Lanz: Weiße, deutsche Männer kennen den Islam, die Muslima nicht, claro?

Bei Lanz redeten die meiste Zeit Kienzle und Lanz, die nicht die geringste Ahnung davon haben, was es bedeutet, als Frau in einer streng muslimischen Familie aufzuwachsen, auf Sabatina James ein, die mit einem Cousin zwangsverheiratet wurde.

Im letzten Jahr besorgte ich mir das Buch „Men explain things to me“ (Deutscher Titel: Wenn Männer mir die Welt erklären) der amerikanischen Schriftstellerin Rebecca Solnit. Als ich Solnits Buch las, war noch nicht mal Sommer. Es war vor dem großen Flüchtlingsansturm, der Refugees-Welcome-Euphorie, vor Merkels „Wir schaffen das“ und den Gegnern dieser Willkommenskultur. Zustände wie in Köln? Damals nicht denkbar. Eine erneute Islam-Debatte wie 2010 nach Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ in weiter Ferne.

2016 sieht die Welt anders aus. Die Debatte um den Islam ist wieder da. Vermutlich wird sie intensiver und vor allem langanhaltender geführt werden als jemals zuvor. Dass Solnits Buch mir gerade jetzt im Kontext dieser Debatte wieder in den Sinn kommt, hätte ich damals wohl nicht ahnen können, dabei ist der Umgang mit den zumeist weiblichen Islamkritikern hierzulande wohl das Paradebeispiel für das, was sich wohl am ehesten mit dem Neologismus „mansplaining“  beschreiben lässt.

Mansplaining

Nein, Rebecca Solnits Buch hat nichts mit Islamkritik zu tun. Bei ihr geht es ganz grundsätzlich um Erfahrungen von Frauen. Um „mansplaining“ zum Beispiel, aber auch um noch viel ernstere Themen wie physische Gewalt. Solnit erklärt das Phänomen „mansplaining“ zunächst anhand einer witzigen Anekdote. Bei einer Party berichtet ihr ein Mann über mehrere Minuten von einem Buch, welches sie selbst geschrieben hatte. Vergeblich hatte sie damals zusammen mit ihrer Freundin versucht, den Mann darauf aufmerksam zu machen, jedoch erfolglos. In seiner selbst zugeschriebenen Autorität und fachlichen Expertise kam ihm im Traum nicht in den Sinn, dass sie, Solnit, vielleicht etwas zu dem Thema beizutragen hätte, dass sie auch nur annähernd so viel davon verstünde wie er, dass sie gar dieses Buch hätte geschrieben haben können. Und das obwohl sie zuvor noch über ihre Tätigkeit als Schriftstellerinnen und die von ihr behandelten Themen gesprochen hatten.

Es ist dieses Selbstverständnis vieler Männer, es immer besser zu wissen, Frauen Dinge erklären zu können, selbst wenn die Frau in diesem Bereich der eigentliche Experte ist, das Solnit hier beschreibt. Nun könnte man meinen, Solnits Anekdote ist ein besonders absurder seltener Fall und man könnte doch deswegen nicht auf ein generelles Phänomen schließen, aber so ist es nicht. Nicht immer muten die Begegnungen zwischen Frauen und erklärenden Männern so komisch-absurd an wie in der oben beschriebenen Anekdote und dennoch kommt es regelmäßig dazu. Witzig ist das Ganze dann irgendwann nicht mehr, sondern eher ermüdend, nervig und demütigend. Besonders als weibliche Journalistin (und nebenbei bemerkt angehende Politikwissenschaftlerin) bekomme ich oft dutzende Mails von Männern, die mir das noch einmal mit der Politik erklären wollen. Wohlgemerkt von Männern, die nicht unbedingt mehr von Politik verstehen.

Dass ich vielleicht einfach eine andere Meinung zum jeweiligen Thema habe oder andere Aspekte fokussiere, wird dabei gar nicht wahrgenommen. Stattdessen wird mir wie selbstverständlich und vollkommen ungefragt (nicht selten auch von wildfremden Männern) erklärt, was ich zu berücksichtigen und wie ich etwas zu verstehen hätte. Der Unterschied zu einer normalen Diskussion über unterschiedliche politische Ansichten? Es ist keine Diskussion. Es ist ein Erklären dessen, was ich als Frau halt noch nicht so begriffen habe. Was hierbei fehlt, ist die Behandlung auf Augenhöhe, die Wahrnehmung als gleichberechtigter Gesprächspartner. Ob man vielleicht sogar mehr Fachexpertise besitzt, spielt dabei überhaupt keine Rolle und ich bin mitnichten die einzige weibliche  Person, der dieses Problem nahezu täglich begegnet.

