„Sie haben doch keine Ahnung, Frau Illner!“

Damit wenigstens hatte der AKP-Abgeordnete Mustafa Yeneroğlu durchaus recht. Das Thema „Türkei“ wurde auf übliche öffentlich-rechtliche Art durchgekaut. Viel Aufregung, wenig Erkenntnisgewinn. Und möglichst haarscharf am Thema vorbei. Denn längst sind die Probleme im eigenen Land angekommen.

Screenshot: ZDF, maybrit illner

Das war doch mal ein netter kleiner Vorgeschmack auf das, was so eintreten wird, wenn Michael Wolffsohn Recht hat mit der Aussage „Deutschland und Europa sind längst Teil des Nahen Ostens geworden“.

Drei Deutsch-Türken stritten erbittert über die Lage in der Türkei, Illner verlor streckenweise die Kontrolle über Streithähne (und Huhn).

AKP-Mann Mustafa Yeneroğlu war ZDF-erfahren genug, sich mit sturen Behauptungen gegen jede Kritik an Erdogan immun zu zeigen. Sein Gegenspieler Deniz Yücel von der Welt kam ein wenig verschusselt rüber, blieb aber sachlich und angenehm ruhig. Sevim Dagdelen lieferte, was man von „Die Linke“ erwarten kann.

Trotz allem blieb es wenigstens moderater, als auf Deutschlands Straßen nach dem Putschversuch in der Türkei. Ansonsten hätte sich CSU-General Andreas Scheuer wohl durch den Hinterausgang verdrückt.

So machte Illner das, was sie immer macht: Ein launiges Hin- und Her-Frage-Spiel. Am Anfang steht – wie so oft – eine eher dämliche Frage: Ist die Türkei noch unser Partner?

Eine Frage, die wieder einmal nahelegt, dass das jeweilige Titel-Thema bei der Illner-Redaktion von Praktikanten formuliert wird. Natürlich ist die Türkei noch unser Partner. Sie ist Handelspartner, NATO-Partner und „privilegierter“ EU-Partner, dazu auch noch Merkels persönlicher Grenzschutzpartner. So weit so schlecht. Die eigentliche Frage hätte lauten müssen: Soll das so bleiben? Was aber kann der eingeladene Vize vom Bund Deutscher Kriminalbeamter dazu sagen? Oder ausgerechnet jemand von der Splitterpartei „Die Linke“?

Grundsätzlich war die Sendung nach dem altbekannten Schema „4 gegen 1“ aufgebaut. In der einen Ecke: Sevim Dagdelen, Deniz Yücel, dazu Andreas Scheuer und der Historiker Michael Wolffsohn. In der rechten Ecke: Mustafa Yeneroğlu (AKP), Vorsitzender des Menschenrechtsausschusses des türkischen Parlaments.

Diese parlamentarische Funktion Yeneroğlus erlaubte Scheuer einen kleinen Treffer zu platzieren: „Kein Wunder, dass Sie Zeit für die Sendung haben, die Menschenrechte sind ja gerade außer Kraft gesetzt.“

Der Sinn von Thema und Besetzung blieb nebulös. Um zu erkennen, dass die Entwicklung in der Türkei mit europäischen Grundwerten nicht kompatibel ist, braucht der Zuschauer weder eine Erklärung von „Die Linke“ noch von der CSU. Und dass ein Mitglied der AKP alles ganz prima findet, was Erdogan so macht, ist auch nicht überraschend.

Zu Beginn sollte herausgefunden werden, wer denn nun hinter dem Putsch gesteckt habe. Natürlich der Gülen, wusste AKP-Mann Yeneroğlu. Das hat schließlich Chef Erdogan ganz klar gesagt. Sonst hatte niemand eine Theorie. Auch interessante Verschwörungstheorien wurden nicht durchgespielt. Nicht einmal die ganz frische Behauptung aus Moskau, der russische Geheimdienst habe Erdogan fünf Stunden vor dem Putsch gewarnt und ihm damit das Leben gerettet.

Schließlich wurden Kenntnisse über den Nationalsozialismus ausgetauscht, in Verbindung mit der Frage: Ist Erdogan so etwas Ähnliches wie der selige Adolf? Der Putsch Vorwand für ein Ermächtigungsgesetz? Für Wolffsohn läuft es in der Türkei nach dem „klassischen Muster der Machtergreifung“. Menschenrechte außer Kraft gesetzt, Säuberung der Staatsstellen. Wissenschaftler haben Ausreiseverbot.

