Das Schwein in mir. Sie sind auch gemeint!

Wolfgang Herles fordert: Erstens: Der sexistische Titel „Tichys Einblick“ wird sofort geändert in Tichy_Einsichtslos. Zweitens sollten auch Sie endlich mit einem emanzipatorischen Hashtag in den Geschlechterdiskurs einsteigen. Mein Vorschlag: #aussichtslos.

Lieber Roland Tichy,

in diesen Tagen muss man dankbar sein für den kleinsten Fortschritt. Deshalb kommt es gar nicht darauf an, wer oder was ihn bringt. Hauptsache dass. Wir verdanken es dem sexuellen Notstand mutmaßlicher Männer, von denen einige dem Hören und Sagen nach aus Nordafrika womöglich illegal eingewandert worden sein sollen, dass wir endlich das Schwein in uns selbst entdeckt haben. Wir, Sie und ich, sorry about that, sind männlichen Geschlechts, und noch nicht einmal ins Gender_Gap gefallen. Damit ist klar, welch sexistisches Potential nur darauf wartet, mit uns durchzugehen. Wir können von Glück reden, wenn wir nicht auch noch zu Rassisten werden.

Dank deshalb an die stets bis zu den Haarspitzen bedeckte muslimische Frauenrechtlerin Kübra Günüsay und ihre Schicksalsgenossinnen, die gerade den schlagkräftigen Hashtag #ausnahmslos erfunden und dazu auch noch eine fundamental-feministische Bewegung begründet haben. Gewiss eine sinnvollere Tat, als sich mit Männern ihrer eigenen Religion herum zu plagen. Wir sollten deren Kultur, Erziehungsideale etc. endlich respektieren und ihnen ihre Würde lassen. Das Schwein in uns ist ein urdeutsches Vieh. Muslime mögen gar kein Schwein.

Jedenfalls gehe ich jetzt mit anderen Augen durch Deutschland. Unlängst, es war in Sachsen unweit der Pegida-Metropole Dresden, stieß ich zufällig und mitten in einem der Erholung ganzer Familien dienendem Waldgebiet (das auch schon, kein Zufall, das Sexmonster August der Starke für Hetzjagden nutzte) auf diese Litfaßsäule. TattooIch gestehe, dass ich kurz einen Sprengstoffanschlag in Erwägung zog. Zu sehen ist erstens ein aufreizend locker bekleideter, mit unanständigen Tattoos bedeckter Frauenkörper. Zweitens Reklame für eine Erotikmesse, einer ausschließlich der Erregung von Männern gewidmeten Veranstaltung, die sogar fromme Muslime in Versuchung führen kann. Diese sogenannte „Messe“ ist Teufelswerk, darin sind wir uns doch einig. Der Gipfel der Schamlosigkeit aber ist – drittens – die schulterfreie weibliche Figur unten links. Ein eindeutiges JA zum Zeugungsakt, und das in aller Öffentlichkeit! Wo sind wir nur hingekommen!

Zum Glück wollen Grüne und SPD jeder sexistischen Werbung in Zukunft zu Leibe rücken. Sicher macht auch die CDU noch mit. Ich meine ja, die mit jedermann_frau dauerflirtende Ex-Weinkönigin Klöckner sollte ihr nicht gänzlich reizloses Wesen nicht länger für ein Burkaverbot verschwenden, sondern an die Not der deutschen Männer denken. Frauen bedeckt euch – und sei es aus Mitleid für uns!

Man_frau kann gar nicht alle Beispiele aufzählen, die inzwischen aus allen Teilen der Republik gemeldet werden. Aus München ist zu hören, dass bereits ein bis zwei Frauenzelte auf dem Oktoberfest fest eingeplant sind. Der Vorstand der Deutschen Bahn diskutiert unter dem Stichwort Verkehrsberuhigung die Einführung von Frauenabteilen im Fern- wie im Nahverkehr. Im traditionell fortschrittlichen Bistum Regensburg erinnert man sich wieder an die gute alte Gepflogenheit, in den Kirchen die Geschlechter zu separieren, Männer rechts, Frauen links vom Mittelgang (nur die Domspatzen haben natürlich weiterhin freie Wahl). Ich meine, dies ist ein richtiger Schritt zur längst überfälligen Ökumene mit dem Islam. Und in Berlin denkt man an Geschlechtertrennung beim Schlange stehen in den Bürgerämtern. (Mit mindestens zwei Armlängen Abstand zwischen den Schlangen, sonst nützt es ja nichts, solange Männer durchschnittlich längere Arme haben und solange man sie ihnen noch nicht bei Missbrauch abhackt.) Erfreulicher Nebeneffekt: Die Schlangen werden sofort um ca. 50 Prozent kürzer!

In der Diskussion ist auch ein Mahnmal im Tiergarten. Höchste Zeit, weil doch zwischen Sexismus und Rassismus im Grunde kein Unterschied besteht. Für alle anderen Opfer des Rassismus gibt es bereits Mahnmale. Es ist nicht einzusehen, weshalb es ausgerechnet für die Opfer der deutschen Rape-Culture keines geben sollte. Sie, Herr Tichy, könnten sich mit ihrer Medienmacht durchaus Verdienste erwerben, wenn Sie sich in diesem Sinne einsetzen würden.

Solange Sie sich allerdings nicht am eigenen Riemen reißen, verlieren Sie jedes moralische Recht, sich über Muslim_innen auszulassen. Mit dem gebührenden Ernst weise ich Sie hiermit darauf hin, dass schon der Markennamen „Tichys Einblick“ von einer nicht länger zu verantwortenden sexistischen Doppeldeutigkeit befallen ist. Da ist so ein voyeuristischer, um nicht zu sagen schlüpfriger Unterton, den ich nicht akzeptieren will. Von „Einblick“ ist die Rede, als hätten Sie es tatsächlich auf nackte Tatsachen abgesehen. Von solchen Einblicken bis zu Eingriffen, ahnt man_frau, ist es nicht weit.

Was mich auch irritiert, verehrter Herr Tichy, ist, dass geschminkte und womöglich parfümierte Autorinnen wie Frau Schunke auf Ihren Seiten sexistische Propaganda verbreiten dürfen. Ausgerechnet in einem Artikel über die Brüderle-Partei (!) finde ich die Formulierung: „Alte Herren, die einem in die Jacke helfen, wenn man geht.“ Das aber geht gar nicht! Muss ich es Ihnen noch erklären?

Ich plädiere deshalb zunächst für zwei Sofortmaßnahmen. Erstens: Der sexistische Titel „Tichys Einblick“ wird sofort geändert in Tichy_Einsichtslos. Zweitens sollten auch Sie endlich mit einem emanzipatorischen Hashtag in den Geschlechterdiskurs einsteigen. Mein Vorschlag: #aussichtslos.

In diesem Sinn stets Ihr
Wolfgang Herles

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