Afrika-Migration: Lernen von Frankreich

Frankreich hat uns in Sachen Migration aus Afrika und der arabischen Welt viele Erfahrungen voraus. Die Front National ist zur stärksten Partei geworden, weil sie eine Realität ausgesprochen hat, die in Deutschland verleugnet wird. Statt Besserwisserei zu demonstrieren sollten wir von Frankreich lernen.

„Die Franzosen haben es nicht geschafft, die Migranten zu integrieren“ – Dieser Satz war am 15.November, kurz nach dem Terrorangriff auf die französische Hauptstadt, im Heute Journal des ZDF zu hören. Ein Korrespondent wollte den Deutschen erklären, wieso es zu dem Angriff gekommen ist. Er war nicht der Einzige, der die Geschehnisse auf solche „Ursachen“ zurückführte. Ähnliche Sätze wurden in den letzten Tagen auch bei der ARD und bei N24 verbreitet. Der Fraktion der Erklärer im Lande genügt es nicht festzuhalten, dass hier eine bestialische, totalitäre Kraft wütet. Dass es eine internationale Terrorarmee neuen Typs gibt, die organisiert und mit demonstrativer Grausamkeit wehrlose Menschen abschlachtet. Um entschieden zu handeln, müsste das eigentlich reichen.

Den Erklärern reicht es offenbar nicht. Sie versprechen, eine Ursache „dahinter“ zu finden, die noch einmal ganz anders ist als das banale Böse. Der geheime Gedanke dabei ist: Eigentlich sind alle Menschen gut, etwas muss sie böse gemacht haben. Es muss da irgendwo Fehler und Defizite geben, sonst wäre alles gut oder jedenfalls – wie der Sprechautomat im Kanzleramt sagen würde – „auf einem guten Wege“. Und wo sollen wir die Ursache suchen? Natürlich nicht dort, wo das Böse sich zeigt. Wir dürfen überhaupt keinen äußeren Feind benennen. Stattdessen müssen wir die Ursache bei uns suchen. Bei uns muss es einen Fehler, ein Versäumnis, eine nicht abgeleistete Bringeschuld geben.

Die Erklärung, die dann gefunden wurde, ist atemberaubend. Es waren „die Franzosen“. Sie haben „es nicht geschafft“. Will heißen: Eigentlich, ihr Franzosen, hättet ihr es schaffen können. Wenn ihr sie nur richtig gewollt hättet – die „Integration“. Dies magische Wort steht auf dem großen Schalter, den man nur entschlossen umlegen muss – und schon gibt es keinen Nachschub mehr für den Terror. Super, Deutschland erklärt und erlöst mal wieder die Welt.

Mancher Zuschauer, der sich mit der jahrzehntelangen Vorstadt-Politik in Frankreich nicht auskennt, muss bei solchen Sätzen denken: Die Franzosen müssen ihre Zuwanderer wie Dreck behandelt haben. Sie müssen sie ohne Unterkunft gelassen haben. Ihnen keinen Platz in ihren Schulen, ihren Krankenhäusern, ihren Metros, ihren Freizeiteinrichtungen, ihren Sportvereinen angeboten haben. Ihnen keine Sozialarbeiter, keine Jugendzentren, keine Quartiersräte zur Verfügung gestellt haben. Ihnen immer weiter die Geldmittel gekürzt haben…

Das ist dummes Zeug. Welches Buch über die Entwicklung der französischen Problemquartiere man auch zu Rate zieht, nirgendwo – bei welcher politischen Richtung auch immer – wird man den Vorwurf finden, es seien zu wenig Anstrengungen unternommen worden. Und wer vielleicht argwöhnt, es sei in Frankreich zu bürokratisch-etatistisch gehandelt worden, der schaue auf Großbritannien oder auf die Niederlande. Dort herrschen andere politische Traditionen und die Probleme sind trotzdem ähnlich groß. Auch hier rekrutiert die internationale Terrorarmee, und sie tut es ausgerechnet in der 2. und 3. Generation der Migranten – also unter jenen, die mehr Integrationsversuche erfahren haben als ihre Eltern.