Zudem sei der Putsch längst nicht so dilettantisch ausgeführt, wie bei deutschen Medien zu lesen stand. Hilfreich scheint einmal mehr das Heranziehen angelsächsischer Zeitungen, wenn etwas wirklich wichtig ist.

Wolffsohn würde den Putschversuch eher mit dem Juli 1944 vergleichen. Demnach ist es also schon recht spät in der Türkei. Auch habe sich „der Westen“ nicht sofort so nobel verhalten, wie es Scheuer immer noch tut („Ein Militärputsch ist strikt abzulehnen“), sondern habe abgewartet, bis feststand, wer der Sieger sein wird.

Irgendwann verlor Mustafa Yeneroğlu dann seine Contenance, die sich bis dato aus der Zufriedenheit gespeist hatte, dass er und seine Partei, die AKP, als große Sieger aus den türkischen Unruhen hervorgegangen sind. Motto: Sollen die anderen ruhig schwätzen, L’Etat, c’est moi!

Nazi-Vergleiche verbitte er sich! Die Nazis und ihre Verbrechen seien einmalig. Da schweigt der Deutsche still. Ansonsten ginge alles rechtstaatlich zu. Notstand sei auch in Deutschland ausgerufen worden, damals wegen der RAF, und in Frankreich heute. Über den Wert solcher Diskussionssendung ist jeder Kenner erhaben.

Beispiel: die Freilassung eines inhaftierten türkischen Journalisten vom Verfassungsgericht. „Da sehen Sie, dass es rechtsstaatlich zugeht.“ (Yeneroğlu) „Daraufhin wurden zwei Richter entlassen.“ (Yücel) „Nicht deswegen, sondern wegen Geheimnisverrat.“ (Yeneroğlu)

So hoch ging es her zwischen Yücel, Dagdelen und Yeneroğlu, dass Scheuer moserte, Herr Yeneroğlu solle sich „in einem deutschen Sender“ nicht so aufführen. Worauf sich der Welt-Journalist mit dem AKP-Mann solidarisierte: „Diese Form der Maßregelung ist sehr unangenehm, Herr Scheuer!“ Scheuer ereiferte sich wie sonst sein Ministerpräsident, nur dass das natürlich keine Konsequenzen hat. Man könnte, man sollte, man müsste – nur man macht halt nicht, das hat sich bis in die Türkei herumgesprochen.

Nachdem Maybrit Illner mal wieder die Gouvernante gab, drohte Yeneroğlu zu gehen, wenn er „jetzt nicht antworten“ dürfe. Und fügte nicht zu Unrecht hinzu: „Sie haben doch überhaupt keine Ahnung, was in der Türkei vor sich geht, Frau Illner.“

Nun, wer hat das schon? Entscheidend dürfte sein, wie sich die EU jetzt gegenüber der Türkei verhält. Wolffsohn: Die EU muss Erdogan klipp und klar deutlich machen, dass für die Türkei viel Geld, Handelsvorteile und Schutz auf dem Spiel stehen, wenn sie sich nicht an bestimmte Spielregeln hält.

Zugleich ist dem Historiker bewusst, dass „der geschickte Politiker“ Erdogan „immer am Rande des Abgrunds balanciert, um zu sehen, wie weit er gehen kann.“ Wenn man sich die Gegenspieler in Europa anschaut, wird er wohl noch manches Stückchen weitergehen können.

Was ist denn nun mit unserem angekündigten Chefpolizisten Sebastian Fiedler, fragte sich der Zuseher fünf Minuten vor Sendungsschluss. Schnell wurden Handy-Filme eingespielt, die zeigten, dass Randalierer mit Türkeifahnen auch bei uns Fenster einwarfen, Türen eintraten und Andersdenkende drangsalierten. Jagdszenen im Ruhrgebiet. In den Medien außerhalb der sozialen Netzwerke eher unter dem Motto „Die wollen nur spielen“ bagatellisiert.

Die letzten Minuten nutzte Fiedler, um ganz klar zu machen: Seine Befürchtungen für Deutschland seien „sehr, sehr groß.“ Erdogan könne auf Knopfdruck hunderttausend Anhänger in Deutschland mobilisieren, zudem seien türkische Linksradikale und rechte Graue Wölfe eine Bedrohung.

Wie denn die Polizei auf eine Eskalation der Lage vorbereitet sei? „Personell nicht besonders gut“.

Na dann, gute Nacht.

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