „Demokratie und Grundwerte“

In der Logik von Abschnitt 1 wird sich die AfD weiterhin als eine außerparlamentarische Fundamentalopposition verstehen müssen und als solche zu verstehen sein.

Konnte man bei der deutlich überarbeiteten Präambel des Leitantrages zum AfD-Programm noch den Eindruck haben, es mit einer gemäßigt konservativen Partei zu tun zu haben, wurde beim ersten Abschnitt „Demokratie und Grundwerte“ das Ruder in den Händen von Fundamentalkritikern belassen. Finden sich hier auf der einen Seite durchaus In ihrer Logik wird sich die AfD auch weiterhin als eine außerparlamentarische Fundamentalopposition verstehen müssen und als solche zu verstehen sein.

Europa und die politische Kaste

Doch beginnen wir mit der der AfD immanenten EU-Kritik.

„Spätestens mit den Verträgen von Schengen (1985), Maastricht (1993) und Lissabon (2008) hat sich die unantastbare Volkssouveränität als Fundament unseres Staates als Fiktion herausgestellt.“ ist zu lesen. Das bedeutet: Nicht die EU und die EU-Verträge sind die Ursache der von der AfD behaupteten Krise des deutschen Staatswesens – sie machten diese nur offenbar. So wird denn der aus Sicht der AfD eigentlich Verantwortliche auch umgehend benannt: „Heimlicher Souverän ist eine kleine, machtvolle Führungsgruppe innerhalb der Parteien. … eine politische Klasse von Berufspolitikern …“

Das klingt aus dem Munde einer Partei zumindest befremdlich, denn unter „der Parteien“ fiele auch die AfD, so sie sich als solche und nicht als „Bewegung“ oder ähnliches deutlich von „den Parteien“ abgrenzt.

Teil 1: Grundsätzliches und Präambel
Erster Blick auf den Programmentwurf der AfD
Auch verkennt es, dass in den deutschen Parteien – bei allen möglicherweise festzustellenden Mängeln – immer noch das Prinzip innerparteilicher Demokratie gilt. Selbst wenn – wie im Falle des baden-württembergischen CDU-Spitzenkandidaten der vergangenen Landtagswahl – offenkundig ist, dass Protektion auf der innerparteilichen Karriereleiter durchaus hilfreich (und nicht zwingend zielführend) sein kann, so entscheidet immer noch das Parteivolk darüber, wer es führen und vertreten soll. Damit wird die hier vorgetragene Kritik an einer „kleinen, machtvollen Führungsgruppe“ zur Fundamentalkritik an allen (anderen) Parteien, deren Mitgliedern vorgehalten wird, sich letztlich „illegitim“ und hörig einem undemokratischen Willen „von Oben“ widerspruchslos zu unterwerfen.

Ein deutlich revolutionärer Geist findet sich dann folgerichtig in der Konsequenz zum Abschluss der einleitenden Sätze des Abschnitts 1: „Nur das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland kann diesen illegitimen Zustand beenden.“

Da stellt sich die Frage: Ist das ein Aufruf zur Revolution, zum Volksaufstand? Oder will sich die AfD darauf beschränken, auf demokratischem Wege eine Mehrheit beim Deutschen Volk zu finden und anschließend den von ihr erkannten, „illegitimen Zustand beenden“? Und wie will, wie kann die AfD als Partei garantieren, dass sie nicht selbst den Weg der (anderen) Parteien geht, in denen fast schon nach dem Muster von Geheimbünden kleine, „heimliche“ Eliten ohne Legitimation die Politik bestimmen sollen?

Hier scheint noch Klärungsbedarf zu bestehen – doch warten wir ab.

Volksabstimmung und Parlamentarismus

Die AfD macht sich im ersten regulären Unterpunkt des ersten Abschnitts ihres Programmentwurfs stark für das Instrument der Volksabstimmung, für welches sie sich zwar „einsetzt“, es damit jedoch scheinbar nicht zwingend einfordert. Als Vorbild ihrer Vorstellungen will sich die AfD an „das Schweizer Vorbild“ anlehnen.

