CSU und SPD auf der Suche nach neuen Köpfen: Scholz & Schulz und Söder

Möglicherweise kommt nach den verheerenden Ergebnissen bei den Landtagswahlen nun doch Bewegung in die Große Koalition: Tritt Sigmar Gabriel zurück, kommt es in der Union zum offenen Aufstand gegen Angela Merkel?

© Joerg Koch/Getty Images

Wie wir aus dem Stab des Bundeswirtschaftsministers und Vizekanzlers Sigmar Gabriel hören, tritt dieser morgen (Montag) als SPD-Vorsitzender zurück. Sein Nachfolger soll Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz und Kanzlerkandidat Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments  werden. Zeitgleich mit dieser Meldung sprach auch Focus-Herausgeber Helmut Markwort in seiner sonntäglichen TV-Stammtischrunde vom bevorstehenden Rücktritt Gabriels sowie Scholz als Kandidaten für den SPD-Vorsitz und Schulz als Kanzlerkandidat.

Tritt Sigmar Gabriel aus gesundheitlichen Gründen zurück?

Bereits seit längerem kursieren Berichte über die schwere Diabetes von Sigmar Gabriel. Der Kölner Express berichtete von weiteren Erkrankungen. „Der für jeden SPD-Chef so wichtige 1. Mai: abgesagt. Eine Reise in den Iran mit großer Mannschaft: abgesagt. Eine äußerst schmerzhafte Gürtelrose im Gesicht macht dem 56-Jährigen zu schaffen: Vergangene Woche hatte er noch ein paar Termine wahrgenommen, dann war Schluss – Gabriel meldete sich krank und nahm eine Auszeit. Unterdessen sinken die SPD-Umfragewerte von Woche zu  Woche.
Politisch und gesundheitlich angeschlagen. Doch es sind nicht die ersten Probleme des auch politisch schwer angeschlagenen obersten Sozialdemokraten: In einer Berliner Klinik musste er sich nach unseren Informationen einem Eingriff unterziehen, kurz darauf machte Gabriel im vergangenen Jahr eine Kur.“ SPD-Vizechef Ralf Stegner hat den Gerüchten widersprochen. „Da hat Herr Markwort in München wohl zu viel Sonne abbekommen“, sagte Stegner der Nachrichtenagentur Reuters.

Es gärt auch in CDU und CSU

Aber nicht nur bei der SPD werden die Karten neu gemischt. Auch in der CDU gärt es. In Bild am Sonntag sagte die saarländische CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer nach einer Reihe rhetorischer Verbeugungen vor Merkel: „Niemand ist unersetzlich auf diese Welt. Auch nicht in der CDU und auch nicht Angela Merkel.“ Wenn Mächtige angegriffen werden, werden nicht Neuigkeiten ausgesprochen, sondern unbestreitbare Wahrheiten. Das sichert ab und treibt doch die Sache voran.

Doch wer könnte ein geeigneter Nachfolger sein? Lange wurde Wolfgang Schäuble als Übergangskanzler genannt. Treibende Kraft der Anti-Merkel-Fraktion ist die CSU. Denn: Sollte die CSU bei den kommenden Bundeswahlen in den AfD-Unions-Strudel geraten, dann könnte es der Bayerischen Staatspartei übelsten Falles passieren, außer mit einigen Direktmandaten nicht mehr im Deutschen Bundestag vertreten zu sein. Möglicherweise treibt die CSU ein ganz anderes personalpolitisches Spiel.

Ausgleichsmandate

Doch auch in der Union der nicht-bayerischen Restrepublik geht das Gespenst des Mandatsverlustes um. Nicht zuletzt die angesichts dramatischer Zustimmungsverluste bestehende Gefahr, kaum noch Kandidaten über die Landeslisten zu platzieren, lässt den christdemokratischen Mittelbau in eine schwere Existenzkrise geraten. Die so entstehenden Ausgleichsmandate blähen den Bundestag auf.

