1. Mai: FPÖ, Brenner-Grenze, Erdogan, Familien-Klischees, Heiko & Heikosine

"Tölpelpopulismus" und "intelligenter Populismus", in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind die Sozialdemokraten nicht mehr die Arbeiterparteien, Familien-Klischees, E-Bikes und selbstlenkende Autos. Für Sie gelesen von Sofia Taxidis, Roland Tichy und Fritz Goergen.

Die Südtiroler fürchten um ihren Fremdenverkehr, wenn aus den österreichischen Vorbereitungen des Zauns am Brenner-Pass Ernst wird. Nur 1 % weniger Besucher würde 30 Millionen Euro weniger Einnahmen bedeuten. Die Italiener bauen wohl alte Kasernen zu Unterkünften um für Migranten, die aus Nordafrika kommen und dann aus Süditalien nach Norden durchsickern, weil das Registrieungsregime in Italien so wenig funktioniert wie in Griechenland: „Furcht vor einem Grenzzaun am Brenner“, Bericht von Paricia Arnold aus Mailand.

Aus der NZZ am Sonntag notiert

„Wir stehen am Rand eines Abgrunds“; Michael Furger hat Christian Rainer, den Herausgeber und Chefredakteur des Maganzins Profil, zur Lage in Österreich interviewt. Abgesehen davon, dass er das Wirken der Regierung freundlicher sieht, als sie es verdient, ein interessanter Blickwinkel. Dass er von der FPÖ nichts hält, ist weniger bemerkenswert als die dafür differenzierte Sicht:

„Österreich ist nicht faschistisch, auch wenn immer wieder anderes behauptet wird. Von diesen 35 Prozent, die am letzten Sonntag den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer gewählt haben, sind vielleicht ein Bodensatz von 3 bis 5 Prozent als faschistisch zu bezeichnen …“

Rainer macht einen Unterschied zwischen „Tölpelpopulismus“ in Österreich, Italien und Frankreich und „intelligentem Populismus“ wie den der Schweizer SVP:

„Die SVP hat aus meiner Sicht ein konservatives Gesellschaftsbild, ähnlich wie die Republikaner (US) … eine Partei nit einer Ideologie, einem Gesellschaftsmodell und einem Geschichtsbewusstsein. Das hat die FPÖ alles nicht. Sie ist nur fremdenfeindlich. Zu vielen anderen politischen Fragen hat sie keine Lösungen anzubieten. Und ihre Fremdenfeindlichkeit ist in ihrer radikalen Ausprägung auch nicht zu vergleichen mit der ausländerkritischen Haltung, die Blocher und die ‚Weltwoche‘ haben.“

Zu den Auswirkungen auf Europa, wenn der FPÖ-Mann Bundespräsident wird und dann dessen Kompetenzen nutzt, um FPÖ-Strache in die Kanzlerschaft zu hieven:

„Mit der FPÖ bekämen Leute wie Marine Le Pen, Geert Wilders oder Frauke Petry … Zugang in den innersten Machtskreis der EU, nämlich zu den Sitzungen der Staats- und Regierungschefs.“

Der NZZ-Beitrag „Die SP und ihr EU-Problem“ zeigt, wie tief die Sozialdemokraten der Schweiz gespalten sind. Dort ist es nichts anders als in Österreich und Deutschland:

„Die SP hat es schwer, der Bevölkerung die Angst vor dem Jobverlust zu nehmen. Viele Arbeiter und einfache Angestellte wählen deshalb auch nicht mehr SP, sondern SVP. Sie ist die neue Arbeiterpartei … Seit den Siebziger Jahren hat sich der Anteil der SP-Wähler unter den Schweizer Arbeitern von 38 auf 17 Prozent halbiert.“

Lesenwert das NZZ-Interview mit der Schriftstellerin, Politologin und Kosmopolitin Elif Shafak, die wohl gut beraten ist, von London aus in ihre Heimat zu schauen:

„Die Türkei ist an einer Weggabelung: Entweder sie orientiert sich an liberalen europäischen Werten, nimmt Teil an dieser Welt, wird zur pluralistischen Gesellschaftund räumt mit den autoritären Tendenzen auf. Oder das Land schottet sich ab, marschiert in die Gegenrichtung und wird wie Russland oder Pakistan. Im Moment befürchte ich, dass die zweite Tendenz sehr stark ist.“

Und die Frankfurter Allgemeine Woche?