Alle diese Länder sind inzwischen skeptischer, was die Möglichkeiten der Integration betrifft. Sie greifen zu restriktiven Maßnahmen. Sie schärfen die Gesetze. Sie werden republikanischer. Doch das Wir-Schaffen-Es-Deutschland weiß es besser. Es ist dabei, sich im Schnellverfahren eine Migrantenmasse ins Land zu holen, die in der Größenordnung mit der postkolonialen Einwanderung nach Frankreich vergleichbar ist. Und es will die vielen kleinen Anzeichen nicht sehen, die darauf hindeuten, dass hier keine Neugier und Bewunderung für Deutschland am Werk ist, sondern eine ganz prosaische Versorgungserwartung. Es will nicht wahrhaben, dass diese Erwartung bei Nichterfüllung in genau das gewalttätige Ressentiment umschlagen wird, das in verschiedenen Migrationsmilieus Frankreichs und anderer Länder schon seit längerer Zeit zu beobachten ist.

Wie anmaßend ist diese Besserwisserei. Wie arrogant rümpft das zivil-romantische Deutschland die Nase, wenn das französische Parlament eine Verlängerung des Ausnahmezustands beschließt und in den Straßen Soldaten patrouillieren. Wie peinlich wirkt es, wenn der Bundespräsident über die „Werte“ Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit predigt und geflissentlich übersieht, dass Frankreichs historische Leistung darin besteht, diese Werte in einem Staat verfasst zu haben und sie bewaffnet zu haben. Wie viel versteckte Verachtung unseres Nachbarlandes ist in der deutschen Frankreich-Solidarität enthalten.

Nein, die gegenwärtige Lage ist keineswegs so, dass Frankreich etwas nicht schafft, was Deutschland schafft. Im Gegenteil hat Frankreich uns in Sachen Migration aus Afrika und der arabischen Welt viele Erfahrungen voraus. Deutschland sollte sich gegen den Lernprozess unseres großen Nachbarlandes nicht abschotten.

Mit dem Ergebnis der ersten Runde der Regionalwahlen am vergangenen Sonntag hat dieser Lernprozess nun ein neues Stadium erreicht. Die Front National ist in unserem Nachbarland zur stärksten Partei geworden, weil sie eine Realität ausgesprochen hat, die jene Parteien, die in den vergangenen Jahrzehnten die Politik unter sich ausgemacht haben, ignoriert haben. Man kann über die Partei FN unterschiedlicher Meinung sein, aber mit ihrem Sieg ist ein politisches Anliegen nun unabweisbar in den Mittelpunkt der Politik getreten: das Anliegen des begrenzenden Staates. Der Weg, den Zusammenhalt des Landes durch eine ausufernde Förderpolitik und eine blinde Öffnungspolitik zu erreichen, ist in Frankreich an sein Ende gelangt. Von nun an geht es um Grenzen – um die Wahrung der Landesgrenzen, um die Begrenzung der Zuwanderung und auch um eine Begrenzung der Verschuldung. Es kann sein, dass eine Mehrheit der Franzosen ihren gewohnten Parteien noch einmal eine Chance geben. Aber die Franzosen haben dafür die Agenda gesetzt. Das neue Zentralthema der Politik wird niemand mehr umbiegen können.

Der Zufall will es, dass in Deutschland just am kommenden Wochenende CDU und SPD Parteitage abhalten werden. Wie man hört, tun die Parteiführungen alles, um jedweden Beschluss in Richtung „Obergrenze bei der Zuwanderung“ zu verhindern. Nun gut, sollen sie die französischen Erfahrungen verachten – am Ende werden sie selber die Verachteten sein.

Zuerst auf Achse des Guten erschienen, aktualisiert.

Lesen Sie auch Teil I, II, III und VI aus der Serie von Gerd Held:

Held_Teil1Held_Teil2

Gerd_Held_Migrationsmythos_III

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Kommentare ( 1 )

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Sophie
7 Jahre her

„Die Erklärung, die dann gefunden wurde, ist atemberaubend. Es waren „die
Franzosen“. Sie haben „es nicht geschafft“. Will heißen: Eigentlich,
ihr Franzosen, hättet ihr es schaffen können. Wenn ihr sie nur richtig
gewollt hättet – die „Integration“.“

Dieser Absatz ist wichtig, denn genau dieses Hintertürchen hat Merkel sich auch offen gehalten als sie 2015 sagte, dass die Chancen (bei der Zuwanderung) größer als die Risiken seine, wenn alle mitmachen. Machen aber ja nicht alle und wenn, dann immer noch nicht gut genug. Aber wenn, dann würde, hätte es klappen können.