Das klingt auf den ersten Blick nachvollziehbar, vielleicht sogar sympathisch. Doch der Teufel steckt im Detail, denn die AfD wird in ihrem Forderungskatalog recht konkret, ohne wirklich konkret zu sein.

So soll das Volk

  • „über vom Parlament beschlossene Gesetze“ abstimmen. Alle Gesetze? Und wenn nicht – über welche? Hier bleibt die AfD eine Antwort schuldig – und riskiert zwangsläufig eine Totallähmung bundesdeutscher Politik nicht nur dann, wenn in dringenden Fällen das abstimmende Volk wiederholt das vom Parlament beschlossene Gesetz abzulehnen gedenkt.
  • „Beschlüsse des Parlaments in eigener Sache, beispielsweise über Diäten“ ablehnen können. Nun ja – dafür wird die AfD sicherlich beim „Volk“ durchaus Zustimmung ernten – was aber geschieht, wenn das Volk hier jeglichen Beschluss alternativlos ablehnt, bleibt unbeantwortet.
  • das Recht erhalten, „eigene Gesetzvorlagen anzustoßen“. Ist das so zu verstehen, dass diese dann im Parlament entwickelt und beschlossen – um dann erneut dem Bürger zur Zustimmung vorgelegt zu werden? Darüber gibt der Programmentwurf keine Auskunft.
  • über haushaltsrelevante Inhalte „finanzieller Natur“ abstimmen können.

Grundsätzlich sollen Grundgesetzänderungen und „bedeutende völkerrechtliche Verträge“ dem Volk zur Zustimmung vorgelegt werden, wobei die AfD hier insbesondere die Übertragung „nationaler Souveränität an die EU und andere internationale Organisationen“ im Auge hat.

Grundgesetz oder „Volksverfassung“?

Des weiteren „muss“ das Volk das Recht haben, „auch initiativ über Änderungen der Verfassung selbst zu beschließen“. Das ist nur so zu verstehen, dass aus „dem Volk“ selbst Verfassungsentwürfe vorgelegt und zur Abstimmung gestellt werden können.

An dieser Stelle ist festzuhalten, dass eine mögliche Absicht der AfD, die Parlamentarier an die Kette zu legen, trotz scheinbar recht konkreter Forderungen insgesamt sehr verschwommen ist. Es bleibt – siehe oben – völlig offen, ob nun alle Gesetzesbeschlüsse des Parlaments oder nur bestimmte – und falls so, welche – dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden sollen. Ungeklärt bleibt auch, welche Mehrheiten jeweils notwendig sein sollen, um zu definitiven Ergebnissen zu kommen. Kann beispielsweise eine tatsächliche Minderheit „des Volkes“ als relative Mehrheit bei der Abstimmung eine tatsächliche Mehrheit der gewählten Parlamentarier überstimmen?

Bemerkenswert auch die unerläuterte Unterscheidung zwischen „dem Volk“ vorzulegende „Grundgesetzänderungen“ durch das Parlament und „Verfassungsbeschluss“ durch das Volk.

Anerkennt die AfD das Grundgesetz als Verfassung – oder meint sie hier unterschiedliche Rechtskataloge? Ist die Formulierung so zu verstehen, dass „das Volk“ einen Verfassungsentwurf vorlegen und abstimmen kann, der das Grundgesetz abzulösen in der Lage ist? Und falls dem so sein sollte – mit welchen Mehrheiten kann „das Volk“ eine von ihm vorgelegte Verfassung beschließen? Reicht eine einfache Mehrheit der gültigen Stimmen oder muss die Zustimmung mit Zweidrittel-Mehrheit erfolgen? Ohnehin: wenn „das Volk“ das Recht der initiativen Verfassungsabstimmung erhalten soll und eine solche aus gutem Grunde im Parlament nur mit entsprechender Zweidrittelmehrheit möglich ist – wäre dann nicht eine solche Mehrheit auch bei der Volksabstimmung festzuschreiben? Dann wäre eine Verfassungsinitiative aus „dem Volk“ bei derzeit rund 80 Millionen Deutschen nur erfolgreich, wenn 54 Millionen Deutsche dem Entwurf aktiv zustimmten.

