Venezuela – Fünf absurde Rezepte zur Rettung des Sozialismus

Venezuela war Traumland vieler Linker. Um den Kollaps abzuwenden, hat die Führung fünf Rezepte: Weniger arbeiten, weniger Damenhygiene, mehr Ministerien, mehr Abkürzungen und mehr Geld drucken. Energieknappheit im Erdölland – das klingt nach dem bitteren alten Scherz, dass im Sozialismus sogar der Sand in der Wüste knapp würde. Venezuela hält allen Staatsgläubigen den Zerrspiegel vor.

© Miraflores / Getty Images

Die ökonomische Krise in Venezuela hat ein dramatisches Stadium erreicht. In der Kinderklinik J.M. Del Rio in Caracas erhalten nun Dutzende Babys keine Milchfläschchen mehr in der Nacht – weil Pulvermilch im Lande so knapp geworden ist. Im Geburtskrankenhaus Concepción Palacios haben etwa zweihundert Frauen seit einer Woche fast nichts zu essen bekommen. Die Knappheit an Gütern ist inzwischen umfassend. Nach einer Umfrage von Datanalisis sind 82 Prozent aller Produkte knapp. Bürger müssen stundenlang in der Schlange stehen, bevor sie in den Supermärkten mit den leeren Regalen einen schmalen Einkauf machen können. Die Wirtschaft schrumpft mit einem beängstigenden Tempo – fast 20 Prozent in zwei Jahren.

Das einzige, was rapide steigt, sind die Preise, weil die Landeswährung mit dem ironischen Namen „Bolívar fuerte“ (Starker Bolivar) wie Eis an der Sonne dahinschmilzt. Venezuela erlebt eine Hyperinflation mit einer Rate von wohl schon 700 Prozent. Doch hinter den statistischen Zahlen verbergen sich menschliche Schicksale, eben die von hungrigen Kindern und Müttern. Neben der ökonomischen Krise ängstigt die Menschen die Sicherheitslage mit einer horrenden Mordrate. Die Hauptstadt Caracas gilt als gefährlichste Stadt der Welt.

Die größten Erdölreserven und eine marode Wirtschaft

Venezuela, das Land mit den größten nachgewiesenen Erdölreserven der Welt, das ein Wohlstandsniveau wie arabische Golfstaaten genießen könnte, verelendet nach siebzehn Jahren sozialistischer Herrschaft zusehends. Unter dem ideologischen Label „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ hat erste Hugo Chávez, der 1999 an die Macht kam, und seit 2013 sein Nachfolger Nicolás Maduro die Wirtschaft weitgehend unter Staatskontrolle gebracht. Tausende Unternehmen wurden enteignet, alle Bereiche einem dichten Netz an staatlichen Vorgaben und Preiskontrollen unterworfen.

Der staatliche Erdölkonzern PDVSA wurde gemolken, um üppige Sozialprogramme, Wohnungsbauten und eine wachsende Bürokratie zu finanzieren. Die Investitionen hingegen wurden stark vernachlässigt, so dass die Produktion mehr und mehr gesunken ist. Die Energieversorgung ist seit Jahren instabil, es gibt häufige Strom-Blackouts. Energieknappheit im Erdölland – das klingt nach dem bitteren alten Scherz, dass bei Sozialismus sogar der Sand in der Wüste knapp werden würde. Private Unternehmer und Investoren fliehen aus dem Land, weil sie nicht mehr sicher sind. Als der Ölpreis noch bei 100 Dollar stand, lief Venezuelas Sozialismus noch scheinbar gut. Seit der Preis vor anderthalb Jahren abzustürzen begann und nun nur noch bei weniger als der Hälfte steht, ist Venezuelas Wirtschaft in eine tiefe Rezession gefallen und der Staat ist nahezu pleite.

