Wende? Rückkehr von Vertrauen oder Gewöhnungseffekt?

Zugewinne von CDU und SPD gehen maßgeblich zu Lasten von AfD und FDP. Bei der AfD dürfte vorrangig der interne Konflikt in Baden-Württemberg verantwortlich sein. Der FDP gelingt es offenbar nicht, als ernsthafte Alternative wahrgenommen zu werden.

© Getty Images / Sean Gallup
Angela Merkel und Sigmar Gabriel

Im PolitSeismoGraph (PSG) zum August 2016 ist erstmals seit Oktober vergangenen Jahres ein deutlicher Zuwachs der Parteien der Regierungskoalition festzustellen. Die Opposition verliert hingegen nicht minder deutlich.

Die Union, von ihrem Höchststand mit 43,3 % im September 2015 kontinuierlich auf 33,4 % in den beiden vergangenen Monaten abgestürzt, kann sich zum August um 1,2 Prozentpunkte (Pp) auf 34,6 % erholen.

Noch besser stellt sich die Stimmungslage für die SPD dar, die sich um 1,6 Pp auf 23,9 % steigern kann. Insgesamt steht die Regierungskoalition damit bei 58,5 %.

Die Grünen verharren auf hohem Niveau annähernd unverändert bei 14.0 % (plus 0,1 Pp).

Die FDP, die in den vergangenen Monaten ihren Wiedereinzug in den Bundestag sicher zu haben schien, muss zum August 0,9 Pp abgeben und sinkt auf eine Zustimmung von 5,6 %.

Verluste sind auch bei der PdL festzustellen. Sie liegt zum August bei 8,0 % – ein Verlust von 0,7 Pp.

Größter Verlierer ist zum August die AfD. Hatte sie in den beiden Vormonaten mit 12,3 % ihren bisherigen Höchststand erreicht und verteidigt, so verliert sie nun um 1,7 Pp auf 10,6 %.

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Das Flächendiagramm verdeutlicht, dass die Zugewinne von Union  und  SPD maßgeblich zu Lasten von AfD und FDP gehen. Bei der AfD dürfte hierfür vorrangig der AfD-interne Konflikt in Baden-Württemberg verantwortlich sein, der den tiefen Riss zwischen den bürgerlich-konservativen Kräften und den radikal-systemüberwindenden Strömungen der Partei offen zutage treten ließ.

Der aktuelle Stand

Der aktuelle Stand im Überblick (Änderungen gegenüber Vormonat in Prozentpunkten):

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Schwarz-Grün hauchdünn regierungsfähig

Der Stand für August 2016 sieht erstmals wieder eine schwarz-grüne Option ganz knapp in der Regierungsfähigkeit:  Mit 301 Sitzen hätte diese Konstellation genau die eine Stimme, die sie zur einfachen Parlamentsmehrheit benötigte.

Da allerdings angesichts der politischen Bandbreite innerhalb der Grünen die Union kaum bereit wäre, sich auf Basis einer Einstimmen-Mehrheit in die Anhängigkeit von nur einem einzigen grünen Abgeordneten zu begeben, bleibt derzeit als einzige realistische Regierungsoption die Fortsetzung der schwarzroten Zusammenarbeit. Die Regierung aus Union und SPD verfügte derzeit über 362 Sitze (ohne Überhang- und Ausgleichsmandate) – und damit über gut 60 Mandate mehr als zur Regierungsbildung nötig.

Die rot-rot-grüne Variante, die von PdL und Medien immer wieder als „Wunschkonstellation der Linken“ ins Gespräch gebracht wird, ist nach wie vor mit nur 284 Sitzen weit entfernt von jeder Regierungsmöglichkeit. Gleiches gilt für die klassische bürgerliche Option aus Union und FDP mit 249 Sitzen wie für die rot-grüne Koalition mit 235 Sitzen.

Die sogenannte Ampel – SPD, Grüne und FDP – bleibt mit 270 Sitzen ebenfalls weit unter der für eine Regierungsbildung notwendigen Marke

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Rückkehr von Vertrauen oder Gewöhnungseffekt?

So sich insgesamt in der politischen Konstellation für August 2016 kaum relevante Änderungen zeigen, so könnte der Zugewinn der Regierungsparteien von insgesamt 2,8 Pp darauf hindeuten, dass das Vertrauen zum Kabinett Merkel behutsam zurückkehrt. Gerade in Zeiten öffentlich erkannter Krisen schart sich das Volk traditionell um die Herrschenden. Möglicherweise aber beginnen sich die Wahlwilligen auch nur an die Situation zu gewöhnen und sich von AfD und FDP dem scheinbar bewährten zuzuwenden – bei der AfD wegen schlechter, bei der FDP wegen Fehlens jeglicher Performance. Um eine derartige Bewertung jedoch definitiv vornehmen zu können, wird die Betrachtung der Entwicklung der kommenden Monate unverzichtbar sein.

Gleiches gilt hinsichtlich der Bewertung der Zustimmung zur AfD. Hier kann eben jene Dissonanz in Baden-Württemberg einen kurzfristigen Rückgang organisiert haben – oder aber das Überschreiten des Höhepunktes der Partei markieren.

Bemerkenswert bleibt der Rückgang der FDP, der es offenbar trotz ihres Selbstverständnisses als bürgerliche Alternative zur Union derzeit nicht gelingt, als ernsthafte politische Kraft wahrgenommen zu werden. Sie sammelte in den vergangenen Monaten zwar unzufriedene Wähler aus den Regierungsparteien, welche – anders als jene der AfD – sich eindeutig gegen die Positionen der dortigen außerparlamentarischen Opposition abgrenzten – doch gelang es der Partei bislang nicht, diese Neuzugänge inhaltlich an sich zu binden. Mit nun 5,6 % und einem Rückgang von 0,9 Pp bzw. 14 % auf ihr Vormonatsergebnis innerhalb von nur vier Wochen ist ein Wiedereinzug in den Bundestag keinesfalls als gesichert anzusehen.

Anmerkung: Der PolitSeismoGraph basiert auf den Befragungsergebnissen von rund 2.000 Wahlberechtigten und berücksichtigt im Trend die längerfristigen Bindungen der Wähler. Er versteht sich ausdrücklich nicht als Prognostik im Sinne der Wahlvorhersage, da aktuelle politische Einflüsse als kurzfristige Stimmungslagen vorsätzlich abgefangen werden. Der PSG gibt vielmehr die politische Tendenz zum jeweiligen Monatsanfang wieder und dient so vorrangig der Feststellung langfristiger politischer Entwicklungen.

Alle Daten und Grafiken ©2016 FoGEP

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