So bleibt hier am Ende die Feststellung, dass dieser Abschnitt nicht nur unausgegoren mit heißer Nadel gestrickt wurde, sondern auch – dem durchaus anzuerkennenden Ziel einer größeren Bürgerbeteiligung zum Trotz – in seinem Kern eine grundsätzliche Ablehnung des parlamentarischen Systems dokumentiert. Denn es stellt sich die Frage: Wozu benötigt Deutschland noch ein Parlament, wenn dieses de facto keinerlei Rechtsgebungsbefugnis mehr hat? Da drängt sich der Verdacht auf, dass die AfD im Grunde das parlamentarische System durch eine „Volksdemokratie“ ersetzen möchte. Wenn dem aber so sein sollte, dann reicht das hier vorgelegte Programm nicht einmal ansatzweise aus. Denn dann bedarf es einer überaus konkreten Vorstellung davon, wie ein moderner, hochentwickelter Staat wie die Bundesrepublik legislativ und seine exekutiv funktionsfähigkeit sein soll.

Da andererseits die AfD abschließend dann doch feststellt, dass für sie „die Einführung von Volksabstimmungen nach Schweizer Modell nicht verhandelbarer Inhalt jeglicher Koalitionsvereinbarungen“ ist, scheint sie sich der eigentlichen Konsequenz ihres Forderungskatalogs nicht vollumfänglich bewusst zu sein. Denn: Wozu Koalitionen, wenn ohnehin alle Macht unmittelbar ohne Repräsentativorgan vom Volke ausgeht? Parteien werden damit überflüssig. Und Koalitionen erst recht.

Keine Trennung der Sicherheitsorgane

Den zweiten Schwerpunkt ihrer Vorstellungen zu Demokratie und Grundwerten startet die AfD mit dem Satz: „Der Staat ist für den Bürger da, nicht der Bürger für den Staat.“ Wer wollte dem nicht zuzustimmen! Als Konsequenz fordert die AfD „den schlanken Staat“. Auch dem ist zuzustimmen, wenngleich die dann folgenden Positionen durchaus libertaristischen und damit ansatzweise anarchistischen Charakter zu haben scheinen.

Die AfD befindet: „ Der Staat hat sich verzettelt. Es bedarf neuer Konzentration auf die vier klassischen Gebiete; Innere und äußere Sicherheit, Justiz, Auswärtige Beziehungen und Finanzverwaltung.“

Soziales und ähnliches „Gedöns“, wie der sozialdemokratische Ex-Kanzler Gerhard Schröder diese Ressorts einst bezeichnete, wird damit aus der staatlichen Obhut entfernt.

Deutlich relevanter aber ist etwas anderes. Wenn die AfD hier „vier klassische Gebiete“ definiert, dann unterscheidet sie nicht zwischen innerer und äußerer Sicherheit. Polizei und Bundeswehr – alles in einer Hand. Das ist nun allerdings meilenweit entfernt von jeder Vorstellung der Trennung von polizeilichen und militärischen Aufgaben. Die Bundeswehr wird – so dieses tatsächlich exekutiert würde – zu einem Instrument innenpolitischer Sicherheitspolitik. Und die Polizei kann jederzeit für außenpolitische Einsätze eingespannt werden.

Nur ein Patzer aus Unerfahrenheit? Oder schwebt der AfD tatsächlich ein gemeinsamer Sicherheitsapparat innerhalb eines Ressorts vor, der nicht mehr zwischen innerer und äußerer Sicherheit unterscheidet?