Wie sollte die Regierung auf den Niedergang reagieren? Vielleicht indem der Wirtschaft mehr Luft zum Atmen gegeben wird, die staatliche Regulierungen gelockert und private Investitionen ermutigt werden? Nein – das hieße, vor dem „Raubtierkapitalismus“ zu kapitulieren, der Chávez’ Anhänger verhasst ist. Maduro, ein ehemaliger Busfahrer und Gewerkschaftsführer, hat nun eigene, kreative Ideen, um die Energie- und Wirtschaftskrise zu überwinden, die das Land im Griff hat.

1. Weniger arbeiten

Nichts ist geeigneter als eine Arbeitszeitverkürzung, um die Produktion eines Landes zu steigern. Diese Woche hat die Regierung de facto eine Vier-Tage-Woche für die öffentlichen Betriebe und Geschäfte ausgerufen. Sie sei die richtige Antwort auf die Stromknappheit. Dass die Kraftwerke nicht genügend elektrischen Strom produzieren, schiebt die Regierung einzig und allein auf die Dürre infolge von „El Niño“, dem Wetterphänomen; ausgetrocknete Flüsse legen die Wasserkraftwerke lahm. Die Regierung vergisst dabei mehr als ein Jahrzehnt von Unterinvestitionen in den Kraftwerkspark des Landes. Erst hat Maduro den öffentlichen Dienst angewiesen, nur noch jeweils bis mittags zu arbeiten, um Strom zu sparen. Dann wurden Einkaufszentren stundenweise geschlossen. Nun hat die Regierung alle Freitage zu Feiertagen erklärt. Das rezessionsgeplagte Land arbeitet jetzt nur noch von Montag bis Donnerstag.

2. Verzicht

Maduros Spezialität sind moralische und patriotische Appelle an die Bürger. Um die Güterknappheit zu überwinden, hat er schon vor fast zwei Jahren angefangen, die Bürger zu weniger Konsum aufzufordern. „Ihr müsst den exzessiven Konsum reduzieren, um ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zu schaffen bei fairen Preisen“, redet er den Bürgern ins Gewissen (jene Bürger, die alles andere als exzessive Konsumenten sind). Legendär war die Toilettenpapierkrise, als das Land wochenlang kaum noch Klopapier hatte, was Maduro als üble kapitalistische Verschwörung und Umsturzversuch der Opposition deutete. Jetzt hat Maduro an die Frauen des Landes appelliert, keinen Föhn mehr zu benutzen, um den Stromverbrauch zu senken. Es ist nicht das erste Mal, dass Maduro an die Frauen appelliert. Er hat sie auch schon mal aufgefordert, wiederverwertbare Damenhygiene-Artikel zu verwenden – also Dinge, die in anderen Ländern seit Jahrzehnten gottlob nicht mehr benutzt werden. Damenbinden, Tampons, Deo etc. sind in den offiziellen Geschäften kaum zu kaufen, nur auf dem Schwarzmarkt kann frau sie zu horrenden Preisen erstehen. Indem die Frauen die Hygieneartikel mehrfach verwenden, könnten sie „dem Business-Kreislauf des Raubtierkapitalismus“ entkommen, wie es im Staatsfernsehen Vive hieß.

3. Mehr Bürokratie

Wenn der Staat strukturell weniger Einnahmen hat, muss er also versuchen, seine Ausgaben zu senken und vielleicht den Apparat zu verkleinern? Keineswegs. Mitten in der schlimmsten Krise hat Maduro vor drei Monaten den Aufbau von fünf neuen Ministerien verkündet – „für das große Projekt der Berichtigung und Wiederverknüpfung mit den Bedürfnissen und der wahren Realität des Volkes“. Die neuen Ministerien sollen für „Produktive Ökonomie“ (offenbar etwas Neues im venezolanischen Sozialismus), für „Urbane Agrikultur“ und „Internationale Investments“ zuständig sein. Schon zuvor war Venezuela das Land mit der größten Zahl an Ministerien. Als Chávez an die Macht kam, waren es zunächst 14 Zentralministerien. Vor zwei Jahren waren es schon 32 Ministerien mit 32 Ministern und 107 stellvertretenden Ministern. Einer der Vizeminister ist sogar explizit für das „Oberste Glück des Volkes“ zuständig. Was all diese Minister eint ist die Überzeugung, dass das Problem des Landes nicht in den rigiden staatlichen Kontrollen liegt, sondern in ihrer mangelhaften Anwendung.

