Neue Frankfurter WOCHE mit Potential, Sarrazins Wunschdenken ohne

Drei, vier gute Stücke! Dann macht die neue Frankfurter Allgemeine WOCHE Sinn, und mit Wirtschaft lockt ein Wochenfeld, das derzeit unbearbeitet ist. In der NZZ am Sonntag, warum am Ende The Donald UND Hillary vielleicht gar keine Kandidaten sind und andere Einsichten. Für Sie gelesen von Roland Tichy und Fritz Goergen.

Ein neues Projekt ist die Frankfurter Allgemeine WOCHE aus dem Hause der gleichnamigen Groß-Intellektuellen-Zeitung. Es soll, so die Hoffnung des Verlages, eine jüngere Zielgruppe ansprechen. Das ging, also PR-technisch, schon mal voll daneben. Was ist eine „jüngere Zielgruppe“?

Im früher durchaus nachdenklichen Mediendienst Turi wurde eine Rezension von Bento-Redakteur Marc Röhlig verbreitet; Bento ist heute nicht mehr ein japanisches Geschnetzeltes, sondern geschnetzelte News für Jugendliche im Netz. Dort lernen wir, wie gut Scherensex wirklich ist – was uns eine japanische Top-Bankerin sonst noch lehrt und warum Frauen abgeschnittene Köpfe herum tragen. Es ist schon eine glänzende Idee, die komplett geistfreie Scherenschnipselei des juvenilen Neo-Dadaismus aus dem Hause SPIEGEL, der damit zeigt, was er von jungen Lesern hält, als Maßstab auf ein Produkt kluger Köpfe anzuwenden. Wer den komplett falschen Maßstab anlegt, landet da, wo Länge in Wärmegraden gemessen wird.

Es ging planmäßig daneben. Denn während die FAZ unter jüngeren Lesern welche versteht, die jünger sind als ihre bisherigen Leser, also schätzungsweise alle U50, meinten Turi und sein Bento-Kritiker 11-Jährige. Ja, dafür ist die Woche zu schwer; der Kritiker findet zu wenige Frauen unter den Autoren, es sind 5 von 37, und er findet zu wenig junge Themen im Heft – trotz einer Geschichte über Craft Beer. Die Geld-Orientierung ist Röhlig zu spürbar, ihm fehlt es im Blatt an Haltung, Ansprache, Emotion und Diversität. Die Inhalte könnten „genau so auch in der alten Zeitung stehen“. Wer jedoch Spießer werden wolle, für den sei die „Woche“, wo zu wenig Frauen schreiben, ein gutes Blatt, so der Bento-Redakteur. Aha. Neuerdings gibt es den Bento-Qualitätsfaktor, der sich am X und Y der eingesetzten Chromosomen bemißt.

Gut, die Kritik sagt mehr über Bento aus als über die neue FAZ-WOCHE. Einige befragte Leser in der Zielgruppe zwischen 20 und 40 dagegen nahmen das Heft gerne in die Hand, lobten sein gefälligeres Äußeres, das ganz ohne wild herumkleksende Artdirektoren-Selbstbefriedigung auskommt, die neuerdings sogar bei Wirtschaftsmagazinen erfolgreich Leser vertreibt.

Die Allgemeine WOCHE soll, so der Verlag intern, jene zum Lesen gewinnen, denen die Tageszeitung zu viel Stoff ist. Wenn schon Kannibalisierung, dann essen wir vor Angst unsere eigene Seele auf: Das ist sicherlich ein gutes Rezept in mageren Zeitungszeiten. Es könnte mit seiner angenehmen Sachlichkeit und Nüchternheit sogar aufgehen. Denn nur Bento macht nicht einmal Japaner satt. Die Kosten sind niedrig, eingestellt wurde Keiner und für Bento: auch Keine; FW ist Fleisch aus dem Fleisch der FAZ. Daran muss man kauen, meist mit Gewinn. Die Abgrenzung zur „FAZ am Sonntag“ bleibt unklar; während die im linksliberalen Mainstream plätschert, bleibt FW eher in der liberal-konservativen Tiefsee mit wirtschaftlichem Seegang.

