Libyen – Die unterschätzte Gefahr

Im Hinterhof Europas lauert eine Mörderbande, die mit dem syrischen Bruder in Sachen Skrupellosigkeit gleichzieht. Höchste Zeit zu handeln, sagt Sebastian Antrak, nach Europa, insbesondere auch Deutschland, ist die Strecke nur kurz.

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„Und wenn du denkst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her“. Die etwas abgeleierte Platte wird immer dann aufgelegt, wenn die Hoffnung auf eine Wende noch ein bisschen am Köcheln gehalten werden soll. Es wird nicht so schlimm werden, gute Zeiten sind schon im Anmarsch.

Wer sich allerdings neben Dauerkrisenherd Syrien auch mit dem nicht minder wichtigen Libyen beschäftigt, wird schnell merken, dass Hoffnung im Kontext mit dem nordafrikanischen Staat schnell gestrichen werden sollte. Um es kurz zu machen: Libyen ist ein Anarchostaat. Es gibt keine funktionierende, einheitliche Regierung, sondern zwei gegeneinander arbeitende Gruppierungen in Tobruk und Tripolis. Es gibt unzählige rivalisierende Clans, deren Warlords sich immerzu an die Gurgel wollen. Und es gibt den IS, der sich in Sirte eine komfortable Machtbasis gesichert hat.

Aus der Hafenstadt startet die Gruppe regelmäßig Aktionen gegen nahe Ölfelder und beobachtet wohl mit Genugtuung die Uneinigkeit ihrer theoretischen Gegner. Diese Einschränkung muss erlaubt sein. Denn einerseits hätte eine libysche Armee, sollte sie jemals existieren, der Terrorbande absolut nichts entgegenzusetzen. Die Ausrüstung marode, der Sold katastrophal niedrig und das Fehlen jeglicher Identifikation mit einem einheitlichen Staatengebilde lässt die Frage offen, für wen die Soldaten dann eigentlich kämpfen sollten.

Das Pulverfass vor der Haustür

Andererseits sind es zaghafte europäische Regierungen, deren Tatenlosigkeit dem IS in die Hände spielt. Natürlich hätte vor allem Italien als ehemaliger Kolonialherr und Großabnehmer libyschen Öls gerne militärische Präsenz gezeigt, zumal das südeuropäische Land auch als bevorzugtes Einfallstor einer künftigen Massenflucht aus Nordafrika gilt. Aber so ganz ohne Partner wolle man dann doch nicht, erklärte jüngst Premier Renzi. Überhaupt scheint man in den Hauptstädten Europas wieder einmal vorsichtig agieren zu wollen.

Damit das Wegducken nicht ganz so blamabel wirkt, liefert man sogleich eine Begründung für diesen seltsamen Ruhemodus. Erst die Bitte nach Unterstützung einer einheitlichen libyschen Regierung könnte dazu führen, sich wie auch immer im Kampf gegen den IS zu beteiligen. Aber genau diese ist durch ein klares Nein der Tobruk-Gruppe schon im Dezember letzten Jahres gescheitert. Machen wir uns also noch einmal in aller Deutlichkeit klar, welches Pulverfass direkt vor unserer Haustür kurz vor dem großen Knall steht.

Malta, und damit die Außengrenze der EU, ist weniger als 400 Kilometer entfernt. Ein Anschlag in Valetta würde, ähnlich wie die Attentate in Paris, zum perversen Renommee des IS in einschlägigen Kreisen weiter beitragen. Die Wirtschaft des kleinen Inselstaates, der sich fast vollständig auf den Tourismus verlassen muss, bräche zusammen. Zudem gewinnt Libyen als Rückzugsraum und Basis für terroristische Aktionen immer mehr an Attraktivität. So lange der Islamische Staat in Syrien zunehmend unter Druck gerät, sucht er sich unberührte Flächen, in denen er nach Belieben agieren kann.

Die Gründe sind mannigfaltig: seine wichtigsten Widersacher USA und Russland konzentrieren ihre Kräfte im Nahen Osten. Das starke Ägypten hält sich lieber zurück und hat mit dem IS-Ableger Ansar Bait al-Maqdis genug eigene Probleme. Libyens Bodenschätze sowie die fast unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten durch Waffen- und Menschenschmuggel sind weitere Pluspunkte im Kriterienkatalog der Dschihadisten. Ohne entschlossene Gegenpole würden wir, wie die Erfahrungen zeigen, vor einem weiteren humanitären und geopolitischen Katastrophenfall stehen.

Deutschland muss Vorreiter sein

Es wird Zeit, Deutschland muss als europäische Regionalmacht alles dafür tun, solch ein bedrohliches Szenario einzudämmen. Mit seiner gewachsenen außenpolitischen Rolle steht es der Bundesrepublik nun zu, wichtige Verbündete im Kampf gegen des IS und damit für die Stabilisierung Libyens zusammenzubringen. An erster Stelle Ägypten, Marokko und Tunesien, denen siedend heiß eingefallen sein dürfte, was eine IS-Expansion auch für ihre relativ gefestigten Staaten bedeutete.

Eine schlagkräftige Allianz entstünde zusätzlich mit den beiden Mittelmeermächten Italien und Frankreich. Insbesondere letzteres hat in einem ähnlich gelagerten Fall bereits gezeigt, dass eine Zusammenarbeit mit afrikanischen Partnern durchaus Früchte tragen kann. In Mali intervenierte unser westlicher Nachbar zusammen mit den Truppen Benins, Togos, des Niger, Nigerias und aus dem Senegal erfolgreich gegen militante Islamisten. „Operation Serval“ könnte also durchaus als Blaupause dienen, wenn es darum ginge, Modelle für Libyen zu entwickeln.

Deutschland kann seiner gefestigten und gewachsenen Stellung innerhalb des europäischen Werteraumes nicht mehr ausweichen. Als ebensolche Regionalmacht sollte sich die Bundesrepublik dazu durchringen, aktiv den europäischen Frieden zu sichern. Das muss nicht zwangsläufig auch militärisches Eingreifen bedeuten. Es wäre schon viel damit getan, bei der Schaffung einer Anti-IS-Allianz eine Vorreiterrolle einzunehmen.

Warum wir im Falle Syrien nicht dasselbe getan haben? Syrien ist ein Brennpunkt im Nahen Osten, der so viele nuancenreiche Kenntnisse erfordert, dass gerade Deutschland mit seiner historischen Sonderrolle nur Zuschauer sein kann und muss. Aber in Libyen laufen die Dinge anders. Im Hinterhof Europas lauert eine Mörderbande, die mit dem syrischen Bruder in Sachen Skrupellosigkeit gleichzieht. Aber noch viel wichtiger: nach Europa, insbesondere Deutschland, ist die Strecke nur kurz. Beginnen wir endlich mit der Arbeit.

Sebastian Antrak ist nach vielfältigen Erfahrungen von Journalismus bis Werbebranche freier Autor.

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