Stimmen zur Asylkrise – Die politische Heimat geht verloren

Die im Bundestag vertretenen Parteien haben sich weit von dem entfernt, was die Bürger wollen. Viele Wähler spüren, dass sie ihre politische Heimat verloren haben.

Der sprach- und machtlose Bürger: Die politische Heimat geht verloren

Unser Gastautor möchte aus beruflichen Gründen nicht genannt werden.

Umfragen belegen unterdessen, was schon seit einiger Zeit nach und nach offenbar wird: Die im Bundestag vertretenen Parteien haben sich so weit vom Bürger entfernt, dass sie zumindest in der Flüchtlingsfrage die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr vertreten. Dabei trifft gerade diese Frage einen Nerv unserer Gesellschaft; denn hier geht es nicht nur um Kosten, organisatorischen Aufwand oder irgendwie schon zu verkraftende Unzulänglichkeiten.

Es geht um den Kernbereich unseres persönlichen Lebens, der sich nach dem Willen unserer politischen Führer nachhaltig und auch für kommende Generationen grundlegend verändern soll. Kein Wunder also, wenn das Unwohlsein immer deutlicher wird und bis hin zu immer radikaleren Protesten anschwillt. Denn keineswegs jeder möchte die von unserer Regierung verordnete Veränderung. Man muss weder Nazi oder irgendwie rechts, noch Ausländer- oder Islamfeind sein, um eine grundlegende Änderung der Verhältnisse abzulehnen. Schon wer sich einfach nur ganz wohl fühlt in unserem Land – oder wie Helmut Kohl es gesagt hätte: „diesem unserem Land“ -, so wie es ist, muss sich von der Regierung mit teilweise abenteuerlicher Argumentation erklären lassen, dass es so eben nicht bleiben könne.

Basta, Pech gehabt. Zwar gibt es heute kaum mehr ein Politiker-Interview, sei es von einem Amtsträger oder der Opposition, ohne dass die Binsenweisheit „man muss die Sorgen der Bevölkerung ernst nehmen“ zu Protokoll gegeben wird. Ärgerlich nur: Sie tun es nicht. Sie nehmen die Sorgen der Bürger nicht ernst, oder, wenn sie es doch tun sollten, findet das keinen Eingang in ihr Reden und Handeln.

Es gibt keine Opposition

Dass die Regierung bei jeder Entscheidung, die sie trifft, gegen einen Teil der eigenen Bürger handelt, ist normal und entspricht dem Grundprinzip der Demokratie.

Dass aber die Politik der Regierung inzwischen wohl die weitaus größere Mehrheit der Bevölkerung vor den Kopf stößt, ja sogar im direktem Gegensatz zum Willen dieser Mehrheit handelt, ist in der jüngeren deutschen Geschichte wohl einzigartig.

Schlimmer noch: Es gibt im Bundestag niemanden, schon gar nicht die Opposition, die dem widerspricht. Einzig und allein von der CSU in Bayern kommen deutlich kritische Töne – während sich gleichzeitig die CSU-Abgeordneten und Minister in Berlin mit Kritik deutlich zurückhalten. Vom vielzitierten Grundsatz „das Volk ist der Souverän“, ist nicht mehr viel zu spüren. Dabei ist es ja nicht nur ein großer Teil – wenn man Umfragen glauben darf, inzwischen sogar der größere Teil – der bürgerlichen Mitte, der sich zumindest in der Flüchtlingsfrage im Parlament nicht mehr vertreten fühlt. Desgleichen gilt, wohl in ebenso hohem Maße, für die „kleinen Leute“, die historisch bei der SPD und im Zuge der Sozialdemokratisierung der christlichen Parteien vermehrt auch bei der CDU ihre politische Heimat verorten. In geringerem Maße mag das für Wähler der Grünen und Linken gelten, die, wiederum nach Umfrageergebnissen, ihren Parteien mehr oder weniger auch in der Flüchtlingsfrage folgen.

Und nun?

