Erst die Parteien, dann die Person

Wer der beste nächste Präsident oder die beste erste Präsidentin sein wird, wird in der Bundesversammlung nicht den Ausschlag geben. Die Präsidentenwahl ist wie immer ein Machtspiel: Erst die Partei, dann die Person.

Am 12. Februar nächsten Jahres wird also der nächste, der neue Bundespräsident gewählt. Es ist wie immer ein großes Ereignis – und ein ungewöhnliches. Bei anderen Wahlen geht es darum, wer anschließend regiert und das Land durch seine Politik prägt. Bei der Wahl des Bundespräsidenten geht es in erster Linie darum, welche Parteien sich durchsetzen. Was der Gewählte hinterher macht, ist aus der Sicht der Parteien eher zweitrangig.

Schauen wir zurück: 2004 wollten CDU/CSU und FDP der rot-grünen Bundesregierung eine schmerzliche Niederlage zufügen. Das Signal sollte zeigen: Eure Zeit ist vorbei. Es gelang nur teilweise: Horst Köhler wurde Bundespräsident. Doch bei der vorgezogenen Bundestagswahl 2005 schaffte es nur die CDU/CSU in die Regierung, nicht der Wunschpartner FDP.

Bei Köhlers Wiederwahl im Wahljahr 2009 war es nichts anders: Schwarz-Gelb zeigte, wer der Stärkste im ganzen Land ist. Von Oktober 2009 an regierten dann CDU/CSU und FDP – manchmal gemeinsam, meistens eher gegeneinander. Deshalb stand 2010 bei der Wahl des Nachfolgers des vorzeitig zurückgetretenen Präsidenten Köhler so viel auf dem Spiel: Hätte Schwarz-Gelb nicht wenigstens hier Zusammenhalt bewiesen, wäre die schwarz-gelbe Zeit vielleicht schon vorzeitig zu Ende gegangen.

Gauck, Fehlkalkulation der FDP

Knapp zwei Jahre später – der glücklose Präsident Christian Wulff hatte zurücktreten müssen – nutzte die in den Umfragen auf unter fünf Prozent abgerutschte FDP die Chance der Bundespräsidentenwahl, um sich vom großen Koalitionspartner CDU/CSU abzusetzen. Während die Union noch nach einem gemeinsamen Koalitions-Kandidaten Ausschau hielt, macht die FDP heimlich gemeinsame Sache mit Rot-Grün: Plötzlich war der rot-grüne Kandidat Joachim Gauck der Mann der Liberalen. Die düpierte Union konnte sich nur noch widerwillig in die Reihe der Gauck-Unterstützer einreihen: Ein scheinbar überparteilicher Präsident war geboren.

Im Februar 2017 wird alles noch komplizierter sein: Die Lager – hier Schwarz-Gelb, dort Rot-Rot-Grün – existieren so nicht mehr. Zudem ist die Mehrheitsbildung schwierig. Auf eine sichere Mehrheit könnten nur einer gemeinsamer Kandidat der Großen Koalition oder ein von CDU/CSU und Grünen unterstützter Bewerber bauen.

Dass sich Union und SPD auf einen gemeinsamen Wahlvorschlag einigen, ist sehr unwahrscheinlich. Die CDU/CSU mit zirka 160 Stimmen mehr als die SPD (rund 545 zu 388) wird keinen SPD-Bewerber unterstützen, die SPD nicht Mehrheitsbeschaffer für die Union sein wollen. Überdies würde eine „GroKo“ in der Bundesversammlung den Eindruck erwecken, Schwarz-Rot werde nach der Bundestagswahl weitermachen – ganz gleich, wie sich die Wähler entscheiden.

Signalwirkung für die Bundestagswahl hätten auch ein rot-rot-grünes oder ein schwarz-grünes Wahlbündnis. Mal abgesehen davon, dass ein „r2g“-Kandidat auf die Hilfe der Piraten angewiesen wäre: Weder die SPD noch die Grünen können ein Interesse daran haben, sich auf die Linkspartei als Wunschpartner einer künftigen Koalition festzulegen. Im Zweifelsfall sind die Chancen für Rot-Rot-Grün nach der Bundestagswahl besser als vorher. Eine so „linke Mitte“ wollen manche potentiellen Wähler von SPD und Grünen dann doch nicht.

Was Schwarz-Grün angeht, so gibt es sowohl innerhalb der Union als auch bei den Grünen dafür große Sympathien. Aber selbst die Befürworter einer solchen Bundesregierung sehen die Gefahren. Würde Schwarz-Grün schon bei der Bundespräsidentenwahl praktiziert, könnte das konservative Unionswähler bei der Bundestagswahl in die Wahlenthaltung oder zur AfD treiben, linke Grüne zur SPD oder gar zur Linkspartei.

Kretschmann, Fehlhoffung der Südwest-CDU

Ganz anders sähe die Lage aus, wenn die Grünen eine Frau oder einen Mann präsentierten, der für die Union wählbar wäre. Das wäre wohl beim baden-württembergischen Landesvater Winfried Kretschmann der Fall. Den könnte sogar die CSU mitwählen, und selbst die Linken unter den Grünen-Anhängern könnten gut mit dieser Personalie leben. Für die CDU wäre zudem ein großes Problem gelöst: In Baden-Württemberg verlören die Grünen ihren populärsten Politiker, was schlagartig die Chancen der dort auf 27 Prozent geschrumpften Union verbesserte. Doch könnte Kretschmann den Baden-Württembergern nur schwer erklären, dass er das Repräsentieren im Schloss Bellevue attraktiver findet als das eher mühselige Koalieren mit der CDU im Ländle.

Noch ist es viel zu früh für Prognosen. Zumal die Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern bei den insgesamt 38 Wahlmännern und -frauen dieser Länder noch einige Verschiebungen bringen könnten: zu Lasten von CDU und SPD und zugunsten der AfD. Das wird die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung eher noch unübersichtlicher machen.

Von den bisherigen elf Präsidenten, einschließlich des parteilosen Joachim Gauck, kamen sechs von der CDU, zwei von der SPD und zwei von der FDP. Nach der parteipolitischen Arithmetik wäre demnach mal wieder die SPD „dran“, noch vor den Grünen. Auch die CSU hat noch nie einen der Ihren im höchsten Staatsamt gesehen; doch das ist eher ein unionsinternes Problem. Bleibt die Quotenfrage. Dass die üblichen Verdächtigen laut nach einer Frau rufen, überrascht nicht. Warum auch sollen nicht zwei Frauen gleichzeitig in höchsten Ämtern sein – als Kanzlerin und als Präsidentin?

Wie nicht anders zu erwarten ruft ein grün gefärbter, multikultureller Chor nach einem Staatsoberhaupt „mit Migrationshintergrund“. Bei einer Frau mit Migrationshintergrund ließen sich sogar zwei „Quoten“ gleichzeitig erfüllen. Warum auch sollte ein Politiker, eine Politikerin mit ausländischen Wurzeln nicht ins Schloss Bellevue einziehen? Problematisch würde es jedoch, wenn der Migrationshintergrund zum alles entscheiden Kriterium erhoben würde. Das wäre „Show-Politik“ pur. Schlimmer noch: Es wäre Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten, Rechtsradikalen und Rassisten.

Eines lässt sich schon heute – neun Monate vor dem Wahltermin – mit Sicherheit sagen: Wer der beste nächste Präsident oder die beste erste Präsidentin sein wird, wird in der Bundesversammlung nicht den Ausschlag geben. Die Präsidentenwahl ist wie immer ein Machtspiel: Erst die Partei, dann die Person.

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