Lawinenwarnung – oder Warum Angela Merkel heute viel weiter ist

Frankreichs Präsident schließt die Grenzen seines Landes. Deutschland riskiert seit Wochen die unkontrollierte Einreise von Leuten, die Krieg führen gegen den Westen und für dessen Toleranz und Werte nur Verachtung und Hass übrig haben.

Die neueste Lawinenwarnung: CDU im freien Fall, AfD über 10 Prozent. Was nun, Frau Merkel? Ein Auftritt und drei Szenarien.

I.

Womöglich haben Sie es schon vergessen: Gestern Abend saß die Kanzlerin zwei ZDF-Journalisten gegenüber, die es ihr nicht so leicht machten wie neulich Anne Will. Sie guckte an manchen Stellen geradezu entgeistert. Wie ein Schwammerl, wenn´s blitzt. Sie präsentierte sich bis in die Haarspitzen präpariert, weniger von den eigenen Gefühlswogen bewegt als sich verheddernd in bürokratischen Einzelheiten. Sie antwortete in unverständlichen Schleifen, bestand dennoch darauf, die Sache zu „steuern“, richtlinienkompetent und zugleich „einvernehmlich“ mit allen Beteiligten. Auch mit Wolfgang Schäuble, der doch „eine Klasse für sich“ sei. Das ist Angela Merkel auch, selbst wenn sie auf Skiern etwas ausgelöst hat, von dem sie nicht bestätigen mag, dass es eine Lawine gewesen ist. Ob Lawine oder nicht: „Wir sind viel weiter als vor vier Wochen.“ Dieser Satz lässt sich schwer bestreiten. „Ich glaube, dass wir das schaffen werden“, schloss sie, noch immer unbeirrt von sich selbst. Man braucht ja nur das jeweils passende Wort. Obergrenzen für Flüchtlinge lehnt sie ab, über „Kontingente“ lässt sie neuerdings mit sich reden. Ja, und „sehr erfüllend“, geradezu eine „Freude“ sei diese „Riesenaufgabe.“

II.

Und kaum ist eine Stunde verflossen, ist die Welt schon wieder weiter. Um mehr als nur vier Wochen, fürchte ich. Frankreichs Präsident schließt die Grenzen seines Landes, während die Bundeskanzlerin noch immer grenzenlos Welcome sagt. Deutschland riskiert seit Wochen die unkontrollierte Einreise von Leuten, die Krieg führen gegen den Westen. Die für dessen Toleranz und seine Werte nur Verachtung und Hass übrig haben. Was in Frankreich geschieht, ist gewiss nicht Merkels Schuld. Aber ihre Naivität erscheint nun leider in einem anderen Licht.

III.

Die Kanzlerin mag noch immer mit sich selbst im Reinen sein und glauben, sie habe die Lage im Griff. Und die hellen Deutschen werden sich heute beim Frühstück vermutlich einig gewesen sein. Suchen die meisten Flüchtlinge nicht Schutz vor dem Terror der Islamisten? Doch mit dem korrekten Trennungsstrich zwischen Islamisten und dem „gewöhnlichen“ Islam ist es nicht mehr getan. Es ist höchste Zeit, dass die harmlosen Frommen die Auseinandersetzung mit den weniger harmlosen aufnehmen. Und das heißt auch, dass sie aufbegehren gegen vorsintflutliche Dogmen ihrer Religion, statt sich nur immer selbst als Opfer zu stilisieren. Vielleicht dämmert es jetzt dem einen oder anderen, dass nicht Pegida und der rechte Mob die größte Gefahr für dieses Land darstellen. Die Ängste vor dem Terror spielen Pegida und der AfD in die Hände – das allerdings ist wahr.

Es ist nun nicht mehr damit getan, dass der Innenminister ein wenig den bad cop spielt. Es wird Zeit, dass Pflichtmensch Schäuble seine Pflicht gegenüber diesem Staat für wichtiger hält als seine Nibelungentreue zur Kanzlerin. Was die Sonntagsfrage nicht alles bewirkt! Und der Terror von Paris wird noch viel mehr bewirken.
Die Ereignisse legen also nahe, darüber nachzudenken, wie dieses Land regiert werden könnte.