4. Umbenennung

Wenn ein System nicht funktioniert und zum Synonym für ein Problem wird, dann gebe man ihm einfach einen neuen Namen. Zum Beispiel das System der staatlich festgesetzten multiplen Wechselkurse. Sie lähmen den Außenhandel und verdecken nur den rapiden Verfall der Währung. Aber aus Sicht des Regimes lässt sich das Problem offenbar durch stetige Umbenennungen lösen. Anfang März hat die Regierung ein neues Wechselkurssystem angekündigt, um der Devisenknappheit wegen der fallenden Öleinnahmen zu begegnen. Das System umfasst nun zwei verschiedene offizielle Umtauschraten  (genannt Dipro und Dicom). Mit der Umbenennung wurde zugleich auch verdeckt eine Abwertung um 40 Prozent vollzogen. Aber im Grundsatz gibt es keine größere Änderung zum früheren multiplen Wechselkurssystem, das schon mit einer Reihe von Abkürzungen operierte (CADIVI, Sitme, Sicad, Sicad 2 Cencoex, Simadi). All diese Abkürzungen dienen nur der Verschleierung, dass das Geldsystem nicht mehr funktioniert. Es gibt noch einen dritten Wechselkurs: den Schwarzmarktkurs. Dort ist der „Bolívar fuerte“ nur ein Fünfzigstel so viel wert wie laut offiziellem Kurs. Das entspricht der realen Lebenswelt und der Kaufkraft der Venezolaner.

5. Mehr Geld drucken

Die ultimative Antwort aller Regierungen, deren ökonomische Experimente scheitern, ist der Rekurs zur Notenpresse. Da selbst diese aber in Venezuela selbst nicht schnell genug arbeitet, hat das Land Rekordmengen an frisch gedruckten Geldscheinen importiert (Geldscheine sind eines der wenigen Güter, dessen Einfuhr nicht strikt begrenzt wird). Im vergangenen Jahr hat die Regierung 5 Milliarden neue Scheine geordert. Im Winter hat sie eine neue Charge von diesmal 10 Milliarden Scheinen bestellt. Sie wurden mit 36 Flugzeugen von Typ Boeing 747 eingeflogen. Folge der extremen Ausweitung der Geldbasis ist eine galoppierende Inflation. Nach den letzten offiziellen Daten betrug diese schon 180 Prozent Ende vergangenen Jahres. Der IWF schätzt, dass Ende dieses Jahres mehr als 700 Prozent Inflationsrate erreicht werden. Aber private Wirtschaftsfachleute im Lande schätzen, dass die 700 Prozent-Preissteigerungsrate wohl schon Ende des ersten Quartals erreicht wurde. Die Inflationsspirale dreht sich immer schneller. Der Mindestlohn beträgt seit kurzem 11.578 Bolívares. Manche Linke haben diesen Betrag zuweilen zum offiziellen Wechselkurs umgerechnet, um die „sozialen Errungenschaften“ Venezuelas anzupreisen. Nach dem offiziellen Kurs wären 11.578 Bolívares etwa 1.600 Euro wert – doch das ist eine Chimäre. Wie wenig der Mindestlohn tatsächlich wert ist, zeigt eine kürzliche Preisanpassung der staatlichen Fluglinie Conviasa: Für ein Flugticket nach Madrid verlangt diese nun 4,3 Millionen Bolívares, also fast das 400-fache des Mindestlohns.

Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Venezuela kollabiert. Der Sozialismus ist auch im 21. Jahrhundert krachend gescheitert. Fraglich nur, ob das Regime freiwillig die Macht abgibt oder vollends zur Militärdiktatur wird.

Autorin Marcela Vélez-Plickert hat als Journalistin für verschiedene lateinamerikanische Zeitungen und einen TV-Sender gearbeitet. Inzwischen lebt sie in Frankfurt und ist freie Korrespondentin.   

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