Vorsicht bei Meinungs-Umfragen

In neuesten Meinungsumfragen erhält die AfD 8 - 10 Prozent. Das bedeutet in Wahrheit wesentlich höhere Zahlen, 34% der Union allerdings auch - im Moment.

Zwischen 8 bis 10 Prozent AfD in neuesten Meinungsumfragen bedeuten in Wahrheit wesentlich höhere Zahlen. 34% Union können bei der aktuellen Kritik an ihr auch mehr sein und der Zuwachs der FDP auf  6% wird schlicht daran liegen, dass unzufriedene Unionsanhänger, denen der Wechsel zur AfD zu krass ist, die FDP als Wahlabsicht äußern. Viele Befragte  verschweigen ihre wahren  Präferenzen, wenn „ihre“ Parteien im öffentlichen Bild schlecht aussehen, oder verweigern die Antwort. Auf Wahlrecht.de werden aktuelle Ergebnisse verschiedener Institute übersichtlich dargestellt.

Die Orientierungs-Pause

In Normalzeiten folgen die Ergebnisse von Meinungsumfragen in jeweils 10 bis 14 Tagen dem, was die Meinungsführer-Medien zu den Themen der Befragungen berichtet und kommentiert haben. Medien-Analytiker kennen das Phänomen dieser Orientierungspause. Sie wissen aber auch um die von Elisabeth Nölle vor Jahrzehnten eingeführte „Schweigespirale“. Die Mehrheit will nichts antworten, was dem gängigen Erwartungsbild der Meinungsmacher widerspricht: Sie wollen sich sozial nicht isolieren.

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Im FAZ-Monatsbericht hatte Nölles Nachfolgerin Renate Köcher neulich davon berichtet. Es gibt eine recht gute Methode, die tatsächlichen Meinungen der Leute zu ergründen. Leider wird sie von den Instituten kaum verwendet – oder bleiben ihre Erkenntnisse nur den Auftraggebern vorbehalten? Bei dieser Methode finden die Interviewer nicht nur heraus, was Frau A und Herr B selbst denken, sondern auch was nach ihrer Einschätzung die soziale Umgebung, die Kollegen am Arbeitsplatz, Nachbarn, die Leute in der Bahn, beim Sport, in der Stammkneipe an Meinungen vertreten. Die Antworten zum zweiten liegen wesentlich näher an der Realität. Wahrscheinlich steckt in ihnen ein gehöriger Teil des eigenen, verborgenen Bildes vom Gegenstand der Frage.

Köcher: „In jüngster Zeit wird oft davon gesprochen, dass die Stimmung in der Bevölkerung dabei ist zu kippen. Dies trifft nur teilweise zu. Vielmehr zeigen die Daten, dass zunächst viele nicht wagten, sich außerhalb des Kreises vertrauter Gesprächspartner mit ihren Bedenken zu exponieren. Auch jetzt haben noch 43 Prozent der gesamten erwachsenen Bevölkerung den Eindruck, dass man in Deutschland seine Meinung zu der Flüchtlingssituation nicht frei äußern darf und sehr vorsichtig sein muss, was man sagt. In Ostdeutschland ist dieser Eindruck noch weiter verbreitet, und in West wie Ost überdurchschnittlich unter denjenigen, die über die Entwicklung außerordentlich besorgt sind.“

Die große Mehrheit der Medien beurteilt die AfD praktisch wie Pegida durchweg eindeutig negativ und unterstützt bisher bei aller Kritik am Streit innerhalb der großen Koalition und zwischen den Unionsparteien Angela Merkels „Wir schaffen das“. Wenn die AfD bei dieser klar negativen Darstellung in den Medien in den Umfragen auf oder in die Nähe von 10 Prozent kommt, bedeutet das, es sind weit mehr: Die Kluft zwischen Medientenor und Bevölkerungsmeinungen ist so groß geworden, dass die Schweigespirale häufiger durchbrochen wird als normal. Bei der AfD wird der wirkliche Anteil also noch größer sein. Denn nach der Umfrage von Allensbach aus dem Oktober stimmen 44,9 Prozent der Befragten folgendem Statement zu: „Ich habe das Gefühl, man darf seine Meinung zur Flüchtlingssituation in Deutschland nicht mehr frei äußern. Man muss vorsichtig sein, was man sagt.“ Leider sagen uns aktuelle Umfragen nicht, woher der Zuzug zur AfD kommt. Zähle ich zusammen, was ich über die Jahrzehnte verfolge, bin ich recht sicher, sie kommen aus dem großen Reservoir der Nichtwähler des letzten Jahrzehnts oder mehr.