IV.

Szenario 1: Die Union revoltiert doch noch gegen Merkel. De Maiziere putscht, Schäuble übernimmt. In diesem Fall ließe sich der Aufstieg der AfD vielleicht bremsen. Wenn der Mainstream richtig läge, und die AfD tatsächlich die größte Gefahr für das Land wäre, die beste Lösung. Allerdings würde die SPD vermutlich nicht mit Schäuble koalieren wollen. Sie hat sich an Merkel gekettet. Einer Schäuble-CDU bliebe nur die FDP als Partner. Natürlich erst nach Neuwahlen, also nach dem Verlust vieler Mandate. Ein Putsch könnte die Union in die Opposition katapultieren und Rot-Rot-Grün an die Macht. Lieber frisst der Christdemokrat Fliegen und toleriert Merkel. Deshalb zögert Schäuble. Der Ironiker spürt die Ironie der Geschichte. Es juckt. Aber Jucken ist noch keine Strategie.

V.

Szenario 2: Merkel schleppt sich trotzig zur nächsten Bundestagswahl und tritt wieder an. Verprellte Wähler kann sie nicht zurück gewinnen. Die meisten von ihnen geben keine Stimme ab, andere wandern zur AfD oder setzen auf die FDP. Gewiss ist nur eines. Mit der AfD will niemand koalieren. Alles andere geht. Die Unionsparteien könnten mit der SPD weiter wurschteln. Lieber wäre Merkel Schwarz-Grün. Die Selfie-Theologin aus Thüringen als Vizekanzlerin. Hilfe, ein Alptraum! Keine Panik, es wird wohl kaum reichen. So undeutlich wie sich Lindners Rekonvaleszenten-Club derzeit präsentiert, ließen sich die „Liberalen“ für ein paar Posten sogar auf Jamaikas Farben ein. Nur die SPD würde von Merkels Schwäche nicht profitieren.

VI.

Szenario 3: Gabriel schmiedet Rot-Rot-Grün. Bleibt die AfD bei über 10 Prozent, genügen dafür 25 plus 10 plus 10 Prozent zur Mehrheit. Merkel macht es möglich. Und das ist das Paradox der Rechtspopulisten. Sie stärken in Wahrheit nicht das bürgerliche Lager, sondern die Linke. Einziger Vorteil dieses Szenarios: Die Merkel-Union wandert zur Erholung in die Opposition. Sie würde voraussichtlich schneller genesen als Deutschland. Es wäre ein verdammt hoher Preis.

VII.

Kein Szenario mehr: Denn der gelegentlich als Brandstifter kostümierte Biedermann Seehofer hat diese Option ausgeschlagen. Er hätte mit der Trennung von der Merkel-CDU der AfD den Wind aus den Segeln genommen. Was hätte Seehofer erreicht? Fünfzehn Prozent bundesweit vielleicht. Der Preis wäre der Verlust der CSU-Herrschaft in Bayern gewesen. Das Land ist der CSU immer wichtiger gewesen als der Bund. Eine deutlich kleinere „Große Koalition“ hätte bis zur Wahl durchgehalten. Getrennt marschierend, vereint schlagend, hätten die Unionsparteien sich vielleicht stabilisiert und mit der FDP eine neue Mehrheit finden können. Seehofer hätte Merkels Kanzlerschaft nicht gefährdet. Rot-Rot-Grün hätte Morgenluft gewittert.

VIII.

So spricht bei nüchterner Betrachtung noch immer viel für Merkels „Freude an der Riesenaufgabe“. Sie glaubt, dass sie es schaffen wird. Die Chance, sie loszuwerden ist geringer als die Chance, ihre Politik zu ändern. Die Zahlen und die Ereignisse könnten sie dazu zwingen.

Wolfgang Herles: „Die Gefallsüchtigen – Gegen Konformismus in den Medien und Populismus in der Politik“ >>>

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