World Economic Forum Davos: Das Ende des liberalen Zeitalters

Manchmal geht es nur nach oben, etwa in Davos. Um 20 Prozent auf 600.000 Franken erhöht, hat das World Economic Forum (WEF) seine Mitgliedsbeiträge. Es muß einem was wert sein, wenn man „den Zustand der Welt verbessern“ will; so das Motto. Nun kann man schon heute wetten, dass das Treffen mit 40 Staats- und Regierungschefs, 260 Ministern und 1500 Wirtschaftskapitänen die Welt nicht unbedingt sofort besser macht – Wunder sind auch für viel Geld nicht zu haben. Aber Davos ist eine Art globales Fieberthermometer. Es zeigt, was nach Ansicht der Eliten schief läuft.

Und beim Schief-Laufen hat sich einiges verschoben, ehe die Teilnehmer sich auf das Ski-Laufen auf den tollen Pisten konzentrieren:

Die Welt ist unsicherer geworden, weil die Gewalt in die Politik zurückkehrt und den Planeten wieder beginnt zu beherrschen. Das liberale Zeitalter von Markt und Wohlstand geht zu Ende, das Zeitalter der Politik, ihrer Kriege und des Elends droht zurückzukehren.

In diesem Jahr lauten die fünf wichtigsten Risiken:

  • zwischenstaatliche Konflikte
  • Extremwetter
  • Regierungskrisen
  • Zusammenbruch von Staaten
  • hohe Arbeitslosigkeit.

Das ergibt sich aus dem „Global Risk Report“, zu dem 1.000 WEF-Mitglieder befragt werden.

Im Vorjahr war das Bild ein ganz anderes:

An erster Stelle wurde die Einkommensungleichheit genannt; danach kamen damals schon das böse Wetter, Arbeitslosigkeit, Klimawandel und Cyberattacken.

Nun haben solche Umfragen immer auch einen zeitgeistigen Charakter. Aber die politischen Krisen, die sich unübersehbar in den Vordergrund drängen, sind schon handfestere Probleme als das Jammern über Einkommensverteilung, was  damals WEF-Gründer Klaus Schwab zu einem  Angriff auf den Kapitalismus  an und für sich ummünzte: So etwas gefällt dann den linken Kritikern des Hummerschwanz-Treffens im überteuerten Luftkurort.

Und sie zeigen etwas anderes: Die 30 goldenen Jahre des globalen Liberalismus sind vorbei.

Das Ende des goldenen Zeitalters

Denn auch danach kann man die Weltgeschichte sortieren:

Die drei Jahrzehnte vor dem 1. Weltkrieg waren die Zeit des großen globalen Zusammenwachsens. Damals gab es faktisch keine Zölle, kaum Wirtschaftspolitik in ihrem heutigen, engmaschigen Sinn, eine globale Währung, nämlich den Goldmaßstab. Das damals herrschende Maß der Globalisierung, da sind sich alle Empiriker einig, wurde erst wieder in den 1990er Jahren erreicht. Denn diese Welt zerfiel mit dem 1. Weltkrieg in die konkurrierenden, kleinräumigen Nationalstaaten der Zwischenkriegszeit. Es waren die Jahrzehnte der Abschottung, Ausgrenzung, des Einsperrens unter dem Primat der Politik; es waren die Jahrzehnte des gewaltsamen Sozialismus mit seinen Abermillionen Toten und des noch brutaleren Nationalsozialismus.

Die Nachkriegszeit war zwar für die westliche Hemisphäre der Beginn von Freiheit, Liberalismus und Wohlstand – aber nicht jenseits des eisernen Vorhangs.