Die mediale Verurteilung von AfD & Co. steigert die Wahlabsicht

Realisieren so viele Journalisten und Politiker wirklich nicht, dass sie mit der Aufforderung, nichts zu sagen, was den Meinungen bei AfD, Pegida und Umfeld auch nur nahe kommen könnte, den Umzug von Wahlberechtigten in diese Richtung massiv befördert? Dass die Leute davon abgeschreckt werden, ihre Meinungen kundzutun, ändert nicht nur an ihren Urteilen und Vorurteilen nichts, es macht sie auch noch zornig. Sie ballen die Faust in der Tasche. In der Wahlzelle holen sie sie raus, machen sie auf und ihr Kreuz.

Die Schweigespirale wirkt aber auch bei einer Union im Verschiss. Mit der Frage scheint sich niemand zu beschäftigen: Was bedeutet es, dass die Kanzlerin bei den Anhängern von SPD und Grünen so viel mehr Zustimmung findet als bei den eigenen für die eigenen? In diesen Tagen hat die Haydn’sche Abschiedssymphonie bei Angela Merkel begonnen. Tag für Tag gibt sie dem Drängen aus den eigenen Reihen ein Stück mehr nach, das Willkommen alle in ein Wir helfen nur den wirklich Verfolgten zu ändern. Wenn die Anhänger der anderen beginnen von Merkel abzurücken, wird das nicht einfach die Rückkehr der Unionisten bedeuten, die von Anfang an gegen Merkels Botschaft waren. Wer aufmerksam in Merkels Regionalkonferenzen geschaut und gehört hat, sah die Schweigespirale in den Gesichtern.

Viele noch so enttäuschte und verunsicherte Unionsanhänger werden auch das nächste Mal CDU und CSU wählen, wie sie das oft und schon lange getan haben, auch nach dem Abklingen der Phasen der Begeisterung bei Kohl wie Merkel. Etliche geben das aber bei Umfragen nicht zu erkennen, je mehr die CDU in die Kritik gerät, sie stecken in der Schweigespirale. Sie schweigen, aber werden nicht mehr wählen. So drückt der Mechanismus die derzeitigen Zahlen für die AfD nach unten und verfälscht sie noch nach oben bei der Union. Erst der Wahltag ist bekanntlich der wirkliche Zahltag. Nur die SPD, die seit Monaten konstant zwischen 26 und 24 Prozent liegt, und deren Beurteilung durch die Medien sich praktisch nicht geändert hat, dürfte richtig gemessen sein: Ihre Zahlen spiegeln das letzte Wahlergebnis. Diese SPD-Zahlen entsprechen bei Lichte betrachtet den Kernwählern der Sozialdemokraten. Mehr Kernwähler hat die Union auch nicht: Da ist also noch viel Luft nach unten: gute 10 Prozentpunkte.

Wer auf die geringfügigen Veränderungen der Umfrage-Zahlen im Vergleich zwischen den heftigen Auseinandersetzungen in den Social Media und den wenig kontroversen Medien-Meinungen schaut, sieht, wie sehr die klassischen Medien das Meinungsbild nach wie vor prägen. Doch über die größte Gruppe der Wahlberechtigten sagen uns die Umfragen leider nichts: die Nichtwähler. Eines scheint schon wieder festzustehen: Die nächste Regierungskoalition wird eine Mehrheit der Sitze im Parlament haben (müssen), aber erneut nur eine Minderheit der Bürger repräsentieren.

Fazit: Ergebnisse von Meinungs-Umfragen sind in emotional aufgeheizten Zeiten noch weniger wert als sonst. Dass sie nicht mehr als Momentaufnahmen von Stimmungen sind und keine Wahlprognosen, sagen alle Institute, wohl wissend, dass ihre Auftraggeber, allen voran die Medien unter ihnen, nichts anderes tun werden, als sie genau als solche einzusetzen, als Wahlvorhersagen, mit denen sie Politik machen.

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