Wenn wir der Partei unterstellen, ihre Programminhalte nicht undurchdacht  präsentiert zu haben, dann liegt spätestens hier ein eklatanter Widerspruch zum bundesdeutschen Verfassungsverständnis vor. Denn dann wird hier die Möglichkeit geschaffen, einen militärisch organisierten Polizeistaat zu schaffen, in dem die Organe der Landesverteidigung zu Organen der Staatsicherheit werden. Eine derartige Vermengung von innerer und äußerer Sicherheit ist – auch wenn ich mir mit dieser Feststellung nun den Zorn aller AfD-Freunde zuziehe – nicht Kennzeichen eines Staates, der die Freiheitsrechte seiner Bürger garantieren möchte, sondern Merkmal eines totalitären Polizeistaats.

Glaubenssätze statt Politik

Anschließend begibt sich die AfD auf philosophisches Glatteis und verkündet einen Glaubenssatz:

„Wir glauben nicht an die Verheißungen politischer Ideologien oder an die Heraufkunft eines besseren, eines ‚Neuen Menschen‘. Eine Geschichtsphilosophie, die von einer Höherentwicklung der individuellen menschlichen Moral ausgeht, halten wir für anmaßend und gefährlich.“

Da „Glaube“ die Wahrsannahme einer unbeweisbaren Wahrheitsvermutung ist, soll das wohl heißen, der Mensch ist ein unberechenbares Tier – und wird es ewig bleiben. Zumindest setzt sich die AfD damit deutlich ab von jenem irrtümlich als Wegbereiter des Nationalsozialismus diffamierten Friedrich Nietzsche, der ein überzeugter Anhänger der Idee des „Übermenschen“ gewesen ist – der Vorstellung, dass der Mensch dazu in der Lage sein kann, seine ethisch-moralische Existenz auf eine höhere Ebene zu führen. Gleichzeitig  negiert die AfD hier aber auch eine mögliche Nähe zu Michail Bakunin, dessen libertär-anarchistische Utopie maßgeblich auf der Voraussetzung einer ethischen, moralischen und geistigen Weiterentwicklung des Menschen basiert.

Der junge Philosoph Peter Pedersen, dem ich diese Passage ohne Quellenhinweis vorlegte, kam zu folgender Feststellung: „Der Verfasser lehnt solche eschatologischen Vorstellungen grundsätzlich ab, die davon ausgehen, dass sich die Moral des Einzelnen zwangsläufig im Laufe der Geschichte verbessern wird. Es ist vielleicht die treffendste Zusammenfassung, dass unsere Moral nicht selbstverständlich sei und sich nicht von selbst in ihrer Vortrefflichkeit ergibt. – Das ist allerdings eine ziemlich banale Aussage.“

Immerhin aber distanziert sich die AfD vom Führerprinzip wenn sie festhält: „kein noch so kluger politischer Akteur (kann) eine vollständige Kenntnis der Bedingungen und Möglichkeiten seines Handelns erlangen“.

Vertragstreue – gegenüber wem?

Nach diesem kurzen Ausflug in philosophische Gefilde kommt die AfD nun zu einer weiteren an sich banalen Aussage: „Rechtsstaatsprinzip und Vertragstreue sowie demokratische Legitimation haben für uns Vorrang …“.

Das sollte an sich selbstverständlich sein – und doch stellt es im Kontext des vorliegenden AfD-Programmvorschlags ein Problem dar. Denn es widerspricht jener bereits dargelegten Zusammenfassung der Sicherheitsorgane – und es akzeptiert im Sinne des „pacta sunt servanda“ die deutsche Einbindung in EU und andere supranationale Institutionen, die die AfD zumindest mit den Verträgen von Maastricht und Co. offenkundig ablehnt.

