Zurück in die Zukunft – zu den Wurzeln aktueller Krisen

Ursachenforschung fällt schwerer, wenn sich die aktuellen Ereignisse überschlagen. Wenn eine Düsternachricht die andere zu jagen scheint. Woher kommt der Hass? Oder: Wie war das noch mit Syrien? Zurück in die Zukunft – zu den Wurzeln aktueller Krisen.

© Kevork Djansezian/Getty Images
Several dozen protesters hold a demonstration against the Syrian regime in front of the CNN Los Angeles building on June 3, 2011 in Los Angeles, California.

Gestatten Sie mir einen Rückblick. Fast auf den Tag genau vor vier Jahren schrieb ich zornig über die blutige Eskalation in Syrien und angesichts eines sich immer mehr abzeichnenden westlichen Kriegsengagements Folgendes:

„Syrien: Der verbündete Sternenbanner-Demokratie-Lynchmob kommt nicht mehr selbst, sondern schickt hausgemachte syrische Capos und installiert Flugverbotszonen, in die dann Drohnen einfliegen wie maschinistische Exekuteure. Apokalypse Now 2.0. Die Schande ist gesellschaftsfähig geworden. Verrohung von Mitgefühl. Freiwillige Reduktion des gesunden Menschenverstandes. Selbstindiziertes Irrsein.“

Nun gut, empört Hingeschriebenes kann wie ein Wein sein, der nicht allzu lange lagern sollte, den man besser auf Ex säuft, wenn er frisch vom Winzer kommt. Die hier dekantierten Sätze stehen ganz sicher unter Sodbrennenverdacht. Aber so ist das heute mit Text, auch unter größer Sorgfalt ist er für den Augenblick geschrieben, nimmt jede Erregungsphase mit, taugt allenfalls in der Interpretation zum Baustein einer Chronologie der Ereignisse.

Man sagt, das Internet vergesse nichts. Das mag sogar noch in Zeiten der Internetschnüffelbrigaden eines Heiko Maas so sein. Auch seine private IM-Zensurarmee beschränkt sich auf eine neueste Auswahl rechtsverdächtiger Hinterlassenschaften. Sicher, wenn nur genug Personal eingestellt und finanziert wurde, dann wird man sich auch um die Chronologie des Netzes kümmern. Das ist diesem Maas-Instrument wesensimmanent.

Aber noch tanzen wir alle hysterisch auf der tagesaktuellen Wellenspitze der Ereignisse. Wer sich beispielsweise 2016 in den Chor derjenigen einreiht, welche die deutsche Medien für Ihren Umgang mit der Flüchtlings- bzw. Einwanderungskrise kritisiert, gilt als verdächtig. Der denkt in Begriffen wie „Lügenpresse“. Dabei war ätzende Kritik an der Berichterstattung der Medien zu Beginn der Syrienkrise auch eine explizit linke Angelegenheit.

Medienkritik war mal links

So unterzeichneten entgegen der Marschrichtung der deutschen Leitmedien noch Anfang 2012 mehrere Linken-Abgeordnete einen Online-Aufruf, die Sanktionen gegen Syrien sofort zu beenden. Die USA und die Nato würden in der Region einen Krieg vorbereiten. Wörtlich hieß es dort: „Die inneren sozialen Konflikte sollen ethnisiert und zugespitzt, ein Bürgerkrieg entfacht werden, um einen Vorwand für die längst geplante militärische Intervention zu schaffen“. Maßgeblich beteiligt sei die Bundesregierung.

Bleiben wir mal in diesem längst vom 24/7-Internet zugeschaufelten Jahr 2012. Denn dort wurden erstaunlich viele Weichen gestellt für die Verwerfungen der Gegenwart. Damals, als Peter Scholl-Latour von „einer Irreführung der öffentlichen Meinung“ sprach. Damals, als sich die deutsche Presse auf diese Che-Guevara-Glorifizierung der Aufständischen eingeschossen und man sich bereits damit angefreundet hatte, dass Syrien sich bald einreiht in den Reigen der in die Arme der Demokratie nach westlichem Vorbild gefallenen nordafrikanischen Despoten-Staaten.