Nun mag sich der ein oder andere, der dem Feminismus ohnehin kritisch gegenübersteht, fragen, was selbst, wenn es zu solchen Begegnungen kommt, nun so schlimm daran sei. Immerhin leben wir hier in Deutschland, wo die Gleichberechtigung von Frau und Mann im GG festgeschrieben ist. Und ja, weder Solnit noch ich tragen auf den ersten Blick irgendwelche ernsteren Konsequenzen davon. Ja, es ist nervig, es macht wütend und es demütigt, weil man jedes Mal gezeigt bekommt, dass man nicht als gleichberechtigter Gesprächspartner auf Augenhöhe wahrgenommen wird, aber unseren Job verlieren oder unser Recht, unsere Meinung trotzdem zu sagen, verlieren wir dadurch nicht. Uns wird keine physische Gewalt angetan und oft braucht es die ja, damit Gewalt überhaupt als solche angesehen wird.

Was aber, wenn man das vermeintlich zu vernachlässigende Thema „mansplaining“ auf die Auseinandersetzung mit dem Islam überträgt?

Fast zehn Minuten schildert Sabatina James am späten Mittwochabend bei Lanz, was sie als junge Frau in ihrer aus Pakistan stammenden Familie erlebt hat. Bewegend erzählt James davon, wie sie im Alter von 16 Jahren mit ihrer Familie von Österreich nach Pakistan reiste, um dort mit einem Cousin zwangsverheiratet zu werden. Davon, wie sie heute in einem Opferschutzprogramm lebt – unter anderem Namen und ständig wechselnden Wohnorten (James konvertierte zum Christentum). Sie leitet einen Verein für Opfer von Zwangsverheiratungen. Morddrohungen erhält sie täglich. Die Meinungsfreiheit in Deutschland sieht sie faktisch schon jetzt als nicht mehr gegeben an. Dann kommt es zum Thema Flüchtlinge. James findet deutliche Worte, sagt, dass wir uns mit dem antidemokratischen Islamismus eine rassistische, sexistische Ideologie in unser Land holen und uns dann wundern würden, dass solche Dinge wie in Köln und Paris passieren.

Es ist dieser Moment, als Ulrich Kienzle ihr ins Wort fällt. Er unterstellt ihr, sich zu widersprechen und argumentiert grotesk, dass sie doch schließlich hier sitzen und frei sprechen könne. Für Kienzle ist damit belegt, dass die Meinungsfreiheit doch sehr wohl noch gelte. James Schilderungen über ihr Leben in einem Opferschutzprogramm scheinen vollkommen an ihm vorbeigegangen zu sein. Auch der Hinweis, dass James dort nur sitzen kann, weil hinter der Kulisse ein bewaffneter Personenschützer auf sie wartet, hat für Kienzles Argumentation keinerlei Bedeutung. Dass der anscheinend zum Islam-Experten aufgestiegene Lanz hier und da noch ein paar Binsenweisheiten zum Besten gibt („Islam ist ja nicht Islamismus – das muss man klar und sauber trennen“), macht die Situation nicht besser.

Danke, Herr Kienzle

Es ist eine Szene, wie sie in ihrer Absurdität auch gut in Solnits Buch stehen könnte. Kienzle, an die Aussage von Lanz anknüpfend und zu James gewandt, erklärt ihr, dass es DEN Islam ja nicht geben würde. „Es gibt unheimlich viele verschiedene Strömungen im Islam – es gibt ganz gefährlichen Islam und ganz friedfertigen Islam“, erläutert er weiterführend in Sesamstraßenmanier und fast ist man geneigt, sich Kienzle in Samson-Verkleidung vorzustellen, wenn es nicht so traurig wäre. Da passt es nur zu gut, dass er James in diesem Zusammenhang auch noch einen persönlichen Rat mitgibt: „Das was Ihnen passiert ist, ist schrecklich, aber man sollte daraus nicht den Schluss ziehen, dass nur noch die Täter hofiert werden.“ – „DANKE Herr Kienzle für diese Weisheit“, möchte man da stellvertretend für James in den Fernseher rufen. James selbst löst das Problem deutlich souveräner und verpackt das trotzige Danke, in argumentativ einwandfreie Konter.

