Sommerloch: Polit-Salat Türkei

Es kann nicht nur am Sommerloch liegen, dass die öffentlichen Einlassungen zur politischen Umwälzung in der Türkei und zur Rolle Erdogans an der Außengrenze der EU eine derartige Kakophonie sind: wohl eher das ungewollt ehrliche Echo einer heillos irllichternden Politik.

© Bernd Zeller
http://www.zellerzeitung.de

Wenn der etwas aus der Mode gekommene Spruch, da haben wir den Salat, passt, dann hier. Was dieser Tage in Sachen Türkei an öffentlichen Sprüchen serviert wird, beseitigt die letzten Zweifel an der Qualität der Politik unserer Tage.

Thorbjørn Jagland, Generalsekretär des Europarates, weilt zu Gesprächen mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu in Ankara. (Çavuşoğlu war Präsident der parlamentarischen Versammlung des Europarates). Als Morgengabe überbringt Jagland die Botschaft: Europa habe es bislang an Verständnis für das Vorgehen der türkischen Regierung mangeln lassen; er erklärt es für nötig,

  • “gegen diejenigen vorzugehen, die hinter dem Coup gesteckt haben, und auch gegen dieses geheime Netzwerk, das die staatlichen Institutionen, die Armee und die Justiz infiltriert hat”,
  • bei der Gülen-Bewegung, nach türkischer Lesart der einzige Urheber des Putsch-Versuches, sieht Jagland “eine Notwendigkeit, da zu säubern”.

Bärbel Kofler (SPD), Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, stellt den Flüchtlings-Deal mit der Türkei infrage, weil Amnesty International auf Folterpraktiken der türkischen Polizei verweist. Die Bundeskanzlerin lässt eine Sprecherin mitteilen, dass am Flüchtlings-Abkommen nicht gerüttelt werde. Basta.

Gestern Abend fragt Claus Kleber im heute journal des ZDF, ob das Flüchtlingsproblem an der türkischen Küste vielleicht gar nicht so groß ist, „wie Erdogan das gerne hätte“. Merkels Berlin wird nicht gerne gehört haben, dass Kleber Leute in Brüssel referiert, die sagen: Dass zur Zeit viel weniger Flüchtlinge kommen, liegt möglicherweise gar nicht an türkischen Grenzmaßnahmen, sondern daran, dass sich unter den Migranten herumgesprochen hat, dass die Balkanroute zu ist. Und diese Route ist ja tatsächlich zu und wird es auch bleiben, sagt Kleber: da ist auf Viktor Orban Verlass.

Über das Land, das die Balkanroute tatsächlich sperrt, spricht niemand: Mazedonien. Die EU schickt viel Geld nach Griechenland und in die Türkei. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mazedonien hinten herum nicht doch Geld kriegt, um den Grenzdienst zu tun, den Merkel in Berlin und die anderen in Brüssel moralisch entrüstet von sich weisen und gleichzeitig an Erdogan delegiert haben: eine Tatsache, die öffentlich von der Allparteien-Einheit in Berlin ebenso beschwiegen wird wie von praktisch allen Medien.

Die Experten in Brüssel und erst recht die unter den Schleusern wissen, dass die mazedonische Grenzsperre nicht lückenlos ist. Über die grünen Grenzen in den Schluchten des Balkans sickern kleine Migrantenrinnsale. Die eigentliche Wirkung besteht auch nicht in der physischen Sperre, sondern – wie Claus Kleber gestern richtig hervorhob –  im psychologischen Effekt, in der Botschaft: die in Europa wollen euch nicht (mehr). Diese Botschaft verbreiten die Zuwanderungswilligen unter sich. Auch wenn es fast niemand hören will: Der Migrantenmarkt regelt sich selbst viel wirkungsvoller als alle politisch hilflosen, wechselnden, widersprüchlichen und unaufrichtigen Aktionen zusammen.

Wer näher hinschaut, reibt sich die Augen und fragt: Gibt es einen Wettbewerb unter Parteien und Politikern, auch noch die Reste ihres Rufes endgültig zu ruinieren?

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