Bayerns Ministerpräsident kämpft deshalb an zahlreichen Fronten. Zum einen darf seine CSU bei den Bundestagswahlen nicht unter die Fünf-Prozent-Hürde fallen, zum anderen ist auch die Alleinherrschaft im reichen Südosten in Gefahr. Das derzeit in der bundesdeutschen Südwestprovinz eingeläutete Modell einer Koalition aus Schwarzen und Grünen – noch dazu unter einem volksnahen Ex-Achtundsechziger – scheuen die Alpenvorländler wie der Franke das Weihwasser. Deshalb hat Seehofer seit einigen Monaten Salve um Salve auf die evangelisch-sozialistisch geprägte Bundeskanzlerin gefeuert und nun zum Generalangriff geblasen. Er kann sich sicher sein, dabei den Nerv zahlreicher Unionsbrüder und Schwestern nördlich der Mainlinie getroffen und diese vorbehaltlos hinter sich zu haben.

Also richtet der bayerische Kini seine Geschützsalven noch zielgerichteter gegen die ungeliebte Mutti der Republik, droht für den Fall, dass die CDU weiterhin in Vasallentreue zur Angela Merkel stehen sollte, sogar mit einem eigenen, von der Schwester losgelösten Bundestagswahlkampf. Nur so – davon ist der Oberbayer aus der Audi-Metropole Ingolstadt überzeugt – wird er in der Lage sein, die Abwanderung der Bajuwaren zur AfD zu verhindern. Also nur eine unmittelbare Reaktion auf die jüngsten Landtagserfolge der rechten Konkurrenz, von der einst Franz-Josef Strauß dogmatisch feststellte, dass es eine solche neben der Union niemals geben dürfe – oder steckt vielleicht noch mehr dahinter?

Ein Abend in Kreuth

Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir zwei Jahre in die Vergangenheit zurückgehen. Anfang Januar 2014 kam es am Abend der traditionellen CSU-Klausurtagung im Wildbad Kreuth zu einem Showdown zwischen Seehofer und seinem jungen Wilden, dem Finanzminister des Bayernlandes, Markus Söder. Beide Kontrahenten, mittlerweile dank Oberbayerischer Braukunst in redseliger Stimmung, philosophierten über die Zukunft der Union und – selbstverständlich – noch mehr über die eigene. Söder, der sich vom forschen Jungspunt zum respektablen Finanzminister entwickelt hat, wollte gern wissen, wann denn der Seehofer Horst daran denke, den Staffelstab an die nächste Generation weiter zu geben. Eine Frage, auf die der amtierende Ministerpräsident in der ihm eigenen Unverzichtbarkeit jegliche konkrete Antwort verweigerte. So gab ein Wort das andere und am Ende schieden beide als innige Gegner.

Damals sonnte sich die Bundes-Merkel noch in rautistischer Beliebtheit. An ihrem Sockel zu rütteln kam weder Seehofer noch Söder auch nur ansatzweise in den Sinn. Und so blickten beide Kontrahenten damals nur auf das schöne und mondäne München. Doch die Zeiten haben sich geändert. Merkel wird nicht nur aus süddeutscher Sicht verantwortlich gemacht für das Desaster der sogenannten Flüchtlingspolitik – auch die Europa-Krise und der Fußfall vor dem osmanisch-islamischen Sultan aus Ankara geht ebenso auf Merkels Konto wie das Erstarken der AfD in Gärung (Gauland).

Die Risiken einer Bundes-CSU

Wie nun aber passen die aktuellen Münchner Attacken Richtung Berlin in diese Situation? Eines ist unverkennbar: Die CSU wird alles daran setzen, die ungeliebte Brandenburgerin entweder in die konservative Parteilinie zu reintegrieren – oder sie zu eliminieren. Der Unterstützung aus CDU-Kreisen kann sie sich dabei auch dann gewiss sein, wenn dort die Kritiker sich nach wie vor bedeckt halten.