Titel müssen zuspitzen, der Aufdruck „Achtung Beleidigungsgefahr“ wird immer mitgedacht. Insofern ist die Frankfurter Allgemeine WOCHE gelungen: Auf einem Titel, der hübsch gelb ins braun changiert sehen wir eine Musterfamilie mit Dackel und Papi hat das Jagdgewehr auf der Schulter, Mami backt den Kuchen. Aaaaah, so altmodisch also sollen wir leben, wenn es nach der AfD geht? Aber, wenn das gar nicht so schlecht wirkt? Weil Mutti einfach zu hübsch und fröhlich guckt, so ganz und gar nicht die unterdrückte Frau. Und Männer dürfen also noch Männer sein, die Fleisch letal der Natur entnehmen?

Manchmal geht eben die Zuspitzung daneben, wenn sie nicht genug oder gar nicht zuspitzt – und  die Idee ungewollt auf die Verfasser zurück schlägt. Wie gut hätte sich ein Wunschbilder-Klischee-Vergleich gemacht, in Bild und Text? Mit der koksenden Event-Society als drittes im Bunde.

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Die fiktive Reportage schildert dann, wie die Arbeitslosigkeit steigt, weil der Nord-Euro die Wirtschaft killt und die Strompreise fallen, weil Kernkraftwerke wieder stromern dürfen wie der AfD-Vati im grünen, ach so grünen Forst. Die Idee ist nicht schlecht – die gewollten und ungewollten Folgen von Parteiprogrammen plastisch zu malen. Aber man spürt zu sehr die Absicht des Verfassers: Eigentlich lächerlich das alles, was sich in Stuttgart abspielt.  Es bleibt etwas dünn, konstruiert und nicht wirklich faszinierend. Und Familie ist ja ein Thema.

Die WELT am Sonntag widmet sich mal wieder neuen Familienmodellen. Gruselig ist der Weg des Milliardärs und Karstadt-Fast-Vernichters Nicolas Berggruen, der zwei kalifornische Frauen zu Muttertieren reduzierte, um sich zu vermehren. Will man das wirklich; Kind eines Samenspenders, eines Kunst-Eis und eines Mietbauchs sein? Sollte man die Story mal von den Kindern her denken, nicht von den Vätern oder Müttern, die sich dieses Vergnügen geben wollen? Kein Wunder, dass die hochgelobten neuen Familienmodelle alle eines gemeinsam haben. Die Menschen wünschen sich einfach nur Vater und Mutter, und nicht mä.

Dünn ist die WOCHE ja generell noch, und will doch das Wichtigste der Woche abbilden. Dafür ist der Umfang nicht entscheidend. Der Economist kommt ähnlich schmal daher und überholt seine bisherigen deutschen Adepten wie die WirtschaftsWoche doch um ein Vielfaches an Können, Wissen und Witz.

Die WOCHE inspiriert nicht – jenseits der Fragen zum insgesamt guten Titelbild. Gute Ideen werden nicht hinreichend ausgespielt. Sparen wir heute nicht mehr so hart, wie unsere Vorfahren auf ein Eigenheim, für das früher wirklich alles inklusive der Butter auf dem Brot zurückgestellt wurde? Können wir das überhaupt noch? Da hätte man sich mehrgewünscht – es steckt zwar alles drin, etwa dass die Baupreise nicht stärker gestiegen sind als die Einkommen.

Gibt es schon so etwas wie Info-Grafiken? Hier muss die WOCHE investieren – im Magazin-Format wirken Tageszeitungstexte noch flacher als in der Zeitung. So ist auch das Stück zu flach, das den Islam vom Vorwurf frei spricht, er sei eine politische Religion, deren Lehre mit der modernen Gesellschaft kollidiert. Da reicht nicht der Verweis auf gemäßigte Interpreten. Die Frage brennt doch, warum sich so viele Moslems radikalisieren und dabei auf die Religion zurückgreifen. Und die Frage ist im historischen Kontext zu stellen, warum die blühenden Jahrzehnte islamischen Lebens schon 1.000 Jahre zurückliegen, viele muslimische Gesellschaften zu den rückständigsten der Welt zählen und das Vordringen des Islam beispielsweise im Iran die sonst unbarmherzig tickende Uhr der Geschichte zurückdrehten.