Ob die bis hierhin dargelegten Inhalte tatsächlich der Eigendefinition „als ‚Partei des gesunden Menschenverstandes‘“ entsprechen, wird daher nur unter dem Aspekt der Definition eben dieses „gesunden Menschenverstandes“ verständlich werden können. Und diese ist, da es sich ebenfalls um eine nicht-determinierte, offene Vorstellung handelt, individuell interpretierbar.

AfD und Gewaltenteilung

Im dritten Abschnitt zu Demokratie und Grundwerten beschäftigt sich das AfD-Programm mit der Gewaltenteilung. Diese von John Locke und Montesquieu entwickelte Vorstellung einer strikten Trennung von Legislative als gesetzgebendem Organ, Exekutive als ausführende Verwaltung und Judikative als von beiden anderen Gewalten unabhängiges Rechtsorgan sollte tatsächlich Basis einer jeden modernen Demokratie sein.

Hier unterbreitet die AfD in ihren folgenden Unterpunkten Vorschläge, die sich im Wesentlichen auf das Verhältnis Parlament-Regierung und die Funktion von Parteien konzentrieren.

Im Einzelnen fordert die AfD

  • die Aufgabe des Abgeordnetenmandats bei Wechsel in eine Exekutivfunktion.
  • das Ruhen-lassen von Beamtenverhältnissen bei Annahme eines Abgeordnetenmandats.
  • den Ausschluss der Richterfunktion für ehemalige Politiker.
  • neue, gesetzliche Grundlagen für die Parteienfinanzierung.
  • die Unterbindung „wechselseitiger Machtkontrolle von Amts- und Funktionsträgern“.
  • die Abschaffung parlamentarischer Staatssekretäre und Staatsminister.
  • die Abschaffung von „politischen Beamten“ in der Staatsverwaltung.
  • die Beendigung der „Parteibuchwirtschaft“.
  • den Straftatbestand „Ämterpatronage“.
  • die uneingeschränkte staatliche Kontrolle über die Parteienfinanzierung.
  • das Verbot von Parteien gehaltener Unternehmen und Unternehmensbeteiligungen.
  • das Verbot von „Firmenspenden“ an Parteien.
  • den Ersatz des Listenwahlrechts durch „freie Listenwahl“ (Kumulieren, Panaschieren, Streichen).
  • die Einführung einer Mindeststimmanzahl für den Kandidateneinzug in ein Parlament.
  • eine Verkleinerung des Bundestages auf höchstens 471 Abgeordnete.
  • eine Amtszeitbegrenzung für Abgeordnete auf zwei bis vier Legislaturperioden (in Abhängigkeit von deren persönlichem Wahlergebnis).
  • die Begrenzung der Bundeskanzlerfunktion auf zwei Legislaturperioden (als Vorschlag).

Hier finden sich durchaus Forderungen, die dort, wo ihre Ursache oder die faktische Handhabe nachweisbar oder zu konstatieren ist, berechtigt sind.

Tatsächlich widerspricht es dem Gewaltenteilungsgebot, wenn Abgeordnete als Mitglieder der Exekutive gleichsam für sich selbst die Gesetzgebung vornehmen können und sich selbst kontrollieren sollen. Auch hat sich die ursprüngliche Intention des parlamentarischen Staatssekretärs als verwaltungsinterner Kontrollmechanismus des Parlaments zwischenzeitlich häufig zu einer vorgezogenen Sonderversorgung verdienter Politiker entwickelt.

Ob die Abschaffung des „politischen Beamten“ grundsätzlich Sinn macht, kann diskutiert werden. Dabei reicht es völlig – wie beispielsweise beim Ministerstab zweckmäßig – hier auf die jeweilige Amtsperiode befristete Teilzeitverträge im Angestelltenverhältnis zu nutzen.

