Anweisung von oben? Oder: Warum Karl Kraus zu Hitler nichts einfiel

Die größte Gefahr für den politischen Journalismus ist Komplizenschaft mit Politikern. Die Jasager haben ihren Beruf verfehlt. Das gilt nicht nur in autoritären Gesellschaften. Journalisten sollten weder mit Wölfen heulen, noch mit Nachtigallen singen. Eigentlich dachte ich, all das sei selbstverständlich.

Lieber Roland Tichy,

hier spricht der „neue Messias der Lügenpresse-Fraktion“ (taz). Da muss ich mir jetzt aber verdammt Mühe geben. Keine Angst, es folgt keine Bergpredigt. Predigen mag ich nicht. Ich hasse es, wenn ich zum Predigen genötigt werden soll. Ist aber schon passiert.

I.

Das geht dann so. Zitat des ZDF-Intendanten an alle leitenden Redakteure:
„Wir können zwar keine unmittelbar anstehenden Probleme lösen, wir können aber durch ein verantwortungsvolles Informationsklima dazu beitragen, dass sich nicht Hoffnungslosigkeit oder Aggression aufbaut und verbreitet. (…) Es reicht nicht aus, objektiv und wahrhaftig zu sein, unsere Programmbeiträge müssen auch einfühlsam und verständnisvoll sein. (…) Ich weiß, dass Sie mein Brief vielleicht ein wenig pastoral anmutet. Er kommt jedoch aus der Sorge, wir könnten unseren Auftrag verfehlen…“ Da hat einer aber die Hand gewaltig am Puls der Zeit, nicht wahr? Sehr heutig, sehr sensibel, sehr richtig. Oder etwa nicht?

Nicht richtig! Es reicht vollkommen aus, objektiv und wahrhaftig zu sein. Alles, was darüber hinaus geht, ist kein Journalismus. Wer sich seine Glaubwürdigkeit einfühlsam und verständnisvoll zerstört, erreicht das Gegenteil dessen, was er beabsichtigt. Zumal immer  noch die Frage ist: Verständnisvoll und einfühlsam gegenüber wem? Je einfühlsamer, desto eindeutiger schlägt sich der Berichterstatter auf eine Seite. Die Seite des Guten natürlich. Oder was er dafür hält.

II.

Hätte ich denn ein Faible für religiöse Metaphern, würde ich Karl Kraus zu meinem Messias ernennen. Er hat die Zeit-Polemik zur Kunstform erhoben und die „Lügenpresse“ der Lächerlichkeit preisgegeben. Sein Buch „Die dritte Walpurgisnacht“ beginnt mit dem berühmten Satz „Mir fällt zu Hitler nichts ein.“ 1933 ein seltsamer Satz. Ein makaberer Scherz? Der Riesenirrtum eines arroganten Intellektuellen? Keineswegs. Er ist die perfekte Entzauberung. Kraus verweigert sich der Mystifizierung eines Führers. Denn der Führerkult ist schlimmer als der Führer. Die Gefolgschaft der Untertanen erst legitimiert den Terror der Obrigkeit. Am schlimmsten sind angepasste Medien. Die Verkehrung der kritischen zur buckelnden Öffentlichkeit hat Kraus radikal dekonstruiert. Ihm fällt zu Hitler nichts ein, weil er nicht die politische Machtergreifung des Tyrannen beschreibt, sondern die geistige Machtergreifung durch die pervertierte Sprache der Medien. Dass beides am Ende auf dasselbe hinausläuft, ist klar.

III.

Ich werde jetzt nicht so blöd sein, verehrter Tichy, und mich zu der Paraphrase hinreißen lassen, mir falle zu M nichts ein, obwohl Sie doch die ganze Zeit schon auf diese Zeile warten. Stimmt´s? Erstens ist mir zu M schon eine Menge eingefallen, vielleicht mehr als genug, und zwar schon ziemlich lange, (gewissermaßen „seit 33“, um eine etwas aus der Mode gekommene Floskel zu strapazieren). Zweitens gehört M zu den Guten. (Muss ich das eigens betonen?) Drittens hat Kraus natürlich doch über Hitler geschrieben, selbst wenn er ihn nicht erwähnt.