Es ist also eine Aussteiger-FAZ für Drei Euro Fuffzig. Damit es wirklich etwas wird, müsste aber schon noch etwas mehr Originalität rein. Die Titel-Story über das Verhältnis Deutschland – USA ist da zu oberflächlich. Der notorische Antiamerikanismus in Deutschland, seine ungebrochene Tradition mindestens seit braunen Jahren, die infantile Abhängigkeit und gleichzeitig die Weigerung, dann wenigstens auf eigenen Füßen stehen zu wollen, dazu wirtschaftliche Faktoren – das wäre es gewesen. Reinheitsgebot bei Bier nun ja; schon eine Tabelle darüber, welchem globalen Konzern deutsche Großbrauereien eigentlich angehören, hätte Gewinn gebracht.

Den Economist trauen sich die Frankfurter nicht zu, heißt es dort im Haus bedauernd. Ist das so? Das Zeug wäre da, würde man sich trauen. Ganz ohne Geld geht es halt auch in sparsamen Zeiten nicht; so verbrennt kleines, wer Großes nicht riskiert. Nur Mut, für 3, 4 gute Stücke reicht es schon! Außerdem sollten sich die klugen Köpfe über ein paar kluge Wiedererkennungs-Merkmale den Kopf zerbrechen, das muss sein; Zahlen der Woche, nun ja: zu einfach, meine Herren und Damen. Dann macht die Wochenchronik drum herum Sinn, und mit Wirtschaft lockt ein Wochenfeld, das derzeit unbearbeitet ist.

Ein Selfie-Fake beschreibt die NZZ am Sonntag.„Merkel posiert im Flüchtlingslager“ schildert die schöne Kulisse, vor der die Kanzlerin ihren Deal mit Erdogan ungestört inszenieren kann. Frauke Petry findet großen Beifall an der Mitgliederversammlung der „Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns)“. Die Auns ist eine Art Pegida der Schweizer Volkspartei (SVP). Ob der neue SVP-Parteipräsident Albert Rösti den Konfrontationskurs Christop Blochers verläßt, formuliert Francesco Benini in seinem Kommentar fragend.

„Was stimmt nicht bei Hillary Clinton?“ beantwortet Jeff Greenfield (vormals CNN und CBS): „Die Mehrheit der Amerikaner wird einem so erkennbar unqualifizierten und untauglichen Kandidaten wie Donald Trump nicht den Atomwaffencode anvertrauen. Doch hin und wieder erkennen die Wähler, dass sie die Macht haben, etwas ganz Ungewöhnliches zu tun. Und diese Erkenntnis ist selbst eine große Macht. Sollte das passieren, werden die Demokraten einen Kandidaten benötigen, der darauf eine gute Antwort weiß. Es ist alles andere als klar, ob Hillary Clinton dieser Kandidat ist.“ Ein spannendes Szenario: Entscheiden sich vielleicht beide, Republikaner und Demokraten, die aus den Vorwahlen hervorgegangenen Kandidaten Trump und Clinton durch ganz andere zu ersetzen?

„Ausser Kontrolle“ – Alexander Bühler nennt fünf Gründe, weshalb Libyen „fünf Jahre nach Ghadhafis Sturz nicht auf die Beine kommt“. Keine gute Nachricht, in Libyen finden Merkel und EU wohl keinen Erdogan. Beat Kappeler nimmt ins Visier: „Die EU erfindet die digitale Cloud neu und schiesst damit ein Eigentor“. Unter der Chiffre „Teilmärkte zu vermeiden“ will die Bürokratie die deutsche Plattform Industrie 4.0, die Nouvelle France Industrie, die Smart Industry der Niederlande und die Produktion der Zukunft Österreichs am Wettbewerb hindern. Das Brüsseler Mammutvorhaben ist brandgefährlich, wenn „eines der heute anlaufenden 30 Systeme falsch ist, fällt es auseinander und dessen Firmen  igrieren zu einem besseren System. Doch wenn das Einheitsvorhaben der EU falsch wäre, fiele der ganze Kontinent in ein Loch.“

In der NZZ-Beilage Bücher am Sonntag: Zwei Kissinger-Biographien, von Niall Ferguson und Greg Grandin. Und Beat Kappeler versenkt Thilo Sarrazins neues Buch „Wunschdenken“ sozusagen mit dem eigenen Titel.

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