Warum Moral in der Flüchtlingsfrage kein guter Ratgeber ist

Anabel Schunke hält es für einen grundsätzlich falschen Ansatz zur Integration von Flüchtlingen, von Anfang an mehr Anpassung von den Helfern zu fordern als von den Flüchtlingen selbst. Und meint: Es ist dringend an der Zeit uns zu fragen, ab wann Moral nicht mehr moralisch ist und welche Art von Hilfe wirklich hilft. Und vielleicht ist dieser Ansatz letztlich der Moralischste von allen.

Und wenn Helfen am Ende nicht wirklich hilft?

Mit dieser Fragestellung bewegt man sich in den Augen Vieler durchaus auf dünnem – und da haben wir es wieder – unmoralischem Eis. Menschen dafür kritisieren, dass sie helfen? Das geht doch nicht! Helfen wird noch mehr als seine moralische Fundierung per se als etwas Gutes angesehen. Weil auch hier der Aktionismus im Vordergrund steht. Handeln ist besser als Nichthandeln und von außen kritisch kommentieren oder mit Bedacht darüber nachzudenken, ob und was genau getan werden sollte und von wem, eher verpönt. Würde es die vielen Flüchtlingshelfer nicht geben, wäre doch schon längst alles Krachen gegangen. Vor dem Hintergrund dieser Annahme erlaube ich mir zwei provokante Fragen:

  1. Ist dem wirklich so?
  2. Und wenn ja, wäre das wirklich so schlimm gewesen?

Dabei erscheint es wichtig zu betonen, dass hier Niemandes Moralvorstellungen kritisiert werden sollen. Wie jeder andere Mensch habe auch ich moralische Vorstellungen, die mich beeinflussen. Dieser Beeinflussung sollte man sich jedoch bewusst sein, um differenzieren zu können, wo sie angebracht ist und wo eher nicht. Es hier nicht im Sinne einer ethischen Theorie darum, Moralvorstellungen ihrem Inhalt nach als gut oder schlecht zu bewerten, sondern um einen Versuch, zu belegen, dass Moral in bestimmten Bereichen nicht Grundlage von Argumentation und Handlungen sein sollte. Zumindest, wenn es sich nicht um institutionalisierte und in geltendes Recht gegossene Moral handelt. Alltagsmoral ist nicht politische Ethik. Diese Unterscheidung ist elementar.

Ein kleines Gedankenexperiment zur Veranschaulichung: Was wäre denn passiert, wenn sich die Politik in den letzten Monaten nicht auf all die ehrenamtlichen Helfer hätte verlassen können? Richtig. Sie hätte handeln müssen – und das schneller und effektiver und vermutlich restriktiver, als sie es in all den letzten Monaten getan hat.  Was wäre die Folge eines schnelleren, effektiveren, restriktiveren Handelns in der Flüchtlingskrise gewesen? Meines Erachtens wäre ein Großteil der aufkommenden Besorgnis, der Ängste, der Wut und teilweise des Hasses im Keim erstickt worden. Die Grande Peur, die die Menschen spätestens nach Köln ergriffen hat, wäre nicht aufgekommen und das schlicht aus dem Grund, dass die meisten Menschen nämlich keine Rassisten sind, sondern Leute, bei denen sich ob der gefühlten Handlungsunfähigkeit der Politik und der Ignoranz der Medien ein diffuses Gefühl der Angst eingestellt hat, welches sich mittlerweile fast tagtäglich aufgrund des immensen Politikversagens steigert und in manchen Fällen in Wut und irrationalen Hass umschlägt.

Die Frage, ob wirklich alles krachen gegangen wäre, würde ich vor diesem Hintergrund also verneinen. Es hätte lediglich dafür gesorgt, dass man von Seiten des Staates die Hilfe hätte professionalisieren und das gegebene Asylrecht hätte strikter anwenden müssen. Das beantwortet zugleich die zweite Frage, ob es wirklich schlimm gewesen wäre, wenn es so gekommen wäre. Vermutlich nicht.

Helfermoral und Helfersyndrom

Was wir stattdessen erlebt haben, ist eine auf Grundlage eines diffusen Moralbegriffes geführte Debatte, die jede rationale Herangehensweise und sachliche Argumentation, die die Dinge konsequent zu Ende denkt, als unmoralisch, kaltherzig oder gar rassistisch gebrandmarkt hat und es trotz Köln und all den anderen Dingen, die allmählich an die Oberfläche schwappen, in Teilen immer noch tut. Das Ergebnis ist evident: Keine konkreten Lösungen, dafür munteres Weiterstreiten und Uneinigkeit in Politik und Medien. Ein groteskes Schauspiel, bei dem der Bürger als eigentlicher Souverän dazu verdammt ist, von außen zuzuschauen.

Aber zurück zur Flüchtlingshilfe und der Frage, ob Hilfe wirklich immer hilft. So zeigt nicht zuletzt auch die fehlende Professionalisierung von Flüchtlingshilfe und die Herangehensweise von Politik und Helfern an das Thema der Integration, dass eine diffuse Moral auch hier kein Ratgeber sein sollte.

