Die Flugkatastrophe und die Tragödie der Massenmedien

Keine Katastrophe ist zu schrecklich und kein Leid zu unermesslich für den seelenlosen Automaten der großen Öffentlichkeitsmaschinerie. Die Sensation des Flugzeugabsturzes ist das beherrschende Thema, nicht das Leid der Menschen. Beängstigend schnell geben Leid und Trauer der Menschen nur noch den Hintergrund ab für eilfertige Verdächtigung und Vorverurteilung von Schuldigen. Die Lufthansa wird als erste buchstäblich so ins Bild gesetzt.




Schüler, Eltern und Lehrer an der Schule und Bürger in Haltern trauern zusammen. Menschen, die sich kennen, versuchen, denen unter ihnen, die ihre Liebsten verloren haben, zur Seite zu stehen. Freunde und Bekannte der Opfer und Angehörigen in Spanien und Deutschland tun Gleiches. Was wäre natürlicher? Ja, die Massenmedien berichten darüber. Ihr Fokus ist es nicht.

Die überraschend schnelle Festlegung der Staatsanwaltschaft auf den Copiloten des Germanwings-Fluges als Schuldigen macht die Sensation zum Skandal. Nun überschlagen sich die Scharfrichter unter den Berufsjournalisten von „BILD und Glotze“ und den Hobbyjournalisten in den Social Media gleich gedankenlos. Und gnadenlos. Die Verhaltensmuster des Molochs organisierte Öffentlichkeit  laufen in der unfassbaren menschlichen Katastrophe von Seyne-les-Alpes nicht anders ab als bei anderen Sensationen und Skandalen. Und wie immer erreichen seriöse Medien-Meinungen nur eine Minderheit.

Abwägende Stimmen, die darauf hinweisen, dass der Copilot als Täter nur eine der möglichen Erklärungen ist, finden seit dem Auftritt des französischen Staatsanwalts überhaupt kein Gehör mehr. Die Medien liefern sich einen Überbietungswettbewerb auf der Jagd nach Indizien für die psychische Krankheit des Copiloten. Damit können sie auch den zuerst genannten Schuldigen wieder mit auf die Anklagebank setzen. Die Lufthansa, die ihre Piloten nicht oft genug psychisch überprüft. Womit die Massenmedien an der nächsten Stufe ihres ewig gleichen Musters stehen: dem Ruf nach der staatlichen Regulierung.

Als Spitzenpolitiker aus Deutschland, Frankreich und Spanien sich an den Ort des Grauens begaben, taten das etliche im Internet als pure Betroffenheitsshow ab. Die Auftritte, die ich verfolgen konnte, waren von Respekt gekennzeichnet und von Mitgefühl. Das hatte Würde. Die Menschen haben ein feines Gespür für so etwas. Sie erkennen instinktiv, was echt ist und was nur zur Schau getragen. Besonders beeindruckt die Haltung der Bewohner des kleinen Alpendorfes Seyne-Les-Alpes.

Ich will mich nicht leichtfertig zu denen gesellen, die Journalisten unterstellen, dass ihnen Leid und Trauer der Angehörigen, Freunde und Mitbürger der Opfer weniger wichtig sind als die Sensation dieser Katastrophe und der Skandal des angenommenen Massenmords. Aber das Muster der Massenmedien, mit dem Unfassbaren dieses Massentodes nicht anders umzugehen als mit jeder anderen Sensation auch, alarmiert. Vereinzelt hören wir von Journalisten, die der Zwang so zu arbeiten depressiv macht.

In der klassischen Tragödie verstrickt sich die Hauptfigur und wird „schuldlos schuldig“. Höhere Mächte erlösen sie aus der unvermeidlichen Katastrophe oder sie kommt in ihr um. Deshalb trifft das  Bild der Tragödie für die Rolle der Massenmedien mehr zu als für die Flugkatastrophe. Der unselige Zwang zu immer mehr und immer schnelleren Neuigkeiten hat keinen Platz für sorgfältige Recherche, für Abwägen und noch einmal nachdenken. Qualität hat unter solchen Bedingungen keinerlei Chance gegen Quantität. Das Tempo der Nachrichten-Industrie ist zum Fluch der modernen Gesellschaften geworden. Zum Fluch der Menschlichkeit. Das ist eine Tragödie.




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