Hätte man die Autoren tauschen sollen? Diejenigen, die die AfD in eine Zeitmaschine zur Reise in die Vergangenheit umgeschrieben haben, hätten diesen Ansatz mit mehr Gewinn auf den politisierenden Islam anwenden könnten – und der Weißwäscher des Islam hätte die Lücke zwischen Parteiprogramm und politischer Wirklichkeit erspüren können oder auch das programmierte Scheitern, wenn Wirklichkeit auf Parteitagsprogramme trifft. Das blutige Geschäft der Wilderer – die Zahlen über drei nördliche Breitmaulnashörner und darum herum sind nicht die wichtigen „Zahlen der Woche“ – allenfalls gefällige Illustration „to go“.

Vielleicht sollten kluge Köpfe zu den Boulevardisten in Berlin schauen. Da wirkt die BILDamSonntag deutlich relevanter: Natalia Wörner, die Geliebte unseres famosen Justizministers, fährt ihm bei der Verschärfung der Verwaltigungsgesetze in die Parade; oh Gott, ein Glamour-Paar will partout auf die Bühne. Wenn Politik peinlich wird, soll man es schreiben. Auch die Frage, ob die SPD noch mal die Kurve packt wird sauber und nachvollziehbar aufgedröselt und Manuela Schwesig, die frisch entbundene Familienministerin, demonstriert, dass sie in der Schwangerschaftspause nichts gelesen und nichts gelernt hat: Sie wiederholt einfach Zahlen, die schon ewig widerlegt sind. Zeitung muss Spaß machen. Die WOCHE macht Spaß, aber zündet noch nicht.

Im FOCUS – Mein Traum-Rad

Elektronische Räder – Pedelecs – erfreuen sich immer größer werdenen Beliebtheit. FOCUS widmet sich im großen Nutzwert-Titel-Roulette darum dieses Mal nicht dem großen Ärzte-Check, sondern „Deutschlands größtem E-Bike-Test“ – was im günstigen Fall den Besuch beim Arzt vorbeugen kann. (Ausgabe 22 verknüpft dann ggf. beide Themen elegant miteinander: „Die 100. schönsten Radwege – mit dem Pedelec zum Gesundheitstest“)

Die Coverstory liefert eine detailreiche Übersicht über eine große Auswahl an E-Bikes und wer sich für die Anschaffung interessiert, findet hier zahlreiche informative Anregungen und Einblicke abseits der Testseiten im Internet.

Bei „E-Bikes sind ein Milliardengeschäft, dessen Volumen sich binnen drei Jahren verdoppeln wird“ muss ich gezwungen an meinen Nachbarn denken, der sich mittlerweile schon das dritte E-Bike angeschafft hat. Natürlich, weil er die wirklich toll findet … Aber andere eben auch. Getreu dem Motto: „Ihr E-Bike ist nicht weg, es fährt jetzt nur jemand anderes.“ erfreuen sich auch die E-Bikes einer erhöhten Nachfrage im Entwendungsgeschäft.

Ansonsten wartet der FOCUS im Debatten-Teil mit einem Gastbeitrag unseres Alt-Bundespräsidenten Roman Herzog auf „Menetekel Österreich“, sowie einem lesenswerten Interview mit Peter Gauweiler von Alexander Wendt „Der Deutschlandversteher“. Gratulation auch an den Fotografen der Story. Schönes Bild, Gauweiler auf dem Balkon seines Büros im winterlichen München im April.

Paul Flückiger hat mit „Ist das der neue Lech Walesa?“ einen pfiffig-flotten Beitrag über Mateusz Kijowski geschrieben, „einen Facebook-Aktivisten, der den Widerstand liberaler Polen gegen die nationalkonservative Kaczynski-Regierung organisiert“.

Und Olaf Opitz testet munter fröhlich autonomes Fahren in „Reporter denkt, Auto lenkt“.

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