Die Bundeszentrale für politische Bildung diktierte den Copy-&-Paste-Journalisten im März 2013 die Leitlinien: „Der arabische Frühling hat die Regierungen in Tunesien, Libyen und Ägypten bereits zum Rücktritt gezwungen oder zumindest schwer erschüttert. Monatelang haben sich Demonstranten über das Internet vernetzt und gemeinsam bei Protestaktionen die Demokratisierung ihrer Länder gefordert. Noch im selben Monat kommt es auch in Syrien zu den ersten Studentenprotesten gegen das Regime in Damaskus.“

War es für die schreibenden Nachrichten-Fachleuten nicht ersichtlich, dass beispielsweise die Islamisierung der Aufstandsbewegung den Konflikt in Syrien auf eine Weise verschärfte, die in ihre Berichterstattung längst hätte einfließen müssen?

Die Zeichen standen auf Sturm. So planten die britische und französische Regierung, offiziell Waffen an die Aufständischen zu liefern, um diese Dominostein-Revolution und ihre seltsam stagnierende Eskalationsdynamik von außen wieder zu befeuern. Und bei einer Konferenz der „Freunde Syriens“ in Rom bliesen die USA ins selbe Horn und versprachen der so genannten syrischen Koalition 60 Millionen Dollar. Ein erster Tropfen auf einen die kommenden Jahre kontinuierlich von außen unter Wasser gedrückten syrischen Mühlstein. Damals gingen die Vereinten Nationen bereits von über einer Million Syrer aus, die sich auf der Flucht befänden. Erst rückblickend wissen wir um diese den europäischen Kontinent verändernde Völkerwanderung, die so in Gang gesetzt wurde.

Damals schrieb ich weiter über unser journalistisches Versagen, das man damals noch nicht „Lügenpresse“ schimpfte (Pegida war noch nicht auf der Bildfläche erschienen): „Die große letzte Hoffnung, die den Versagenden (Journalisten) bleibt, ist die berechtigte Annahme, dass der angeschlagene syrische Präsident in höchster Not eskaliert und nun endlich so agiert, wie man es von einem so einhellig als brutalen Diktator dechiffrierten Meuchler erwarten will.“

Kritik an Medienkonformität schon vor „Lügenpresse“

Nein, die zu recht kritisierte Berichterstattung 2015/16 Medien zur Einwanderungs- und Flüchtlingskrise ist nicht der Grundstock für den überzogenen Vorwurf der Lügenpresse. Dass wir heute fast schon reflexartig die Nachricht hinter der eigentlichen Nachricht suchen, wurzelt auch im Versagen der Nachrichter im Syrien-Konflikt. Nachrichten, die sekundiert wurden von inszenierten Talk-Shows, in denen nur noch selten einmal einem eingeladenen Komparsen der Kragen platzte, bevor er von der Moderation runtergebügelt werden konnte.

Zwischen den Teleprompternachrichten schimmert er heute durch: der mit ihren Vorgängerkrisen identische Fingerabdruck aktueller Krisen. Es geht immer um das Gleiche. Um die Chance der Neuverteilung von Macht und Einfluss. Jahrzehntelang ebneten Geheimdienste erst den GI‘s, dann den Profiteuren den Weg. Aber solange die neuen Helden der „Revolutionen“ noch voller Hoffnung auf Partizipation an der Umverteilung sind, ist das auch nicht nötig. Ein obszönes Geschäft auf Basis altbewährter Obszönitäten. Längst aber spart man sich dieses komplizierte, kostenintensive Prozedere, das die Linke manchmal noch anachronistisch Imperialismus nennt.

Oder wie es die kanadische Pulitzerpreisträgerin Naomi Klein in „Die Schock Strategie – Der Aufstieg des Katastrophenkapitalismus“ 2007 aufschrieb: „Im Irak wurden nach dem Krieg die Staatsbetriebe und die Ölwirtschaft neu verteilt – an westliche Konzerne. Existenzen werden vernichtet, es herrscht Wild-West-Kapitalismus der reinsten Sorte. (…) Erst Schock durch Krieg oder Katastrophe, dann der so genannte Wiederaufbau. Es funktioniert immer nach den gleichen Mechanismen.“

Das alles kann man recherchieren. Dafür ist das Internet immer noch ein großartiges Instrument. Man muss nur aus dem Automatismus der Aktualisierungen auftauchen zurück in die Chronologie dieser gigantischen Informationsmaschine. Versuchen Sie es doch einmal so: Ergänzen Sie ihre Google-Eingaben mit einer zurückliegenden Jahreszahl Ihrer Wahl. Die Ihnen so zur Verfügung gestellte Auswahl dürfte nachdenkenswerte Schätze fördern – solche, die sich zu Transparenz und Gewissheit verdichten könnten. Zu einer Verschwörungstheorie-resistenten Chronologie der Ereignisse.

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