Ein denkbares und wiederholt diskutiertes Modell wäre die bundesweite Ausdehnung der CSU gewesen. Das allerdings hätte für Seehofer und seine Mannen, sollte es gegen den Widerstand der CDU erfolgen, zahlreiche Risiken in sich getragen. Unabhängig davon, dass es CDU-Ortsverbände gibt, die sofort geschlossen das “D“ gegen das „S“ tauschen würden, steht zu befürchten, dass eine Bundes-CSU vergleichbar der AfD erst einmal zu einem Sammelbecken der Unzufriedenen dieser Republik würde. Auch müsste die CDU als Reaktion umgehend in Bayern einmarschieren, was zwangsläufig die Gefahr heraufbeschworen hätte, die Mehrheit der CSU im Maximilianeum zu verlieren. Was also ist zu tun, um sowohl die Dominanz in Bayern zu retten, als auch die Union insgesamt wieder auf den rechten Weg zu bringen?

Merkel als Spitzenkandidatin verhindern

Wenn Seehofer und seine Mannen das Zielfeuer auf Merkel eröffnen, dann steckt dahinter deutlich mehr als lediglich Frustrationsabbau. Um die Stimmung im Unionsland wissend, böte sich eine aus CSU-Sicht perfekte Lösung an, die schon 1980 nur knapp gescheitert war. Anders als damals jedoch wird es heute nicht der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende sein, der sich den Tort antun möchte, die Republik aus Berlin zu regieren – es reicht den Süddeutschen völlig, an der Spitze der Union beim Kampf um das Kanzleramt jemanden zu wissen, der für die liberalen und konservativen Werte der Schwesterparteien steht – auch auf die Gefahr, dass dann die derzeit ausblutende SPD oder deren postrevolutionärer Ableger der Grünen einige Prozente hinzugewinnen. Wie man mit einer darbenden SPD umzugehen hat, haben die CSUler in nunmehr fast 60 Jahren sozialdemokratischer Daueropposition gelernt.

Konkret bedeutet die vorgeblich inhaltliche Attacke auf die CDU daher in der Konsequenz die Ablösung der CDU-Chefin als Spitzenkandidatin. Denn – siehe oben – mit Merkel ist der Niedergang der Union und das Etablieren einer unberechenbaren rechtskonservativen Konkurrenz nicht mehr aufzuhalten.

Aus der CDU selbst sind hierfür kaum geeignete Kandidaten zu erwarten. Zwar läuft sich, nachdem sich Thomas de Maiziére um seine Reputation gebracht hat, derzeit Ursula von der Leyen warm – doch wirklich warm werden können auch die Bayern mit der Niedersächsin nicht.

Schäuble als denkbarer Übergangskanzler

Kurzfristig als Übergangslösung käme der durchsetzungsstarke Bundesminister der Finanzen, Wolfgang Schäuble, in Betracht. Der allerdings ist angesichts seines Handicaps, seines hohen Alters und dem auch ihm angelasteten personellen Desaster im Ländle niemand, der auf längere Sicht in der Berliner Waschmaschine die Hebel bedienen kann. Was die Republik aus bayerischer Sicht braucht, ist ein unverbrauchter, dynamischer Mann, der nicht nur die traditionelle Unionsklientel, die sich rasant ins das Rentenalter bewegt, anbindet, sondern der über bisherige Parteigrenzen hinweg auch jüngere Wähler ansprechen kann. Für diese Rolle, die ursprünglich jenem Freiherrn aus dem Frankenland zugedacht war, kommt derzeit nur noch einer in Frage: Markus Söder. Dem, der sein Amt als bayerischer Finanzminister mit viel Fortune und Effizienz führt und dabei den Konflikt mit den länderfinanzausgeglichenen Geldverbrennern aus dem Norden nicht scheut, wird zugetraut, den frischen und konservativen Wind in die Republik zu bringen, den diese nach dem alternativlosen Merkel-Mehltau so bitter nötig hat.