Mit Ronald Reagan begann die liberale Revolution. Deregulierung, Befreiung von staatlicher Bevormundung und Abkassiererei – es begann das, was ich die goldenen Jahrzehnte des Liberalen Modells nenne. Mit der Kraft einer liberalisierten Wirtschaft im Kreuz überrollte Reagan buchstäblich den Ostblock, bis es zum Fall der Mauer und des Blockgegensatzes kam. Das war der Zeitpunkt, zu dem Francis Fukuyama „Das Ende der Geschichte“ verkündete – gemeint war das Ende der großen Konflikte zwischen den globalen Machtblöcken. Diese Jahrzehnte waren geprägt durch das Vordringen des liberalen, marktwirtschaftlichen Modells weltweit. China wurde zum Experimentierfeld des Extremkapitalismus – mit ungeheuren Wachstumsraten. Indien und Russland – beide Riesenländer, bislang auf unterschiedliche Weise abgeschottet, traten in die globale Weltwirtschaft ein. Noch nie  drehten die globalen Wohlstandsindikatoren so schnell in`s Positive, wenn man den Rückgang der Kindersterblichkeit, den Zugang zu sauberem Wasser, eine tägliche Malzeit und andere Basisindikatoren heranzieht: Eine globale Mittelschicht entstand – viel ärmer, als das, was man im wohlstandsverwöhnten  Deutschland darunter versteht, aber viel reicher, als es jemals für möglich gehalten wurde.

Dieses Zeitalter ist zu Ende. Mit der Finanzkrise seit 2007 ist diese Phase des globalen Kapitalismus diskreditiert; seine Überhitzung aus Gier und finanztechnischen Fehlentwicklungen führte zum Abbruch des Wachstums. Die Politik übernimmt wieder das Geschäft.

Mittlerweile droht sich die Entwicklungsrichtung umzudrehen:

Regionale, militärische Konflikte wie zwischen der Ukraine und Russland zerstören die Zusammenarbeit. Der Krieg ist nach Europa zurückgekehrt, seit sich Russland und die Ukraine wieder Panzerschlachten liefern.

Ägypten und Griechenland stehen für die permanente Regierungskrise, die die notwendigen Reformprozesse nicht einzuleiten vermag; aber auch Italien droht in dieser Kategorie zu landen. Die Länder Osteuropas, Polen, die Tschechei, Ungarn, rücken wieder in die Randlage zwischen Westeuropa und dem russisch beherrschten Imperium. Des reduziert Wachstumsraten; es wird wieder aufgerüstet statt in Wirtschafte und Soziales zu investieren. Wie immer, wenn das Wohlstands- und Wachstumsversprechen unglaubwürdig wird, drängen atavistische Konflikte nach oben und beginnen ihr Zerstörungswerk: religiöse, ethnische und politische Konflikte entflammen mit ungeheuren Konsequenzen. Der Südrand des Mittelmeers zerfällt politisch; immer mehr Staaten hören auf, als solche zu existieren. Mit Syrien, Libyen und Afghanistan nimmt die Zahl der Staaten zu, die faktisch kollabieren und chaotischen Zuständen weichen; bislang waren es Länder wie Somalia und Yemen, die zu diesem Gefahrenpotential zählten. Bürgerkriege und ethnisch-religiöse Auseinandersetzungen führen zu Verheerungen und Flüchtlingsströmen, die über das Mittelmeer nach Europa reichen und dort wiederum zu innenpolitischen Konflikten führen.

Zwar wird in den Sonntagsreden gefordert, der Politik wieder den Vorrang einzuräumen, nach dem die Märkte teilweise tatsächlich versagt haben. Aber schon jetzt zeigt sich, dass die Politik die von ihr erhofften Lösungen gar nicht erzeugen kann, sondern eher  wegen ihrer typischen Realität aus Machtkampf, Korruption und Konfusion wie ein Brandbeschleuniger wirkt.

Damit ist Davos als Fieberthermometer der globalen Welt geradezu am Anschlag: Entstanden ist es als eine Art Skiclub von Managern. Zunehmend wird es zum politischen Forum.

Passend dazu hat Kanzlerin Merkel ihren Besuch in Davos für Donnerstag angekündigt. Sie hält eine Rede zum Thema „Globale Verantwortlichkeiten im digitalen Zeitalter“. Mal sehen, ob die Digitalisierung wirklich die Alternative ist, die hier Bewegung in den Rückschlag der Welt bringt. Denn Primat der Politik bedeutet immer auch: Die Politiker und ihre Militärs und Geheimdienstler geben den Ton an. Wirtschaft tritt dann in den Hintergrund, zum Schaden aller.

Roland Tichy wird in den kommenden Tagen aus Davos berichten.

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