EU real: muss einem nicht spanisch vorkommen

Die Maastricht-Kriterien sind das niedergeschriebene Misstrauen gegenüber der Durchsetzbarkeit der Nichtbeistandsklausel. Und der ESM ist das anschließend vollzogene Misstrauen gegen die Nichtbeistandsklausel. Der ESM hebelt die Insolvenzfähigkeit der Euro-Staaten aus.

© Adam Berry/Getty Images

An dieser real existierenden Europäischen Union kann man verzweifeln und man muss kein Untergangsprophet sein, um zu behaupten, dass das so nicht mehr lange gut gehen kann. Was wurde nicht alles hoch und heilig versprochen, als im Zuge der Überschuldungskrise von Staaten und Banken in Südeuropa der Europäische Stabilitätsmechanismus ESM als Rettungsboot geschaffen wurde. Der Regelbruch dürfe nie wieder zugelassen werden. Automatische Sanktionen für Haushaltssünder sollten politische Einflussnahme verhindern. Die Schuldenbremse der Maastrichter Verträge sollte durch ein Neuverschuldungsverbot nach deutschem Vorbild verschärft werden. Alles wurde anschließend in Gesetze gegossen und heilige Schwüre mit viel europäischem Pathos darauf geleistet.

Und heute? Nichts davon wird in die Tat umgesetzt. Die Erosion der EU hat sehr viel damit zu tun. Aus deutscher Sicht ist es sogar noch viel schlimmer. Wenn der Bericht des Handelsblatts von gestern stimmt, dann soll angeblich Finanzminister Wolfgang Schäuble höchst selbst mögliche Sanktionen gegen die Defizitsünder Spanien und Portugal verhindert haben. Schlimmer geht’s nimmer. Da hilft es auch nicht, wenn im Unionslager der Vorsitzende der CSU im Europaparlament, Markus Ferber, den Beschluss der EU-Kommission nunmehr mit dem Verweis auf die gerade geänderten Europäischen Verträge kritisiert. Er kritisiert damit seinen eigenen Landsmann und Finanzminister.

Das Recht folgt der Fahne

Schäuble argumentiert wahrscheinlich pragmatisch. Ein Land ohne Regierung wie Spanien und ein Land in einer schweren Rezession wie Portugal vertrügen keine Sanktionen in Form von Strafzahlungen. Auch eine Kürzung der EU-Strukturmittel würde die Lage auf der iberischen Halbinsel verschlimmern. Das ist die gängige Argumentation. Doch unabhängig von der Tatsache, dass dies alles auch bereits bei der Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten rauf und runter diskutiert wurde, darf die Frage erlaubt sein, ob diese Argumente stimmig sind.

Stimmig wären sie, wenn die Nichtbeistandsklausel, dass jeder für seine Schulden selbst haftet, nicht durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM ausgehöhlt worden wäre. Denn eine gemeinsame Währung braucht eigentlich keine übergeordnete Haushaltspolizei, die das staatliche Defizit in einem Mitgliedsstaat überwacht und sanktioniert. Man braucht sie nur dann (und das war wohl den Gründervätern des Euros schon bewusst), wenn man der Durchsetzungsfähigkeit der eigenen Regeln misstraut. Die Maastricht-Kriterien sind eigentlich das niedergeschriebene Misstrauen gegenüber der Durchsetzbarkeit der Nichtbeistandsklausel. Und der ESM ist das anschließend vollzogene Misstrauen gegen die Nichtbeistandsklausel. Der ESM hebelt die Insolvenzfähigkeit der Euro-Staaten aus.

In einem Währungsraum reicht es eigentlich, wenn klar ist, dass kein Land für die Schulden eines anderen Landes haftet oder für diese eintritt. Lebt ein Land über seine Verhältnisse, dann kann es sich überlegen, ob es durch harte Kürzungsmaßnahmen innerhalb des Währungsraumes wieder kreditwürdig an den Finanzmärkten wird, oder ob es das außerhalb des Währungsraumes anstrebt. Nur wenn die Finanzmärkte nicht daran glauben, dass diese Regelungen im Zweifel angewandt werden, setzen sie darauf, dass die Schulden kollektiviert werden. Genau so haben sich die Märkte seit Gründung des Euro verhalten. Lediglich 2010 und 2011 gab es eine kurze Phase, in der die Finanzmärkte unsicher waren, ob der gegenseitige Beistand erfolgt. Deshalb spreizten sich die Zinsen innerhalb des Währungsraumes zwischen den Krisenstaaten und dem Rest. Wer das alles für politisch nicht umsetzbar hält, geht den Weg der Haushaltspolizei. Diese überwacht die Budgets der Mitgliedsstaaten und sanktioniert sie.

Gibt es weder eine Insolvenzfähigkeit von Staaten im Euro-Raum noch eine Haushaltspolizei, dann müssen diejenigen, die das verhindern, sich fragen lassen, was daraus folgt? Denn um Sparmaßnahmen in den öffentlichen Haushalten kommen weder Spanien noch Portugal herum. Je eher desto besser. Öffentliche Haushalte werden über die Ausgabenseite saniert. Setzt man dagegen auf Subventionen aus Brüssel, weil diese angeblich die Konjunktur ankurbeln oder auf die Zinssubventionen der EZB, die die wachsende Verschuldung besser finanzieren lassen, dann folgt man der Schimäre, man könne Wohlstand dauerhaft auf Pump finanzieren. Wolfgang Schäuble weiß es eigentlich besser. Umso fataler ist sein aktuelles Handeln.

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