Die Krisen der Demokratie begannen weder mit H noch mit M. Gemeinsam ist den beiden bei aller Unvergleichbarkeit, dass sie etwas ganz anderes wollten, als sie dann geschaffen haben. Das tausendjährige Reich ging nach zwölf Jahren (und zwölf Jahre zu spät) unter. Und M beabsichtigt gewiss nicht, ihre Partei, ihr Land und Europa so nachhaltig zu spalten, wie es mittlerweile zu bestaunen ist. (Es gibt zwar Leute, die behaupten, dahinter stecke ein teuflischer Plan, aber, sorry, da macht euer neuer Messias nicht mit).

Das grundsätzliche Problem der Demokratie ist vermutlich, dass immer mal wieder die Macht der Dummheit siegt. Sanfter formuliert: die Macht der Gefühle. Nicht bloß bei uns. Schauen wir nur mal nach Amerika! Zur Verbreitung der Dummheit tragen die Massenmedien, nicht zuletzt ein nach Beliebtheit gierendes öffentlich-rechtliches Fernsehen, nicht wenig bei.

IV.

Das fängt mit der schludrigen, kaum zu ertragenden Sprache an. Pardon, aber beim Fernsehen wird auf Präzision, Originalität oder gar Stil von Sprache kaum noch Wert gelegt. Ich weiß, wovon ich rede. Genügt doch, wenn die Bilder sprechen, glaubt man. Was würde Karl Kraus heute über´s Fernsehen schreiben? Er hätte gewiss seine Freude an den Sprachschludereien etwa einer Dunja Hayali, die derzeit im ZDF als preisgekröntes Leitbild gilt. Ihre Sätze wackeln so gut wie immer, ihre Gesinnung nie. Sie ist keine Ausnahme. So ist Fernsehen heute. So ist Online-Journalismus. Falsches Pathos im Seichten. Die Stammler sind stolz aufs Stammeln – glauben sie doch locker, jung, unelitär zu sein. Karl Kraus hatte Recht, wenn er den Sprachverfall als gültiges Maß nahm für den Verfall der politischen Kultur und letztlich der Zivilisation. Das Gequatsche ist geistige Verarmung. Das Gequatsche ist populär. Das Gequatsche der Medien und der Politik schaukeln sich gegenseitig hoch. Schlichte Sprache behauptet schlichte Sachverhalte. Propagiert einfache Lösungen für Komplexes und Schwieriges. Die Sprache des Populismus wäre ein gefundenes Fressen für Kraus. Der Populismus der Mitte wie der Populismus der Ränder fachen einander an. Das „Pack“ und die „Lügenpresse“, helle und dunkle Simplifizierer. Die Gutgläubigen und die Hassprediger.

V.

Niemals darf es Aufgabe und Auftrag von Journalisten sein, ein höheres Ziel zu propagieren, auch nicht unter dem Vorzeichen der Moral oder der Vaterlandsliebe oder der Religion. Es ist nicht Aufgabe der Medien, Kulturen zusammen zu führen oder ein paar Millionen Einwanderer zu integrieren oder die große Koalition vor einer gefährlichen neuen Partei zu beschützen oder zu glauben, sie könnten der Spaltung der Gesellschaft entgegen wirken, indem sie vermeintlich Böses dämonisieren und vermeintlich Gutes propagieren. Die Medien haben die Fehler der Einwanderungspolitik nicht verursacht. Sie haben sich aber allzu lange (bis Köln) zum Sprachrohr von Emotionen machen lassen, die die Regierung als Politik ausgab. Die größte Gefahr für den politischen Journalismus ist Komplizenschaft mit Politikern. Die Jasager haben ihren Beruf verfehlt. Das gilt nicht nur in autoritären Gesellschaften. Journalisten sollten weder mit Wölfen heulen, noch mit Nachtigallen singen. Eigentlich dachte ich, all das sei selbstverständlich.

VI.

Das Zitat des Intendanten stammt übrigens vom 19. Februar 1991. Der letzte Satz endete so: Mein Brief „kommt jedoch aus der Sorge, wir könnten unseren Auftrag verfehlen, die Deutschen in Deutschland zusammenzubringen.“ Ähnliche Mahnungen gibt es auch heute. Interessanterweise war der Brief nicht wie üblich an die „lieben Kolleginnen und Kollegen“ gerichtet, sondern mit „Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ überschrieben. Es war ein Dokument der Hierarchie, also keine kollegiale Empfehlung, sondern eine Anweisung. Der Brief wurde damals im ZDF nicht diskutiert, sondern befolgt.

In diesem Sinne stets Ihr
Wolfgang Herles

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