Mindestens genauso grotesk wie die Szenen mit James mutet der Monolog Kienzles über den Islam und die Entstehung des Islamismus an, bei dem Lanz Kienzle immer wieder durch bestätigende Zwischenkommentare die Bälle zuspielt. Es scheint als hätten sich da zwei gesucht und gefunden. Weshalb Lanz sich so auf die Seite von Kienzle schlägt, ist nicht zu erklären. Vermutlich hat er ähnlich wie Kienzle bis jetzt wenig Erfahrung mit den Repressionen denen viele Frauen im Islam ausgesetzt sind, gemacht, denn sonst würde er wohl kaum am Ende der Diskussion noch einmal feststellen wollen, dass all diese Dinge, die James benannt hat, nichts mit der Mehrheit der Muslime zu tun hätte, sondern vielmehr mit einzelnen fehlgeleiteten Menschen. Der Beleg, dass das nichts mit dem Islam als Religion zu tun hat? Die vielen türkischen Muslime in Deutschland, deren Integration nach Lanz geglückt sei. Dass viele bezweifeln würden, dass wirklich alle so gut integriert sind, wie Lanz sagt, ist das eine. Dass die Integration dort, wo sie gelungen ist, meist mehr mit der Emanzipation vom Islam als mit dem Islam als friedfertiger Religion zu tun hat, eine andere. Lanz kennt auf jeden Fall anscheinend jede muslimische Familie hier in Deutschland, genauso wie Kienzle die einzig wahre Auslegung des Korans. Was für Männer! Kein Wunder, dass die zwei Frau James die Welt erklären!

Weiße, deutsche, Männer kennen den Islam, die Muslimin nicht, claro?

Dabei ist nicht nur interessant, wie häufig weiße deutsche Männer in der Islam-Debatte hierzulande von ihrer eigenen Expertise überzeugt sind, sondern auch die Tatsache, dass sie Frauen, die die Auswüchse dieser frauenfeindlichen Ideologie am eigenen Leib zu spüren bekommen haben, regelmäßig die Urteilfähigkeit absprechen. Der Umgang mit Sabatina James ist da mitnichten ein Einzelfall. Auch anderen Islamkritikerinnen wie z.B. der ehemaligen Femen-Aktivistin Zana Ramadani wird die Expertise gerne abgesprochen. So folgte beispielsweise auf einen Twitter-Post, in dem ich Ramadani lobend erwähnte, neulich prompt der „Hinweis“,  dass Frau Ramadani ja nur ihren, aus ihren eigenen schlechten Erfahrungen resultierenden Islamhass pflegen würde. Frauen die Expertise bezüglich eines Themas abzusprechen, in dem man sie zu irrationalen, einzig von Gefühlen geneigten Geschöpfen degradiert, die zu emotional seien, um rationale Kritik zu üben, ist hierbei ein beliebtes Mittel und kommt umgekehrt bei Männern eher weniger vor.

Kritik an der Meinung von Frauen wird, sofern man sie nicht inhaltlich entkräften kann, schnell persönlich. Nicht selten versucht man sie sogar einzuschüchtern, wenn sie öffentlich ihre Meinung sagen. Das betrifft Frauen, die grundsätzlich journalistisch tätig sind in größer Zahl und natürlich in noch viel stärkerem Ausmaß Frauen wie Sabatina James, Seyran Ateş, Zana Ramadani, Güner Balcı, Necla Kelek und Co., die sich dem Kampf gegen eine Ideologie verschrieben haben, die andere Ansichten per se nicht duldet.

Das Schlimme hierbei ist, dass diese Frauen, nicht nur die Drohungen aus den Reihen des Islams zu fürchten haben, sondern auch noch von der Seite angegriffen werden, die sie eigentlich auf Basis unserer Grundwerte unbedingt unterstützen müssten. Bei Lanz redeten die meiste Zeit zwei Männer auf Sabatina James ein, die nicht die geringste Ahnung davon haben, was es bedeutet, als Frau in einer streng muslimischen Familie aufzuwachsen. So ist es ist ein riesiges Problem hierzulande, dass die meisten medial präsenten „Islamexperten“ weiße, europäische Männer sind.

Denn selbst moderate „Experten“ wie Kienzle sind auf dem Auge der Frauenrechte mindestens so blind, wie Islam-Fans à la Jürgen Todenhöfer. Wenn sich zum naturgemäßen Selbstbewusstsein (vor allem im Bereich der Politik), ohnehin alles besser zu wissen und beurteilen zu können, dann auch noch vermeintliche political correctness mischt, erleben wir so etwas wie bei Lanz. Am Ende ist das Ergebnis dasselbe wie immer: Es wird Besonnenheit und ein „korrekter“ Umgang mit dem Islam gefordert, kein korrekter Islam, der anfängt, Frauen als gleichberechtigt anzusehen. Und was will man auch anderes von Männern erwarten, die hierzulande sozialisiert, nicht mal die Diskussion auf Augenhöhe mit einer Frau beherrschen?

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