Mit der Beendigung von „Parteibuchwirtschaft und Ämterpatronage“ allerdings fällt die AfD trotz der möglicherweise zu begrüßenden Intention zurück in einen populistischen Ansatz – zumindest dann wenn sie, wie hier geschehen, diese von ihr abgelehnten „Auswüchse“ nur pauschal nennt, nicht aber konkret beschreibt, was darunter zu verstehen ist. So könnte diese Forderung faktisch auf eine Art Berufsverbot für Politiker hinauslaufen. Auch ist nicht erkennbar, ab wann für die AfD „der Politiker“ beginnt. Ist bereits der Kommunalvertreter ein „Politiker“? Ist der einfache Landtags- oder Bundestagsabgeordnete ein „Politiker“? Ist ein Politiker erst einer, wenn er eine Exekutivfunktion erfüllt hat? Und: Soll das Berufsverbot lebenslang gelten oder könnte sich die AfD auf Karenzzeiten einlassen?

Mit dem einseitigen Verbot von „Firmenspenden“ organisierte die AfD ein Ungleichgewicht,  weil beispielsweise Gewerkschaften traditionell die SPD unterstützen

Eine Amtszeitbeschränkung wird trotz der feststellbaren Tatsache, dass einige Abgeordnete seit Jahrzehnten auf ihren Posten sitzen und einige davon ihre politische Weiterentwicklung irgendwann eingestellt haben, in der von der AfD pauschal geforderten Weise nicht funktionieren. Umso mehr dann nicht, wenn der Wähler die von der AfD geforderte Möglichkeit der unmittelbaren Einflussnahme auf die Parteilisten hat – denn nach welchen Kriterien soll festgelegt werden, wann ein gewählter Kandidat nicht mehr in das Parlament einziehen darf? Muss er, wenn er die dritte Periode anstrebt, eine absolute Mehrheit aufweisen, während für den Zweit-Legislaturer eine relative ausreicht? Zieht dann für den gewählten ein unterlegener Kandidat ein, nur weil dieser das erste Mal auf der Liste steht?

Übrigens: Wäre die AfD hier im Sinne ihrer Intention konsequent, dann würde sie die Forderung nach Einführung eines klassischen Mehrheitswahlrechts erheben. Das entspräche dem Volkswillen insofern, als dann ausschließlich Abgeordnete im Parlament säßen, die eine Mehrheit jener Wähler hinter sich vereinen konnten, denen sie sich zur Wahl gestellt haben. Doch diese Konsequenz lässt die AfD vermissen – vermutlich auch deshalb, weil sie dann in der gegenwärtigen Situation gewärtigen müsste, bei künftigen Wahlen keinen einzigen Abgeordneten mehr zu stellen.

Einmal mehr gilt also auch hier: Die entsprechenden Passagen der AfD-Programmvorlage sind trotz der einen oder anderen nachvollziehbaren und begrüßenswerten Intention unausgegorenen und lassen Raum für eine im Sinne seriöser Politik unzulässige Interpretationsbreite.

Die Fehlinterpretation von Art 21 GG

In eine gewisse Absurdität versteigt sich die AfD dann, wenn sie ihren Unterabschnitt 5 mit dem Satz beginnt: „Parteien sollen am politischen System mitwirken (Art. 21 Abs. 1 GG), es aber nicht beherrschen.“ Hier haben die Programmmacher entweder nicht richtig gelesen – oder etwas nicht richtig verstanden.

Im Grundgesetz steht nichts von einer „Parteienmitwirkung am politischen System“. Vielmehr beschränkt das GG in 21.1 die Mitwirkung der Parteien auf „die politische Willensbildung“ („Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“). Zwischen „Willensbildung des Volkes“ und „Mitwirkung am politischen System“ allerdings liegen Welten – und es drängt sich der Verdacht auf, dass die AfD ihren parteilichen Auftrag tatsächlich als „Mitwirkung am politischen System“ versteht. Dagegen ist nicht grundsätzlich etwas einzuwenden – nur hat dieses nichts mit Artikel 21 GG zu tun.