Aber was heißt das nun? – Wie soll sich der unzufriedene Bürger verhalten, um seinen Widerspruch zu artikulieren, wenn er im Parlament nicht mehr vorkommt? – Denn jeder, der protestiert, steht unter dem Generalverdacht, Rechter, Neonazi oder Ausländerfeind zu sein oder gleich zum Pack, Dunkeldeutschland oder den – ziemlich perfider Begriff – „Ja-Aber-Nazis“ zu gehören. Mit anderen Worten: Wer sich nicht dem offiziellen Mainstream anschließt, steht schnell außerhalb des durch den fast 100-prozentig von den Bundestagsparteien vertretenen vermeintlichen gesamtgesellschaftlichen Konsens. Was sollen die armen Schweine machen, die weder Rechte noch Nazis sind und diese auch nicht unterstützen wollen, sich aber in der Flüchtlingsfrage von KEINER der im Bundestag vertretenen Partei mehr vertreten fühlen? Wie und mit wem sollen sie demonstrieren, wen wählen, an wen sich wenden? Wer soll also den Protest organisieren, wenn doch schon die Tatsache allein, nämlich das Protestieren gegen den vermeintlichen, im Bundestag vertretenen Konsens, schon jede Aktivität in diese Richtung gleichsam automatisch als rechts und ausländerfeindlich definiert. Man kann wohl annehmen, dass die meisten besorgten Bürger diesen tatsächlichen oder vermeintlichen Kausalzusammenhang – wer bei Pegida mitläuft, muss ist ein Rechter oder Nazi sein oder lässt sich doch zumindest von jenen vereinnahmen – erkennen und zähneknirschend beistimmen.

Wenn dem nicht so wäre, hätten möglicherweise schon Hunderttausende Bürger vor dem Bundestag demonstriert.

Wie glaubhaft sind Umfragen?

Noch schwerwiegender ist die Frage, für wen das Volk sich bei den nächsten Wahlen entscheiden soll. Die überragende Bedeutung der Flüchtlingskrise lässt sich nicht nur aus der Intensität der Berichterstattung und der Präsenz in Talk-Shows ablesen.

Auch in Stammtischen, in privaten Diskussionen und am Arbeitsplatz ist es das überall beherrschende Thema. Man darf wohl davon ausgehen, dass es bei den Landtagswahlen Anfang nächsten Jahres das ausschlaggebende Thema sein wird.

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 Und auch die Bundestagswahlen in 2017 werden wohl noch davon bestimmt werden.

Und es sieht nicht gut aus: Wenn die Parteien im Bundestag sich nicht über Lippenbekenntnisse hinaus dazu bekennen, dass ein Großteil (oder sogar der überwiegende Teil) ihrer Wähler ihre gegenwärtige Haltung in der Flüchtlingsfrage ablehnt und ihre Politik nicht daran anpasst, könnten sie ein böse Überraschung erleben. Denn anders als die Umfragen, die bisher nur geringe Stimmenverluste der Regierungsparteien verzeichnen, könnte die Entscheidung am Wahlabend deutlich anders ausfallen. Denn gerade wenn es um rechte Parteien geht, das haben zurückliegende Wahlen gezeigt, weichen die tatsächlichen Abstimmungsergebnisse oft sehr deutlich von den Vorhersagen ab. Wahlforscher erklären das unter anderem damit, dass Protestwähler sich in Befragungen oft nicht als Rechtswähler outen, in der Anonymität der Wahlkabine aber doch dort ihr Kreuzchen machen. Wer diesen Schritt zu rechten Partien nicht wagen will, wird dann wohl das Lager der Nichtwähler stärken.

So oder so – wenn die im Bundestag vertretenen Parteien weiter die Sorgen und Vorbehalte ihre Wähler nicht ernst nehmen, werden sie sich – und der Demokratie – einen Bärendienst erweisen. Ich wünsche mir, dass es anders kommt: Dass die Regierungsparteien sich ihrer Verantwortung bewusst werden, die Bürger an der Diskussion beteiligen und den unkontrollierten Flüchtlingsstrom stoppen. Und zwar nicht aus nationalistischen oder volkstümelnden Motiven, sondern einfach, weil die Bundesrepublik Deutschland – bei allen Mängeln und Schwächen – ein lebenswerter Ort ist. So wie er ist. Es hat nach dem Krieg großer Anstrengungen, vieler Diskussionen und Auseinandersetzungen bedurft, das Land im demokratischen Konsens aufzubauen – und es ist ganz gut gelungen. Ich möchte, dass es dabei bleibt.

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