In den letzten Wochen häuften sich in der Presse die Berichte desillusionierter Flüchtlingshelfer. Was dabei vor allem herausstach, war die Helfermoral dieser Menschen. Einige sprachen sogar selbstkritisch von Helfersyndrom. Und das ist das Problem. Es spricht nichts gegen ein gesundes Maß an Helfermoral beim Einzelnen. Zweifelsohne wäre unsere Gesellschaft nicht dieselbe, wenn wir nicht auch jeder Züge in uns hätten, die dafür sorgen, dass wir Mitleid mit anderen empfinden und dass es zu unserem moralischen Anspruch gehört, dort zu helfen, wo unsere Hilfe gut tut. Schwierig wird es dann, wenn die Moral zum Helfen pathologisch wird.

Wenn sich daraus ein moralischer Anspruch ableitet, der z.B. im Falle der Flüchtlingskrise das Abwägen politischer und gesellschaftlicher Konsequenzen von Hilfe verhindert. Moral wird in diesem Fall zum Selbstzweck, zum unreflektierten Helfersyndrom, was mitunter vielleicht sogar mehr schadet als hilft. Es ist diese pathologische Helfermoral, die Deutschland aufgrund vielfältiger Gründe in weiten Teilen immer noch fest im Griff hat und die einen der Hauptgründe dafür darstellt, dass ich sage, dass wir das in Deutschland mit der Integration einfach nie vernünftig hinbekommen werden, so lange wir davon nicht abrücken.

Meine erste direkte Selbsterfahrung mit diesem moralischen Anspruch hatte ich in der Uni. Ich hatte damals selbst vor, in der Flüchtlingshilfe aktiv zu werden und ging deshalb zu einem Informationsabend einer neugegründeten Uni-Gruppe für Flüchtlingshilfe. Von all den Dingen, die uns an diesem Abend erzählt wurden, war es vor allem eine Information, die mir nicht mehr aus dem Kopf ging. Es ging darum, dass die fremde Kultur den Leuten näher gebracht werden sollte. Mit fremder Kultur war dabei allerdings nicht die deutsche Kultur gemeint und mit Leuten auch nicht die Flüchtlinge. Gemeint war, dass wir Workshops besuchen sollten, die uns die kulturellen Gepflogenheiten der Flüchtlinge näher bringen.

Das mag dem ein oder anderen an dieser Stelle nicht verwerflich erscheinen. Für mich war es nach einigen Tagen Bedenkzeit der Grund, weshalb ich dort nicht aktiv geworden bin. Nicht, weil ich andere Kulturen nicht spannend finde oder gerne etwas darüber lerne, sondern weil ich es für einen grundsätzlich falschen Ansatz in Bezug auf die Integration von Flüchtlingen halte, dass man von Anfang an mehr Anpassung von den Helfern als von den Flüchtlingen selbst fordert. Integration funktioniert auch durch Integrationsdruck und der kommt durch diese Art von Hilfe nicht auf.

Dieses Problem ist in der Flüchtlingshilfe kein Einzelfall. Das Problem, dass Helfer Flüchtlinge zur Unselbstständigkeit „erziehen“ ist keine Seltenheit und kommt vor allem dort vor, wo Hilfe nicht professionalisiert ist und jeder nach seinem eigenen Gutdünken und auf Grundlage seiner Alltagsmoral handeln kann. Vor allem in der freiwilligen Hilfe zeigt sich hierbei zudem nur allzu oft, dass es in erster Linie vor allem um Selbsthilfe in Form der Beruhigung des eigenen Gewissens und Befriedigung des eigenen Helfersyndroms geht und nicht um adäquate Integration und angemessene Hilfe zur Selbsthilfe von Flüchtlingen. Das betrifft den Bereich der Sprache genauso wie die falsch verstandene Toleranz gegenüber kulturellen Eigenheiten, die sich manchmal auch darin äußert, dass man nicht versteht, weshalb die eigene Frau nicht geschlagen werden darf. Die Konsequenz sind ganze Einwanderergenerationen, die keinen Respekt vor der deutschen Kultur haben und einen regelrechten Integrationsunwillen an den Tag legen. Wieso auch sollten Einwanderer sich integrieren, wenn sie doch so durchkommen? Und warum sollten sie als Menschen, die derart stolz die eigene Kultur vor sich hertragen, Respekt vor einer Bevölkerung haben, die ihre Kultur so bereitwillig über Bord wirft?

Moral in Form von Schuldgefühl, schlechtem Gewissen und daraus erwachsener Vorstellung, Helfen zu müssen, darf keine Grundlage sein, weder für die Diskussion, noch für die Handlung in der Flüchtlingskrise. Als individueller Kompass im Hinterkopf ist sie zweifelsohne von Bedeutung, aber ihr Einfluss auf das eigene Denken gehört reflektiert. Eine Krise im Ausmaß der jetzigen Flüchtlingssituation löst man nicht mit Moral, die für jeden etwas anderes ist, sondern mit rationalen politischen Erwägungen, die die Konsequenzen in alle Richtungen aufzeigen und auf Grundlage dessen nach Lösungen suchen. Es ist dringend an der Zeit, uns zu fragen, ab wann Moral nicht mehr moralisch ist und welche Art von Hilfe wirklich hilft. Und vielleicht ist dieser Ansatz letztlich der Moralischste von allen.

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