Brexit: Die Zeit der Sonnenkönige ist vorbei

Die EU zeigt ihr wahres Gesicht: trotzig, uneinsichtig, Schuld haben immer nur die anderen. EU-Präsident Martin Schulz steht für eine ganze Klasse abgehalfterter Politiker, die mit dem Brexit die Quittung für ihr Versagen erhalten.

© Joern Pollex/Getty Images

Es hat etwas von Sonnenkönig, wenn EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sich im Vorfeld des britischen Referendums über deren Verbleib in der EU äußerte. „Wer geht, geht“. Die Befürworter dürften nicht darauf spekulieren, „nach einem Brexit auf Zeit zu spielen und eine möglichst gute Vereinbarung mit den EU-Partnern herauszuhandeln.“ Ungewollt gab Martin Schulz den Brexit-Befürwortern noch Argumente an die Hand. War doch der Souveränitätsverlust Großbritanniens eines der Hauptargumente der EU-Gegner. Jetzt ist es passiert. Die Briten haben mehrheitlich für den Brexit gestimmt.

Jetzt fällt Martin Schulz seine Aussage vor die eigenen Füße. So redet eigentlich keiner, der den Geist eines friedlichen Europas aufgesogen hat. So redet vielleicht ein absolutistischer Herrscher in der Zeit des Merkantilismus, wo es darum ging, dem anderen etwas wegzunehmen und möglichst viel selbst zu behalten. Es zeigt die Kleingeistigkeit der Brüsseler Nomenklatura. Sie hat insgesamt den Wink Großbritanniens nie verstanden. Eigentlich ist der Brexit eine Chance für die Europäische Union. Zwingt sie diese doch zum Nachdenken über den eingeschlagenen Weg. Es kann eigentlich von niemandem mehr bezweifelt werden, dass sich die EU in einer schweren, schwelenden Krise befindet. Doch Reformen sind Mangelware.

Die Lehre aus dem gescheiterten Verfassungsentwurf 2004, der an Referenden in Frankreich und den Niederlanden gescheitert ist, war, dass die Vertiefung der EU nicht mehr mit umfangreichen Vertragsänderungen erfolgen sollte, sondern lediglich im Rahmen der Interpretation des Lissabonner Vertrags. Dieser trat 2009 in Kraft und ist seitdem Grundlage jeglicher Erweiterungsmaßnahmen. Seitdem gab es keine substanziellen Vertragsänderungen mehr. Alles wurde seitdem so ausgelegt, als gäbe es der Lissabonner Vertrag her. Die Griechenland-Hilfen und die Bankenunion sind nur zwei Beispiel, wo die EU-Institutionen die EU-Verträge soweit bogen, dass auch das Gegenteil dessen, was in den Verträgen steht, beschlossen werden konnte. Die Folge dieser Entwicklung ist, dass aus bislang guten Nachbarn Schuldner und Gläubiger gemacht wurden, die so eng miteinander verbunden sind, dass der nächste Zentralisierungsschritt darüber erzwungen werden kann. Soweit die Hoffnung und die Strategie der Eurokraten. Doch diese Vorgehensweise wird scheitern. Sie wird deshalb scheitern, weil sie keine Akzeptanz bei den Bürgern hat. Sie fühlen sich mehr und mehr hintergangen.

Die Krise der EU ist daher in erster Linie eine Akzeptanzkrise. Die Bürger in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werden nicht mitgenommen. Die Prozesse werden nicht ausreichend rückgekoppelt und das vereinbarte Recht hat nicht einmal die Halbwertzeit von übermorgen. Die ursprüngliche Stärke der Union, die Freizügigkeit und der Binnenmarkt, werden durch neue Regulierungsbürokratien auf europäischer Ebene wieder in Frage gestellt. Diese neuen Bürokratien dienen zunehmend nicht der Marktöffnung, sondern sind Markteintrittsbarrieren für kleinere und mittlere Unternehmen. Sie fördern staatlich gelenkte Oligopole. Denn nur große Unternehmen können vielfach noch den regulatorischen Aufwand für den Binnenmarkt leisten.

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Und die EU tritt zunehmend als Hegemon gegenüber den kleinen Staaten innerhalb und außerhalb der Europäischen Union auf. Schon heute haben kleine Staaten nur einen sehr geringen Einfluss auf die Ratspolitik. Sie werden am goldenen Zügel geführt und gelenkt. Nicht ein „Europa des Rechts“ sondern „Zuckerbrot und Peitsche“ sind die Ordnungsprinzipien der Europäischen Union. Länder außerhalb der EU, wie die Schweiz, werden unter Druck gesetzt, sämtliche Forderungen der EU bedingungslos zu übernehmen, ansonsten droht ihnen der Verlust des Zugangs zum EU-Binnenmarkt. Der wohlstandsfördernde Geist offener Grenzen und der friedensstiftende Wert, den der freie Warenverkehr stiftet, tritt gegenüber machtpolitischen Überlegungen zunehmend in den Hintergrund. Es geht nicht mehr darum, dass Unternehmen und Kunden sich auch grenzüberschreitend austauschen, wie sie es für gut und richtig empfinden, sondern eine Übermacht in Brüssel hebt oder senkt den Daumen.

Gleichzeitig wird hinter dieser Entwicklung auch der Hegemonialanspruch Deutschlands gesehen. Unterschwellig ist dies, der eigentliche Spaltpilz Europas. Deutschlands ökonomische Stärke ist zwar anerkannt, aber wirkt auf viele Mitgliedsstaaten erdrückend. Der Euro wirkt für viele Staaten wie ein Korsett, das ihnen die Luft zum Atmen nimmt. Eigentlich müßte der Euro atmen, wenn er überleben will, ansonsten geht ihm über kurz oder lang die Luft aus. Es muss also geordnete Austrittsmöglichkeiten aus dem Euro für diejenigen geben, die es nicht schaffen oder nicht schaffen wollen.

Vor diesem Hintergrund ist der Brexit ein Geschenk. Er ermöglicht den Handelnden innezuhalten. Grundsätzlich die Diskussion über die Frage zu führen: Welche Europäische Union wollen wir eigentlich?

Der Verfassungsentwurf 2004 ist mit Recht gescheitert. Er war zu kompliziert und unverständlich. Der Beschluss Großbritanniens, Verhandlungen über den Ausstieg aus der EU zu beginnen, sollte die EU insgesamt veranlassen jetzt innezuhalten. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, über die Europäischen Verträge neu nachzudenken. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt einen Konvent für Europa einzuberufen, der die Verträge auf eine neue demokratische und rechtsstaatliche Basis stellt. Und vielleicht auch mit dem Dogma Schluss macht, immer von einer „ever closer union“ zu sprechen. Oftmals ist weniger mehr.

Vielleicht sollten sich die Staats- und Regierungschefs in der EU an diesem Tag an Margret Thatcher orientieren. Sie hat zur Rolle Großbritannien in Europa einmal gesagt: „Großbritannien träumt nicht von einer behaglichen, isolierten Existenz am Rande der Europäischen Gemeinschaft. Unsere Bestimmung liegt in Europa, als Teil der Gemeinschaft. Die Gemeinschaft ist kein Selbstzweck. Genauso wenig ist sie eine Einrichtung, die beständig verändert werden darf nach dem Diktat eines abstrakten intellektuellen Konzepts. Sie darf sich auch nicht verknöchern durch unaufhörliche Regulierungen. Die Europäische Gemeinschaft ist ein zweckmäßiges Mittel, mit dessen Hilfe Europa Wohlstand und Sicherheit seiner Bewohner auch in Zukunft garantieren kann.“

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