Anschuldigungen und Demokratieverständnis

Anschließend an diese Fehlinterpretation folgt einmal mehr eine undifferenzierte Auflistung all dessen, was die AfD an Systemmängeln erkannt zu haben meint. Da ist von „Allmacht der Parteien und deren Ausbeutung des Staates“ die Rede und vom „Meinungsdiktat in allen öffentlichen Diskursen“. Es ist der Partei unbenommen, solche Behauptungen aufzustellen – nur sollte sie solche Anschuldigungen dann bitte mit konkreten Beispielen belegen. So steht dieses frei im Raum und entzieht sich jedem ernsthaften Diskurs. Und nur am Rande: Bei „Tichys Einblick“ vertreten wir durchaus die Auffassung, einen öffentlichen Diskurs ohne Meinungsdiktat zu führen.

Die AfD geht davon aus, dass „die Parteien“ (erneut: Ist die AfD auch eine Partei oder eine Bewegung/Bürgerinitiative?) nicht mehr in das „demokratische System“ integriert sind.

Letzteres kann nur so verstanden werden, dass das politische System der Bundesrepublik Deutschland, welches nun de facto auf diesen Parteien basiert, keine Demokratie im Sinne einer AfD-Demokratie-Definition ist. Statt nun – wie es unumgänglich wäre – eine solche zu liefern, fordert die AfD „direkt-demokratische Entscheidungen des Volkes“.

Das korrespondiert im Kontext mit den anti-parlamentarischen Vorstellungen des Programms und erinnert dann doch an jene „wahrhaftige germanische Demokratie der freien Wahl“, wie sie sich auf Seite 99 eines nun wieder öffentlich zugänglichen Schriftwerks aus dem Jahr 1924 findet.

Zum Abschluss des ersten politischen Teils ihres Programmvorschlags definiert die AfD weitere Punkte wie Eindämmung der Nebentätigkeit von Abgeordneten, die private Altersvorsorge von Abgeordneten und einen Straftatbestand der „Steuerverschwendung“ – wobei sie auch hier von konkreten Definitionen und Umsetzungsmöglichkeiten absieht.

Fazit und Beurteilungen

Insgesamt zeigt sich die AfD in diesem ersten, konkreten Abschnitt als eine Gruppierung, die sich durch fundamentalen Anti-Parlamentarismus und Anti-Parteien-Denken auszeichnet. Diese lässt Zweifel daran zu, ob die Bezeichnung „Partei“ für die AfD tatsächlich korrekt gewählt ist – nicht nur die Wahl der Sprache, auch die undifferenzierte weil lösungslose Auflistung eines in sich unschlüssigen und sich teilweise widersprechenden Forderungskatalogs verlangt eher nach Einordnungen wie „Bürgerinitiative“ oder „Bewegung“.

Mit diesem ersten politischen Abschnitt definiert sich die AfD weder als liberal noch als konservativ. Auch die Vorstellung, es handele sich dabei um eine libertäre Partei, wird durch die eigene Philosophie konterkariert. Die AfD zeichnet sich durch eine nachhaltige Gegnerschaft zum derzeit bestehenden parlamentarischen und Parteiensystem aus. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass einige Wenige ihrer Forderungen fundiert und nachvollziehbar sind.

So dieser Abschnitt 1 der Programmvorlage auf dem Parteitag unverändert angenommen werden sollte, kann die AfD zu Recht als anti-parlamentarisch bezeichnet werden. Ihr Ansatz ist prä-institutionell und bleibt dabei die Antwort schuldig, wie das in der Konsequenz angestrebte Modell einer sogenannten Volksdemokratie als Alternative zur derzeit geltenden Repräsentativen Demokratie die Funktionsfähigkeit des Staates und den von der AfD selbst deklarierten Anspruch auf strikte Gewaltenteilung gewährleisten kann.

In ihrer Logik wird sich die AfD auch weiterhin als eine außerparlamentarische Fundamentalopposition verstehen müssen und als solche zu verstehen sein.

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