Männerfeindschaft oder Pragmatismus

Aber – steht dieses Denkmodell nicht in eklatantem Widerspruch zu der gepflegten Männerfeindschaft? Nur auf den ersten Blick. Denn für den Pragmatiker Seehofer stellt sich die Situation letztlich recht simpel dar. Sollte Söder für die dann wieder geeinten Unionsschwestern in den Wahlkampf gegen einen gebeutelten Sozialdemokraten ziehen, kann er dabei entweder erfolgreich sein – oder sich als Zukunftsmodell abschließend aus der Politik verabschieden. Ist Söder erfolgreich, so hat er in Berlin alle Hände voll zu tun und das Bayernland ist wieder uneingeschränkt in oberbayerischer Hand. Gleichzeitig sind beide klug genug zu wissen, dass ein von der CSU gestellter Bundeskanzler nur erfolgreich sein kann, wenn er eng mit der bayerischen Politik im Franz-Josef-Strauß-Ring 1 zusammen arbeitet. Das gilt umgekehrt nicht minder.

Söder hätte als junger, unverbrauchter Bundespolitiker jede Chance, die Bundesrepublik und mit ihr die Union zurück in die verlorene Mitte der Gesellschaft zu führen. Sollte die Union in einem solchen Falle auf einen Koalitionspartner angewiesen sein, so böte sich trotz der traditionellen Hassliebe zu den Liberalen die FDP des Christian Lindner an. Doch auch ein Koalitionsangebot des fränkisch-evangelischen Arbeiterkindes Söder an den Türkschwaben Cem Özdemir und den gleichaltrigen Münchner Anton Hofreiter würde bei einem Kanzler Söder bei niemanden den Verdacht aufkommen lassen, die Union werde sich nunmehr dem vermeintlich grünen Mainstream ähnlich unterwerfen, wie dieses Merkel unterstellt wird.

Seehofer wäre daher mit einem Schlag so ziemlich alle Sorgen los. Entweder, Söder hätte sich als erfolgloser Kanzlerkandidat selbst versenkt – oder seine CSU hat in Berlin den Hut auf. In Bayern selbst würde ein bayerischer Kanzler der CSU ungeahnten Aufschwung geben – und um den Kraftakt einer bundesweiten Parteineugründung wäre man auch herumgekommen.

Und so liegt es auf der Hand, dass die Bayern gerade nicht nur zur Entscheidungsschlacht gegen Merkel ansetzen, sondern dass sie dieses bereits mit zahlreichen Vertrauten in der Schwesterpartei abgestimmt haben. Die Tatsache, dass die Junge Union seit eh und je die gemeinsame Tochter von CDU und CSU ist und langlebige Netzwerke über den Main geschaffen hat, die der DDR-Pastorentochter ewig verschlossen bleiben werden, kann dabei nur hilfreich sein.

Die betonierte Landschaft gerät in Bewegung

Mit diesen möglichen Personalien gerät die vermeintlich betonierte politische Landschaft in Bewegung. Denn längst ist die Große Koalition keine mehr; nach unterschiedlichen „Sonntagsfragen“ läge ihr Stimmenanteil nur noch bei rund 54 Prozent. Zu viele Abgeordnete bangen um ihre Mandate; die Rolle der SPD als Volkspartei ist gefährdet. Die Wahlerfolge der AfD setzen beide Parteien unter Zugzwang. Vermutlich zuerst bei der SPD verändern sich die handelnden Personen.

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Aber auch in der Union wächst der Druck auf Merkel und beginnt eine hektische Kandidatensuche. Ob sich die CSU durchsetzt, darf bezweifelt werden – allerdings erhöht Martin Schulz seine Chancen eher: Schulz gilt nicht nur AfD-Anhängern als nicht vermittelbar. Vor allem aber: Den Vorstoß der CSU kann die CDU nicht nur einfach abwehren – er muss konstruktiv beantwortet werden. Auf Olaf Scholz warten harte Zeiten. Die SPD sucht sich selbst.

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