Leistungsbilanz: Weniger Arbeiten, damit Europa gewinnt?

Viele malen sich die Welt doch etwas zu einfach. Neulich saß ich bei einer Veranstaltung auf dem Podium und diskutierte mit einem Ökonomen über die Euro-Krise, der unter einem SPD-Vorsitzenden sogar einmal Staatssekretär im Finanzministerium war. Sein Kernargument war: Deutschland müsse seinen Leistungsbilanzüberschuss abbauen, denn die Schulden Griechenlands, Spanien und Italiens seien die Forderungen Deutschlands. Deutsche Unternehmen würden also zu viele Waren in den Süden des Euro-Clubs exportieren, die diese mit privaten und staatlichen Schulden bezahlen müssten. Dies verschärfe die Euro-Krise fortdauernd.




Und auch das fortlaufende Rufen in Deutschland nach ausgeglichenen Haushalten und einem Abbau der Verschuldung sei das völlig falsche Signal. Unsere Löhne seien zu gering und die Investitionen im Inland zu mager. Deshalb müssten die Gewerkschaften endlich höhere Lohnforderungen durchsetzen und der Staat mit öffentlichen Investitionsprogrammen die Investitionen in Straßen, Schulen und Universitäten anregen. Wenn dies geschehe, dann würden die Überschüsse sinken und die Eurozone käme ins Lot.

Weniger Leistung für Europa?

Nicht viel daran ist richtig. Jedoch hat diese Theorie mächtige Verbündete. Die EU-Kommission drängt seit geraumer Zeit die Bundesregierung dazu, Maßnahmen zum Abbau des Leistungsbilanzüberschusses zu ergreifen. Nach der Überarbeitung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes 2011 können jetzt nicht nur die üblichen Haushaltsdefizite von mehr als 3 Prozent der Wirtschaftsleistung sanktioniert werden, sondern nunmehr auch fortdauernde Leistungsbilanzüberschüsse von mehr als 6 Prozent. Betroffen wäre davon Deutschland, das seit Jahren einen Überschuss seiner Exporte über die Importe von über 6 Prozent vorweisen kann. Noch scheuen Juncker und seine Kommission diesen Schritt, doch winken sie immer wieder mit dem reformierten Pakt, sobald Wolfgang Schäuble zu sehr die Budgetdefizite der Südländer anprangert.

Eigentlich ist die Geschichte zum Totlachen. Denn 2011 wollte Merkel gemeinsam mit Sarkozy die Regeln verschärfen. Nie wieder sollte der Euro durch den Schlendrian Einzelner in Gefahr gebracht werden. Ihr Vorschlag war: mehr Zentralismus und Überwachung in der EU. Das „Sixpack“ sollte Verstöße gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt schneller und mit automatischen Sanktionen ahnden. Und der „Euro-Plus-Pakt“ sollte die Wirtschaftspolitik in der EU besser koordinieren. Mehr Europa zur Lösung der Euro-Krise war das gemeinsame Motto.

Die Möglichkeit von Sanktionen bei Leistungsbilanzüberschüssen eines Mitgliedsstaates wurde still und heimlich in das Regelwerk aufgenommen. Dass es jemals für Deutschland zum Zuge kommen könnte, ahnten die Verhandler auf deutscher Seite wohl nicht – ein schwerer Fehler.

Weniger Sixpack

Jetzt rudert Merkel wieder zurück. Ihr ist wohl der Machtzuwachs der Kommission unter ihrem Parteifreund Jean-Claude Juncker nicht geheuer. Deshalb will sie Sixpack und Euro-Plus-Pakt wieder einstampfen. Zumindest hat sie dies gerade mit dem französischen Präsidenten vereinbart. Jetzt wollen beide das Rad wieder zurückdrehen, da sie darin einen zu großen Eingriff in Ihre Souveränität sehen.

Witzig! Deutschland will nicht für seine Leistungsbilanzüberschüsse bestraft werden und Frankreich will seine Haushaltsdefizite auf den Sankt-Nimmerleinstag sanktionsfrei weiterführen, obwohl beide 2011 noch das Gegenteil durchsetzt haben.

Doch das eigentliche Problem der Kommission, aber auch des ehemaligen Finanzstaatssekretärs auf dem Podium war und ist es, dass beide nur in Aggregaten denken können. Nach dem Motto: Die Gewerkschaften müssen insgesamt höhere Löhne durchsetzen, die Unternehmer müssen im Inland mehr investieren, der Staat muss mehr Straßen bauen und die Verbraucher müssen mehr kaufen.

Doch es gibt nicht DIE Verbraucher und DIE Unternehmer. Und selbst die Gewerkschaften sind kein Monolith, sondern es gibt derer zahlreiche. Selbst die staatliche Ebene sind bei uns neben Bund und Ländern auch mittelbar noch die Kommunen. Diese Kollektive handeln aber nicht: Es exportieren vielmehr einzelne Unternehmen. Sie kämpfen alleine um Kunden im In- und Ausland. Und es sind einzelne Verbraucher, die sich tagtäglich für Waren individuell entscheiden. In der Regel interessiert es sie dabei nicht, ob diese aus dem In- oder Ausland stammen. Man kann als Regierung versuchen, das zu steuern, zu regeln und zu beeinflussen. Doch Vorsicht an der Bahnsteigkante. Kein Staat, keine Regierung, keine EU-Kommission kann jemals wissen, was Individuen für Konsum- oder Investitionsentscheidungen treffen würden. Gerade eine staatliche Investitions- und Konsumlenkung ist meist die Ursache für Blasen an den Märkten für Investitions- und Konsumgütern.

An einer Stelle hatte mein linker Mitdiskutant auf dem Podium jedoch Recht. Die Forderungen des einen sind die Schulden des anderen. Er hat damit den Kern unseres Geldsystems durchdrungen. Es beruht darauf, dass Schulden durch die Kreditvergabe der Banken entstehen, denen kein Sparprozess an einer anderen Stelle gegenübersteht. Der Kredit und damit die Schuld entstehen aus dem Nichts.

Die Blasen-Ökonomie

Es ist Fiat-Geld und damit anfällig für eine Ökonomie des „boom and bust“. Das Steuerungselement dieser Schuldenökonomie ist der Zins, den die Notenbank mittelbar bestimmt. Ist er niedrig, boomt die Wirtschaft, ist er hoch, dann folgt der „bust“ bzw. der Einbruch auf dem Fuß. Innerhalb des Euro-Clubs ist der Zins für Deutschland zu niedrig, deshalb profitiert kurzfristig die Exportindustrie. In Südeuropa darf der Zins jedoch nicht höher sein, sonst folgt der erneute „bust“. In diesem selbst verursachten Dilemma steckt Mario Draghi und pumpt deshalb immer mehr Geld ins System.

Das Modell des Staatsekretärs, noch mehr Schulden auf beiden Seiten zu machen, damit es allen gleich schlecht geht, löst das Problem aber auch nicht, sondern verschärft es. In einem Schuldgeldsystem hilft nur eins: der Konkurs derer, die besonders viele Schulden gemacht haben. Nur dies reduziert das Risiko, dass die Schuldenblase im Großen platzt. Doch vielleicht ist es wie im Fußball: Keiner will die Regionalliga sehen, sondern alle das Finale in der Champions League.




 

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